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BERICHT/033: Geschichte - Von der Kindergärtnerin zur Kindheitspädagogin (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 2/2012 - Nr. 98

Von der Kindergärtnerin zur Kindheitspädagogin
Die Geschichte eines Frauenberufs

Von Sigrid Ebert



Für die Entwicklung des Berufs Erzieherin/Erzieher waren zwei Diskurslinien immer wieder entscheidend, zum einen, Kindern aller Schichten ein vorschulisches Bildungsangebot zu eröffnen, zum anderen, Frauen eine Berufsausbildung und -ausübung zu ermöglichen.


1840 bis 1908: Kindergarten als Notbehelf

Für Mädchen gab es in Preußen bis 1908 nur einen verpflichtenden Anspruch auf eine Volksschulbildung. Mädchen des Bürgertums konnten eine »höhere Töchterschule« besuchen, die von privaten Trägervereinen kostenpflichtig betrieben wurde. Um eine solche höhere Mädchenschulbildung handelte es sich auch bei den privaten Kindergärtnerinnenseminaren. Sie bildeten auf der Grundlage der von Friedrich Fröbel konzipierten Kleinkindpädagogik junge Frauen des Bürgertums für eine Berufstätigkeit in einem Fröbelschen Kindergarten aus.

Fröbel war ein Sympathisant der liberal-demokratischen Bewegung von 1848. Er hatte 1840 mit dem Kindergarten ein Gegenmodell zu den im Rahmen der Armenfürsorge von kirchlichen Trägern ehrenamtlich betriebenen Kinderbewahranstalten geschaffen. Er forderte, diesen weiteren Grundtypus institutioneller Kleinkinderziehung als unterste Stufe in ein durchgängiges allgemeinbildendes Schulsystem einzugliedern. 1847 legte er einen Ausbildungsrahmenplan vor und verwendete in diesem zum ersten Mal die Berufsbezeichnung »Kindergärtnerin«. Trotz des Kindergartenverbots in Preußen zwischen 1850 und 1861, das offiziell mit dem Vorwurf begründet wurde, in Kindergärten würde die Jugend zum Atheismus erzogen, gelang es der sich konstituierenden Fröbelbewegung, deutschlandweit Kindergärten und Ausbildungsstätten zu gründen. Sie stießen auf großes Interesse bei den nach geistiger und beruflicher Selbstständigkeit strebenden Frauen des Bürgertums.

Die im Deutschen Fröbelverband (heute Pestalozzi-Fröbel-Verband) organisierten Frauen gehörten mehrheitlich auch der bürgerlichen Frauenbewegung an. Orientiert an deren Leitideen eines im konservativen Bildungsbürgertum verankerten Familien- und Frauenbilds entwickelte der Dachverband ein Berufs- sowie ein Aus- und Weiterbildungskonzept für den Beruf der Kindergärtnerin und Hortnerin sowie für den Aufstiegsberuf der Jugendleiterin.

»Mütterlichkeit« als Profession sollte vor allem bürgerlichen Frauen die Chance eröffnen, das in ihrer Rolle angelegte Spannungsverhältnis zwischen dem »Beruf des Weibes«, also der Mutterschaft, und ihrem Wunsch nach Bildung und Erwerbstätigkeit aufzulösen. Selbstverständlich schied die Kindergärtnerin, die sich verheiratete, aus dem Beruf aus. Nur unverheirateten oder verwitweten Frauen war der Aufstieg zur Jugendleiterin vorbehalten. Dieses Weiterbildungsangebot gab es bis Ende der 1960er-Jahre nur an einzelnen renommierten Kindergärtnerinnenseminaren. Bezogen auf das formale Niveau und die Dauer der Weiterbildung, war die Jugendleiterin in den ministeriellen Regelungen von 1908 der Volksschullehrerin gleichgestellt. Die konservativen Frauen der Fröbelbewegung stritten vorrangig um ein Recht auf Bildung, die ihrem gesellschaftlichen Stand und ihrem Wesen als Frau entsprach. Sie stritten nicht unbedingt für einen Kindergarten, der im Sinne Fröbels als elementare Bildung allen Kindern zugute kommen sollte. Vielmehr teilte man mehrheitlich die Auffassung der kirchlichen Trägerverbände, dass die institutionelle Kinderbetreuung nur ein »Notbehelf« sein kann.


