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FORSCHUNG/086: Suchtpotential von Sportwetten (highlights/Uni Bremen)


"highlights" - Heft 17 / September 2006
Informationsmagazin der Universität Bremen

Euphorie und Nervenkitzel als Grundlagen süchtigen Verhaltens

Die Arbeitseinheit "Angewandte Glücksspielforschung" der Universität Bremen untersucht das Gefährdungspotenzial von Sportwetten


17. Mai 2006: Für den Londoner Fußballclub FC Arsenal sieht es schlecht aus. Wenige Stunden vor dem Anpfiff des Champions-League- Finales gegen den FC Barcelona stehen die Wetten gegen die Briten. 44,10 Euro kann man gewinnen, wenn man einen Zehner auf Arsenal setzt; nur 18,5o Euro gibt es bei einem Sieg von Barcelona. Das alles bei betandwin, einem Internet-Anbieter für Sportwetten. Wie bei vielen anderen Wettanbietern auch, kann man hier sogar während des noch laufenden Spiels setzen - Spannung, Adrenalin und Nervenkitzel sind vorprogrammiert. Hopp oder topp, Geldgewinn oder leere Taschen: das sind die Mechanismen dieser Wetten. Doch sie bergen ein erhebliches Suchtpotenzial, wie mittlerweile wissenschaftlich erwiesen ist. Die Arbeitseinheit "Angewandte Glücksspielforschung" um Professor Gerhard Meyer vom Institut für Psychologie und Kognitionsforschung der Universität Bremen hat in den vergangenen Jahren verschiedene Untersuchungen zu Sportwetten und anderen Formen des Glücksspiels durchgeführt. Sie finden national und international Beachtung.

Das Fußballtoto in Form von Ergebnis- und Auswahlwette oder die seit Jahrzehnten gespielten Pferdewetten waren harmlose Anfänge der Sportwetten. Zu einem großen Thema wurden Wetten auf Sportereignisse erst im Jahr 1999 mit der Einführung der Festquotenwette durch den staatlichen Anbieter Oddset. "Das Neue: Der Spieler weiß bereits bei Abgabe der Wette genau, was er gewinnen kann", so Gerhard Meyer. Weitere Wettanbieter mit einer Lizenz aus DDR-Zeiten wie betandwin oder Sportwetten-Gera sprangen auf den Zug auf, dazu private Anbieter, deren Firmensitz im Ausland zu finden ist. Das Internet tat sein übriges. Mittlerweile boomt das Geschäft.

Dass mit Sportwetten auch Kriminalität und Sucht verbunden sein können, wurde einer breiteren Öffentlichkeit erst durch den "Hoyzer- Skandal" offenbar. Der Fußball-Schiedsrichter Robert Hoyzer hatte Spiele verschoben, auf deren Ausgang seine Auftraggeber wetteten. "Ante S., der kroatische Drahtzieher des Wettskandals, gilt als süchtiger, pathologischer Zocker", so Gerhard Meyer.

Bei Oddset mussten anfangs mindestens drei Paarungen in Kombination richtig getippt werden. Mittlerweile locken Anbieter wie betandwin sogar mit Live-Wetten während der laufenden Sportveranstaltung. "Da wird es noch gefährlicher!", urteilt Meyer. Bis zu 5000 reizvolle Sportwetten in mehr als 40 Sportarten warten: Welche Mannschaft hat Anstoß? Wer bekommt den ersten Eckball? Wer schießt das nächste Tor? Es hat sich ein Wettbewerb zwischen den Anbietern entwickelt, verbunden mit steigenden Spielanreizen, der im Widerspruch zum Gedanken der Suchtprävention steht.

"Bei der Beurteilung des Suchtpotenzials eines Glücksspiels ist das emotionale Spiel mit der Hoffnung auf Gewinn und der Angst vor Verlust entscheidend", so der Bremer Forscher. Über den Geldeinsatz erfolge die Stimulation: Ein Gewinn verursache positive Gefühle wie Euphorie, Glück, steigendes Selbstwertgefühl oder Machterleben. Bei einem Verlust seien Missstimmung und Enttäuschung die Folge. "Weil nun aber nach einem Verlust durch einen sehr schnellen neuen Einsatz, also eine rasche Spielfolge, sofort wieder positive Gefühle folgen können, findet bei vielen Sportwetten ein Verlusterleben gar nicht mehr statt", so Meyer. Hier setzt für ihn die Suchtgefährdung ein: "Entscheidend ist die hohe Ereignisfrequenz, gepaart mit vermeintlichem 'Experten-Wissen' sportbegeisterter Menschen und festen Gewinnquoten." Wie auf Droge spielen die süchtigen Wetter, um die gewünschte Stimmungslage zu erzielen. "Hier kann dann die Entwicklung einer Sucht in Reinform beobachtet werden - und das, ohne dass jemand Substanzen einnimmt."

