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ETHNOLOGIE/026: Ethnologische Konflikttheorie stößt auf großes internationales Interesse (idw)


Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung - 29.03.2018

Ethnologische Konflikttheorie stößt auf großes internationales Interesse

Chinesische Übersetzung des Buches "Wie Feindbilder entstehen" in hoher Auflage erschienen


In dem jetzt auf Chinesisch vorliegenden Band "Wie Feindbilder entstehen. Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte" entwickelt Max-Planck-Direktor Günther Schlee eine Alternative zu gängigen Konflikttheorien: Er zeigt, dass sich die Ursache von Konflikten nicht durch Verweis auf den Kampf um knappe Ressourcen oder die Konkurrenz zwischen Religionen und Ethnien erklären lässt. Jetzt wurde die die 2017 erschienene chinesische Ausgabe von einer Jury zu einem der 10 besten Bücher des chinesischen Verlags SSAP gewählt. Die Übersetzerin Xiujie Wu hat die Auszeichnung in Peking entgegengenommen.


Präzise Analyse der Konfliktparteien

Wenn es darum geht, die Ursachen für regionale und globale Konflikte zu erklären, dann kommt meist sehr schnell der Hinweis auf die knappen natürlichen Ressourcen. So wird der Kampf um Öl als wesentliche Kriegs- und Konfliktursache im 20. Jahrhundert identifiziert. Für das 21. Jahrhundert werden hingegen weltweite Auseinandersetzungen um den Rohstoff Wasser prognostiziert. "Theorien, die Ressourcen als wesentliche Konfliktursache sehen, sind nicht falsch, aber sie können nicht erklären, wer gegen wen kämpft und wie die Entscheidung für diese und nicht die andere Konfliktpartei zustande gekommen ist", sagt Günther Schlee. "Es ist eben nicht von vornherein klar, dass die Konfliktlinien beispielsweise immer zwischen Turkvölkern und Arabern oder zwischen Sunniten und Schiiten verlaufen. Aber wie sich die einzelnen Parteien genau zusammensetzen und wie sich die Zusammensetzung je nach Konflikt- und Interessenlage ändert, ist sehr wenig untersucht. Deshalb habe ich in dem Buch "Wie Feindbilder entstehen" im Wesentlichen auf der Basis von Daten aus der Feldforschung in Ostafrika und dem Nahen Osten eine Systematisierung entwickelt, die zeigt, anhand welcher Kriterien sich Individuen mit einzelnen Konfliktparteien identifizieren."

Religion und Ethnien selten Ursache für Konflikte

Die Feindschaft zwischen zwei Gruppen lässt sich aber auch nicht durch den bloßen Verweis auf die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Ethnien oder Glaubenssystemen hinreichend erklären. "Die starke Identifizierung mit einer Religion oder Volksgruppe ist meist erst die Folge eines Konflikts und nicht dessen Ursache. Denn Gruppen und Gruppenzugehörigkeit sind soziale Konstruktionen, die gerade in Konflikten eine immer stärkere Anziehungskraft entwickeln", erklärt Schlee. Wenn man also verstehen will, wie Konflikte entstehen und welchen Verlauf sie nehmen, muss man die Interessen der Individuen genau untersuchen. Schlee: "Für viele Akteure ist es eine Frage rationaler Abwägung, welcher Konfliktpartei sie sich anschließen. Das kann diejenige sein, die im eigenen Ort dominant ist, es kann aber auch diejenige sein, die besser bezahlt." Der Glaube, die Familien- oder Clanzugehörigkeit spielen bei diesen Entscheidungen häufig eine untergeordnete Rolle. "Es gibt Fälle, in denen sich die in einem gewalttätigen Konflikt unterlegene Gruppe den Siegern anschließt, einfach weil deren Ressourcen das Überleben ermöglichen. Und nicht etwa deshalb, weil sie denselben Glauben haben oder dieselbe Sprache sprechen", sagt Schlee. "Zwischen dem Kampf um Ressourcen und den verfügbaren Identifikationsmustern, an denen sich die Akteure orientieren, besteht immer eine dynamische Wechselbeziehung. Wie sich die Konfliktparteien im jeweiligen Fall formieren und wie sich ihre Ziele und Interessen ändern, kann man deshalb nur verstehen, wenn man die Motive der Akteure untersucht." Dieses Wissen ist beispielsweise auch dann entscheidend, wenn es darum geht, erfolgversprechende Strategien für die Konfliktschlichtung und einen anschließenden Interessenausgleich zu entwickeln, der ein friedliches Zusammenleben wieder möglich macht.

Große Auflage für den chinesischen Buchmarkt

Nach der 2006 bei C.H. Beck erschienenen deutschen Ausgabe "Wie Feindbilder entstehen: Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte" hat 2008 auch die englische Ausgabe mit dem Titel "How Enemies are Made. Towards a Theory of Ethnic and Religious Conflicts" in der Fachwelt große Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten. Die 2004 erschienene russische Ausgabe war ebenfalls ein großer Erfolg. "Ich freue mich natürlich sehr, dass sich die Erfolgsgeschichte dieses Buches jetzt in China mit der ungewöhnlich großen Startauflage von 5000 Exemplaren weiter fortsetzt", sagt Schlee.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1947

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung,
Stefan Schwendtner, 29.03.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2018

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