1924 bis 1945: Aus Kostengründen niedrig Qualifizierte

Auf der Grundlage der Reichsverfassung von 1919 gelang unter der sozialdemokratischen Regierung auf dem Gebiet der Sozialpolitik mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG 1924) ein entscheidender sozialpolitischer Durchbruch. Im Vorfeld hatte man auf der Reichsschulkonferenz von 1920 drei Positionen zur Organisation der vorschulischen Erziehung in Kindertageseinrichtungen erörtert: Die konfessionellen Trägerverbände hielten - unterstützt durch die nationalkonservative Zentrumspartei - daran fest, dass der Kindergarten als ein freiwilliges Angebot mit primär fürsorgerischem Auftrag in konfessioneller Trägerschaft verbleiben sollte. Vertreter der SPD sowie des »Bundes entschiedener Schulreformer« strebten an, dass der Kindergarten als unterste Stufe des allgemeinbildenden Schulwesens in staatliche beziehungsweise kommunale Trägerschaft überführt werden sollte. Der Deutsche Fröbelverband schlug zusammen mit dem Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein vor, den Kindergarten zwar dem Bildungswesen zuzuordnen, jedoch als freiwilliges Angebot zu organisieren.

Mehrheitlich entschied man sich für die Position der konfessionellen Trägerverbände. Auch wenn im RJWG gesetzlich geregelt war, dass die Genehmigungs- und Aufsichtspflicht zur Betriebsführung eines Kindergartens beim Jugendamt lag und die Bestimmungen vorsahen, dass das Personal »entsprechend ausgebildet« zu sein hatte, verfügten die kirchlichen Träger über genug Macht, um im Rahmen ihrer Beratungsfunktion Einfluss auf die Rahmenbedingungen zu nehmen. Schon aus Kostengründen wollten sie das Qualifikationsniveau der Fachkräfte niedrig halten. Mit der Etablierung der anspruchsloseren Kinderpflegerinnenausbildung eröffnete sich für die Träger relativ problemlos die Möglichkeit, diese anstatt Kindergärtnerinnen einzustellen.

In den 1920er-Jahren kam es auch zum Aufbau eines modernen Berufsschulwesens. Erfolgreicher Abschluss einer Volks- oder Realschule war - je nach Ausbildungsrichtlinien - Voraussetzung für eine Lehre. Das Abitur berechtigte zum Hochschulstudium. Die Grundform der beruflichen Bildung, die sich an männlichen Ausbildungsberufen orientierte, war das duale Ausbildungssystem. Vollzeitschulisch geregelte Ausbildungen waren überwiegend den neu entstandenen Frauenberufen vorbehalten. Formal handelte es sich bei den Seminaren für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen um Berufsfachschulen. Ein Ministererlass von 1925 schrieb vor, dass vor Eintritt in die Kindergärtnerinnenausbildung eine einjährige hauswirtschaftliche Ausbildung zu absolvieren war. Diese Regelung hatte bis 1967 Bestand.

Fachschulen waren im System der beruflichen Bildung weiterführende Schulen, an denen nach mehrjähriger Berufspraxis ein Geselle zum Meister ausgebildet wurde. In Analogie dazu wurde die Jugendleiterinnenausbildung auf das formale Niveau einer Fachschule angehoben. Der Jugendleiterinnenberuf als Aufstiegsberuf eröffnete der Kindergärtnerin eine berufliche Karriere. Nach mehrjähriger Berufserfahrung als Kindergärtnerin konnte sie in der zweijährigen Ausbildung zur Jugendleiterin zwischen drei Arbeitsschwerpunkten wählen: der Lehrtätigkeit an einem Kindergärtnerinnenseminar, der Leitung einer mehrgruppigen Kindertageseinrichtung oder der Referentin/Fachberaterin in einem Jugendamt.


