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SCHULE/285: Projekt - Leselust statt Lesefrust (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 7-12/2009

Leselust statt Lesefrust
Projekt will Schüler dafür begeistern, mehr zu schmökern

Von Petra Görlich


Deutsche Schüler lesen schlecht. Seit Jahren schätzen internationale Studien die Lesekompetenz der Mädchen und Jungen als nur mittelmäßig ein. Der an der Universität Potsdam angesiedelte Innovationsverbund Schule-Hochschule Brandenburg (iVB) will diesem Problem jetzt in einem neuen Projekt entgegenwirken. Mit unkonventionellen Unterrichtsmethoden soll die Lesemotivation von Siebtklässlern gesteigert werden. Die Beteiligten geben sich vorsichtig optimistisch.


Die Ergebnisse aus den PISA-Studien brachten es ans Licht: Die Lesemotivation bei Kindern und Jugendlichen in der Bundesrepublik ist so gering wie nirgendwo sonst in den Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Anlass genug, nach Wegen aus der Misere zu suchen. Guido Mayus aus dem iVB, drei Lehrerinnen und eine Referendarin der Voltaire-Gesamtschule Potsdam waren sich darin einig, als sie gemeinsam ihr Projekt "Leselust statt Lesefrust" starteten. Das Team unter Leitung von Professor Wolfgang Lauterbach will die Möglichkeiten und Grenzen so genannter "binnendifferenzierter Lernarrangements" zur Steigerung der Lesemotivation testen. Dabei sind unterschiedliche Lerntypen und Leistungsniveaus zu berücksichtigen, ebenso die Lesebiografien und die besonderen Vorlieben von Jungen und Mädchen. Bisherige Untersuchungen besagen, dass 52 Prozent der Jungen im Alter von 15 Jahren überhaupt keine Lust haben zu lesen. Bei Mädchen liegt die Quote deutlich niedriger. Nur 26 Prozent, so wissen die Forscher heute, halten vom Schmökern wenig.

Auch wie, was und warum gelesen wird, unterscheidet sich stark. "Jungen erfassen häufiger nur die ersten Zeilen und entscheiden sich dann sehr schnell, ob sie ein Text interessiert oder nicht. Ohnehin bevorzugen sie die elektronischen Medien, setzen auf Information", erklärt Guido Mayus. "Mädchen hingegen lesen gründlicher, versenken sich eher in Romane oder Erzählungen, wollen sich von einer Geschichte mitreißen und unterhalten lassen." Die Auswahl der Literatur im Deutschunterricht sei vor diesem Hintergrund enorm wichtig.

Guido Mayus und seine Arbeitsgruppe entwickelten deshalb eine neuartige Unterrichtseinheit von zehn Doppelstunden für die 7. Klassen der Potsdamer Voltaire-Gesamtschule, die mit der Universität schon seit längerem kooperiert. Anstelle von Büchern wählten die Wissenschaftler zunächst Zeitschriften mit spannenden Themen aus. Was die Schüler interessiert, darüber tauschen sie sich aus oder sie surfen im Internet, um noch mehr über eine Sache zu erfahren. Die Mädchen und Jungen verständigen sich darüber auch im Chat. Am Ende soll in den Klassen eine eigene Zeitschrift entstehen, deren eingereichte Beiträge vorab gründlich diskutiert werden. Die Wissenschaftler nennen das Anschlusskommunikation. Und die sei beim Lesen "ungeheuer wichtig, weil sie motivierend wirkt", begründet Guido Mayus die Strategie.

Den Vorher-Nachher-Effekt dieser Unterrichtmethoden registrieren die Forscher mittels einer schriftlichen Befragung. Die Aussagen der Schüler vor und nach der Unterrichtseinheit und auch am Ende des vergangenen Schuljahres sollen Aufschluss darüber geben, ob sich das Leseverhalten verändert hat. Die ersten Daten lassen bei Guido Mayus und seinen Mitstreitern vorsichtigen Optimismus aufkommen. Es scheint einen Aufwärtstrend zu geben. Mehr Schüler als zuvor gaben zumindest an, dass das Lesen in Zeitungen und Zeitschriften für sie an Bedeutung gewonnen hätte. Die Anzahl derjenigen, die sich jetzt täglich in Zeitungen informieren, ist gestiegen. Vor allem Jungen holten auf. Inwieweit die Ergebnisse signifikant sind, bleibt aber noch abzuwarten. Ebenso unklar ist derzeit, ob es auch hinsichtlich der Motivation Fortschritte gibt. "Wir benötigen hierzu auf jeden Fall noch mehr Daten", sind sich alle Akteure einig. Im nächsten Schuljahr sollen deshalb die Teststunden weitergehen. Erst in zwei Jahren wird das gesamte Projekt beendet sein.

Das iVB will mit diesem und weiteren Aktivitäten erreichen, dass Schulen des Landes Brandenburg gemeinsam mit der Universität Potsdam brisante Fragen und aktuelle Bildungsprobleme angehen. Forschungsprojekte müssen verstärkt in der Praxis erprobt und wissenschaftlich ausgewertet werden. So sieht es auch das Brandenburgische Bildungsministerium, das zusammen mit der Universität Potsdam die finanziellen Mittel hierfür zur Verfügung stellt.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 7-12/2009, Seite 23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2010