Schon früh sind Meyer und seine Mitarbeiter der Frage nachgegangen, ob es überhaupt ein Suchtverhalten bei Sportwetten gibt. In dem Projekt "Das Gefährdungspotenzial von Lotterien und Sportwetten" ermittelten sie, wie sich die Therapienachfrage von Sportwettern entwickelt. Auftraggeber waren das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen und die Westdeutsche Lotterie GmbH. "Wir haben Kontakt zu insgesamt 44 Suchtberatungsstellen und stationären Einrichtungen hergestellt, über die wir 489 Spieler befragen konnten. Es zeigte sich, dass in diesen Einrichtungen 13 0/o der Spieler Probleme im Zusammenhang mit Sportwetten bestätigten", so Tobias Hayer aus der Arbeitseinheit. "Auffallend: Zum einen mangelt es an Spielerschutzmaßnahmen. Zum anderen hat relativ schnell nach Einführung der Sportwetten eine Behandlungsnachfrage eingesetzt. Für uns ist das ein klarer Hinweis auf ein erhöhtes Gefährdungspotenzial."

Den Erkenntnissen der Bremer Forscher zufolge ist dieses nicht zu unterschätzen: "Das ist ein Milliardenmarkt. Abgesehen von Lotto wird für keine andere Glücksspielform so aggressiv geworben", sagt Gerhard Meyer. Die Reaktion des Staates auf diese Gefährdung war bislang verhalten - kein Wunder: "Da, wo der Staat sich selbst kontrolliert, funktionieren die Kontrollen nicht wirklich. Wünschenswert ist daher eine unabhängige Instanz zur Regulierung des Glücksspielmarktes". Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum staatlichen Monopol für Sportwetten ist jetzt Bewegung in die Szene gekommen (siehe Kasten).

Mit Untersuchungen wie dieser hat sich die Arbeitseinheit mittlerweile einen Namen gemacht. Seit 2002 wurden Drittmittel-Projekte in Höhe von mehr als einer Million Euro durchgeführt. Für Casinos Austria untersuchen die Bremer Wissenschaftler beispielsweise die Effektivität von Spielsperren, die dem Selbstschutz von süchtigen Zockern dienen. In einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermittelten sie psychobiologische Grundlagen des pathologischen Spielverhaltens. Meyer: "Das war weltweit die erste Studie, in der während des Glücksspiels im Casino Daten erhoben wurden. Wir haben beispielsweise die Herzfrequenz gemessen und Blutproben genommen, um die Konzentration von Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol, Endorphin und Dopamin zu ermitteln, das Rauscherleben also physiologisch und biochemisch nachvollziehbar gemacht." Doch auch die Konzeption und Umsetzung von Spielerschutz in Kooperation mit Glücksspielanbietern, Studien zur Beschaffungskriminalität von süchtigen Spielern oder forensische Tätigkeiten vor Gericht - etwa bei der Begutachtung der Schuldfähigkeit - zählen zu den Tätigkeiten der Bremer Forscher.


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Kasten:

Noch hat der Staat ein Monopol für Sportwetten - aber dagegen wird geklagt. Auch private Wettanbieter wollen legal einen Teil des Kuchens abhaben. Am 28. März 2006 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das staatliche Monopol für Sportwetten in seiner gegenwärtigen Form nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Der Gesetzgeber muss bis spätestens Ende 2007 den Bereich der Sportwetten neu regeln und damit "unverzüglich" beginnen. Das staatliche Monopol müsse konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet sein. In seiner Urteilsbegründung berief sich das Gericht mehrfach auch auf die Forschungsergebnisse von Gerhard Meyer und seinen Mitarbeitern. Meyer selbst erwartet für die Zukunft weitere rechtliche Auseinandersetzungen zu diesem Thema - "denn das ist ein äußerst lukrativer Markt, auf dem es viel zu verdienen gibt."


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Kontakt:

Prof Dr. Gerhard Meyer
Institut für Psychologie und Kognitionsforschung
Universität Bremen, Fachbereich 11
Postfach 330440, D-28334 Bremen
Tel. 0421/218-2193
Fax 0421/218-4600
E-Mail gerhard.meyer@uni-bremen.de
www.ipk.uni-bremen.de/glueck.html


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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
9. Jahrgang, Heft 17 / September 2006, Seite 14-17
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Universitäts-Pressestelle
Postfach 330440, 28334 Bremen
Telefon: 0421/218-27 51, Fax: 0421/218-42 70
E-Mail: presse@uni-bremen.de
WWW: www.uni-bremen.de/campus/campuspress/highlights

"highlights" erscheint zweimal jährlich und ist erhältlich bei der Universitäts-Pressestelle.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2007