1967 bis 1990: Praxisferne Verschulung in der BRD

Anstoß für eine Zusammenführung der bisher getrennten Ausbildungsgänge für die Arbeitsfelder Kindergarten/Hort einerseits sowie Heimerziehung und Jugendarbeit andererseits war das 1962 in Kraft getretene Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG). Obwohl es seitens der öffentlichen und freien Träger von Kindertageseinrichtungen eigentlich keinen Reformbedarf, bezogen auf die Ausbildung des Fachpersonals, gab, widersetzten sie sich einer Neuordnung der sozialpädagogischen Berufe nicht. Zumal der Fachkräftebedarf aufgrund der im JWG neu hinzugekommenen Leistungen einer »freiwilligen Erziehungshilfe« (heute: »Hilfen zur Erziehung«) gestiegen war. Diese so genannte Breitbandausbildung und die damit in Zusammenhang stehende Einführung der Berufsbezeichnung Erzieherin/Erzieher war also nicht als großer Wurf einer fachlich fundierten Offensive zur Professionalisierung des Berufs zu verstehen - auch weil sie mit der Abschaffung der Aufstiegsmöglichkeit zur Jugendleiterin verbunden war. Dies bedeutete aus fachpolitischer Sicht nicht nur die Zerschlagung eines aufeinander abgestimmten Qualifikationssystems, sondern langfristig eine Absenkung des Fachlichkeitsanspruchs, eine praxisferne Verschulung der Ausbildung und Unschärfe im Berufsprofil.

Rückblickend kann man die Neuordnung der Ausbildung von 1967 getrost als Konstruktionsfehler bewerten, der bis in die 1990er-Jahre hinein die Reformbemühungen von Fachverbänden und Gewerkschaften um eine Professionalisierung des Berufsfeldes Kindertageseinrichtung blockierte.

Im Unterschied zur Kindergärtnerin in der DDR, die nach Ausbildung und Status, Verdienst und sozialer Absicherung den Lehrerinnen und Lehrern an Grundschulen nahezu gleichgestellt war, galt der Beruf in der Bundesrepublik Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung als kein eigentlicher Beruf. Auf Trägerebene stritt man in den 1970er- und 80er-Jahren, wie viel Ausbildung für den Beruf überhaupt notwendig sei, da man davon ausging, dass er doch nur zeitlich begrenzt ausgeübt wird und den ohnehin vorhandenen Fähigkeiten einer Frau entspricht. Vorherrschende Meinung bei den Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes war, dass die Tätigkeit von Frauen in Kindertageseinrichtungen lediglich eine »Teilbefähigung der für den Haushalt und Kinder erforderlichen Gesamtbefähigung der Frauen« (Frister 1975) beanspruche.


1990 bis 2012: Gestiegene Anforderungen an das Personal

Das bis in die 1990er-Jahre auf familienpolitischer Ebene hineinwirkende Denksystem bezüglich der Rollenaufteilung von Mann und Frau - von der OECD (2004) auch als »Maternalismus« apostrophiert - brach auch aufgrund der Wiedervereinigung in Deutschland endgültig auseinander. Die Widersprüche zwischen einer am traditionellen Familienbild orientierten Politik und der Lebenswirklichkeit von Familien waren zu offensichtlich, sodass sich der Prozess allmählich umkehrte und die Lebenswirklichkeit der Familien in das politische Entscheidungssystem hineinwirkte. Dieser Zusammenhang von Politik und Pädagogik fand auf gesetzlicher Ebene seinen Niederschlag im Kinder- und Jugendhilfegesetz, wo der Erziehungs- und Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen geregelt wurde, und im nachträglich eingefügten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem Jahr 1996. Auch die Öffnung des europäischen Binnenmarktes trug dazu bei, das System der Kinderbetreuung in Deutschland zu reformieren und die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher mit denen in anderen europäischen Ländern abzugleichen.

