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SCHULE/330: Schweiz - Die Volksschule schöpft das Potenzial des Klassenrats nicht aus (idw)


Schweizerischer Nationalfonds SNF - 01.12.2011

Die Volksschule schöpft das Potenzial des Klassenrats nicht aus

Schüler und Schülerinnen interessieren sich für politische Bildung


Im Klassenrat sollen Schülerinnen und Schüler sich miteinander und mit ihren Lehrpersonen in politischer Bildung und Demokratie üben - im Hinblick auf ihre Rolle als Staatsbürger. Doch die Institution, die heute zum Alltag der Volksschule gehört, erfüllt ihre staatspolitische Aufgabe kaum, wie eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Studie in den Kantonen Aargau und Solothurn zeigt.

Zunehmend sehen Lehrpläne vor, dass Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler eine Stunde pro Woche im Klassenrat zusammensitzen, damit diese soziales Lernen praktizieren, Konflikte lösen lernen und sich auf demokratische Weise in politischer Bildung üben. Diesen staatspolitischen Aspekt des Klassenrats haben die Sozialwissenschaftler Béatrice Ziegler, Alexander Lötscher und Corinne Wyss von der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz erforscht. Bei allen Unterschieden zwischen politischem System und Klassenrat bestehe zwischen den beiden eine wichtige Gemeinsamkeit, sagt Alexander Lötscher: Sie seien auf die kommunikativen Fähigkeiten und die Empathie ihrer Mitglieder angewiesen.


Lehrpersonen beanspruchen zu viel Sprechzeit

Die Forschenden haben in den Kantonen Aargau und Solothurn 14 Klassen der Sekundarstufe mittels Videoaufnahmen und Interviews analysiert und sind dabei auf zwei Formen von Klassenräten gestossen: Bei der ersten Form dominiert die Lehrperson den Klassenrat, indem sie ihn für ihre schulischen Zwecke benützt und beispielsweise die Schulreise oder die Projektwoche vorbereitet. Sie beansprucht mehr als fünfzig Prozent der Redezeit im Plenum für die Gesprächsleitung. Wenn die Jugendlichen sich einbringen, dann mit Äusserungen über ihre Freizeitgestaltung oder Erlebnisse vom Wochenende. Unter diesen Bedingungen erfülle der Klassenrat seine Aufgabe als politisches Bildungslabor kaum, sagt Alexander Lötscher.

Die zweite Form des Klassenrats schneidet besser ab, weil die Schülerinnen und Schüler die Moderation mit der Lehrperson teilen und durchschnittlich mehr als zwei Drittel der Gesprächszeit im Plenum für sich haben. Die Jugendlichen nehmen im Kreis Platz - eine wichtige Voraussetzung für den gleichberechtigten Austausch - und diskutieren über Disziplinprobleme, den Schulalltag und Unterrichtsinhalte. Sie suchen gemeinsam mit der Lehrperson einen Konsens und führen Abstimmungen durch. Der Klassenrat wird zum Lernort, an dem die Schüler Verantwortung übernehmen. - Die Idealform des Klassenrats, bei der die Jugendlichen die Gesprächsleitung alleine tragen würden, haben die Forschenden nicht angetroffen.


Partizipation trotz Einschränkungen

Obschon der Klassenrat also in vielen der untersuchten Klassen nicht optimal ausgestaltet ist, besuchen rund 90% der Jugendlichen diese Stunde gerne, weil sie hier ihre Meinung äussern und den Schulalltag mitgestalten können und die anderen ihnen zuhören. Das sei ein beachtliches Potenzial für die politische Bildung, sagt Alexander Lötscher, zumal die Jugendlichen auch sagten, am Ende entscheide leider doch oft die Lehrperson alleine. Sie lassen sich also trotz Einschränkungen nicht vom Partizipieren abhalten. Die Forschenden empfehlen den Lehrkräften, den Klassenrat vermehrt und konsequent als Instrument politischer Bildung zu benutzen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1165


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Schweizerischer Nationalfonds SNF, Abteilung Kommunikation SNF, 01.12.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2011