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SCHULE/310: Kartoffelchips im Chemieunterricht (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 4/2010

Kartoffelchips im Chemieunterricht
Was naturwissenschaftliche Fächer zur demokratischen Partizipation beitragen können

Von Antje Horn-Conrad


Ob Stuttgart 21, Kernenergie oder Gentechnik - wer hier mitdiskutieren will, muss informiert sein und seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse abrufen können. Die Schulzeit aber liegt mitunter lange zurück und was im Unterricht gelehrt wurde, hinterließ für das spätere Leben oft wenig Gebrauchswert. Chemie- und Physikdidaktiker plädieren deshalb auf ihrer Jahrestagung dafür, naturwissenschaftliche Bildung stärker in der Lebenswirklichkeit zu verankern, aktuelle Debatten aufzugreifen und die Schüler sowohl mit Sachwissen als auch mit Bewertungskompetenz auszustatten.


Wenn Ingo Eilks zu Forschungszwecken Chemie unterrichtet, kann es zu Beginn der Stunde schon mal Kartoffelchips geben. Für die Schüler ein vertrautes "Lebensmittel", für den Didaktiker ein Appetithappen, mit dem er die Klasse auf den Geschmack seines Themas bringen will. Es geht um Fett, Kohlenhydrate, Salz und all die eher ungesunden Zusatzstoffe, die es auf den Verpackungen zu identifizieren gilt. Eilks knüpft an den Alltag seiner Schüler an, lenkt ihr Interesse geschickt auf die Chemie, unternimmt einen Exkurs in die Werbeindustrie, um am Ende eine fachlich fundierte Diskussion über gesunde Ernährung führen zu können.

Über seine Methoden, die in der Aktionsforschung an verschiedenen Schulen erfolgreich getestet wurden, berichtete der Bremer Professor auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP), die mit einer Rekordbeteiligung von 300 Didaktikern erstmals im neuen Physikgebäude der Universität Potsdam in Golm stattfand. Im Brennpunkt stand der "Beitrag der naturwissenschaftlichen Bildung zur Gestaltung partizipativer Demokratie". Wie also werden Schüler in Chemie und Physik darauf vorbereitet, sich als mündige Bürger am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen, wenn es beispielsweise um die Förderung von Solarenergie oder den Einsatz von Energiesparlampen geht?

Für den Tagungsleiter Helmut F. Mikelskis ein aktuelles, aber kein neues Thema. Seit den 1970-er Jahren schon engagiert sich der heutige Potsdamer Professor für Physikdidaktik für einen stärkeren Gesellschaftsbezug seines Fachs. Auch damals ging es bereits um Kernkraftwerke, um alternative Energien, Umweltschutz und Abrüstung. Themen, die in den eher theoretischen, an der Disziplin orientierten Schulbüchern kaum eine Rolle spielten. "Heute ist das anders", sagt Mikelskis und schlägt ein aktuelles Physikbuch auf, das er selbst mit verfasst hat. Reich bebildert erklärt es physikalische Gesetzmäßigkeiten an Gegenständen und Phänomenen, die die Schüler aus ihrem Alltag kennen. Hebelwirkungen werden an der Biomechanik des eigenen Körpers erklärt. Eine gebastelte Windkraftanlage veranschaulicht alternative Energiequellen. Und um die Wärmeleitung schlecht isolierter Gebäude zu verstehen, wird der Bau eines Modellhauses aus unterschiedlichen Materialien angeregt. "Physik im Kontext" ist heute angesagt. "Viele Schüler wählen Physik oder Chemie ab, weil ihnen diese Fächer zu abstrakt sind und sie deren Bedeutung für das eigene Leben nicht erkennen können", benennt Helmut F. Mikelskis das noch immer bestehende Problem. Die Pisatests haben auf Mängel des Unterrichts hingewiesen. Die Ergebnisse sind schlecht, entsprechend fehlt der wissenschaftliche Nachwuchs. "Bis zur 10. Klasse müssen wir es schaffen, die Mädchen und Jungen zu begeistern und mit spannenden Experimenten ihr Interesse zu wecken. Wer sich anschließend für Chemie und Physik entscheidet, den kann man dann auch theoretisch mehr rannehmen", so die Überzeugung des Didaktikers.

Das wichtigste Kriterium aber sei die Relevanz des Fachs, bestätigt Chemiedidaktiker Ingo Eilks. Für die Projektarbeit empfiehlt er Themen, die echte Widersprüche benennen, gesellschaftliche Kontroversen aufgreifen und aktuell in den Medien diskutiert werden. "Das Für und Wider von Bioethanol zum Beispiel. Oder Doping als Wettrennen zwischen Erfinder und Analytiker." Die Schüler lernen hierbei, politische Aussagen, Medienberichte und Expertenmeinungen zu verstehen, kritisch zu bewerten und ihr erworbenes Fachwissen selbstbewusst anzuwenden.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 4/2010, S. 17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2011