Inzwischen ist die Kindertageseinrichtung zu einem unverzichtbaren Bestandteil der gesellschaftlichen Grundversorgung in Deutschland geworden und ihr pädagogischer Handlungsansatz ist nicht mehr dem Vorwurf der Beliebigkeit ausgesetzt. Im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Pisa-Schulstudie haben sich die Jugend- und Kultusministerkonferenzen 2004 auf einen »Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen« verständigt und inzwischen wird in den Kindertageseinrichtungen auf der Grundlage länderspezifischer Empfehlungen für die Erziehungs- und Bildungsarbeit gearbeitet. Eine solche systematisierte Förderung kindlicher Entwicklungs- und Bildungsprozesse verlangt von den Erzieherinnen und Erziehern eine theoriebasierte, aber dennoch fall- und kontextbezogene, reflektierte Moderation, Dokumentation und Evaluation. Darüber hinaus sind weitere Aufgaben auf die Fachkräfte zugekommen: So verpflichtet der Gesetzgeber sie zur Zusammenarbeit mit den Eltern, diese in ihrer Erziehungskompetenz zu unterstützen und im präventiven Sinn zu wirken. Das Kinderförderungsgesetz sieht einen Ausbau der Betreuungsplätze für die ein- bis dreijährigen Kinder vor und auch bei Kindern im Hortalter steigt der Betreuungsbedarf. Konzeptionell bedeutet dies, dass nicht nur die direkte pädagogische Arbeit für die Erzieherin komplexer und anspruchsvoller geworden ist, sondern dass die Kita als Dienstleistungseinrichtung eine verbesserte Infrastruktur braucht, damit sie sowohl personell als auch organisatorisch ihrem Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag nachkommen kann.

Zwar wurde in der Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz von 2000/2002 für die Ausbildung und Prüfung von Erzieherinnen und Erziehern diesem gewachsenen, komplexen Fachlichkeitsanspruch an die Berufsbefähigung in didaktisch-methodischer Hinsicht Rechnung getragen. Dennoch kann niemand ernsthaft behaupten, dass das derzeitige Qualifikationsprofil des Fachpersonals von Kindertageseinrichtungen ausreicht, um den gestiegenen Anforderungen gerecht werden zu können. Mit Blick darauf, wie in anderen europäischen Ländern ausgebildet wird, und aufgrund der Erkenntnis, dass eine Teilakademisierung der Fachkräfte der Steuerung und Sicherung pädagogischer Qualität in Kindertageseinrichtungen dient, initiierte die Robert-Bosch-Stiftung 2005 das Projekt »Profis in Kitas«. Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit organisierten Bachelor-Studiengänge an Hochschulen arbeiten an einem Qualifikationsprofil einer akademisch ausgebildeten Kindheitspädagogin.

Dem Innovationsdruck, der auf dem Beruf lastet, will zudem seit 2009 die Weiterbildungsinitiative WiFF - angesiedelt am Deutschen Jugendinstitut - nachkommen. Ziel ist es, durch ein differenziertes und standardisiertes Weiterbildungsangebot nicht nur das Qualifikationsprofil der Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen weiterzuentwickeln und den gewachsenen Anforderungen in der Berufspraxis anzupassen. Stattdessen soll auch im Rahmen eines noch zu erstellenden, in sich stimmigen Aus- und Weiterbildungssystems die Durchlässigkeit und Anrechenbarkeit der beruflichen Bildungsgänge auf fach- und hochschulischem Niveau mitgestaltet werden.


DIE AUTORIN

Sigrid Ebert war stellvertretende Direktorin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, Berlin, und langjährige Vorsitzende des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes. Im Rahmen der Startphase des Projekts »Profis in Kitas« (PiK) war sie als Gutachterin für die Robert Bosch Stiftung tätig.


LITERATUR

EBERT, SIGRID (2006): Erzieherin - ein Beruf im Spannungsfeld von Gesellschaft und Politik. Freiburg

EBERT, SIGRID (Hrsg.; 2010): Die Kita als lernende Organisation. Freiburg

FRISTER, ERICH (GEW 1975; Hrsg.): Ausbildung für sozialpädagogische Berufe. Frankfurt am Main

OECD (2004): Die Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Länderbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

DJI Impulse 2/2012 - Das komplette Heft finden Sie im Internet unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 2/2012 - Nr. 98, S. 30-32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2012