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RATGEBER/033: Rede nicht immer über mich! (welt der frau)


welt der frau 4/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Rede nicht immer über mich!
Ist es angemessen, mit anderen und vor dem eigenen Kind dessen Entwicklung zu erörtern?

Von Eva Heistracher


Nach einer anregenden Unterhaltung mit einer Freundin verabschiede ich mich. Mein sechsjähriger Sohn Simon steht in der Tür und schaut mich eindringlich an: "Mama, du sollst nicht immer über mich reden", sagt er mit strenger Stimme. Ich reagiere erstaunt und bin nicht ganz sicher, was ihm so Unbehagen bereitet hat. Auf dem Heimweg erläutert er mir dann: Eine lustige Geschichte dürfe ich schon über ihn erzählen. Aber alles andere möchte er lieber selber sagen. Da soll ich besser still sein.

Aha. Etwas leichtfertig verspreche ich Besserung.

Iris ist langsam?

Am darauf folgenden Wochenende bekommen wir Besuch von einer befreundeten Familie. Wir sitzen am Tisch bei Kaffee und Kuchen und die Kinder sind mit Magnetkugeln beschäftigt. Birgit beobachtet ihre Töchter eine Zeit lang beim Spiel und meint dann: "Leider ist Iris in allem viel langsamer als Sarah. Die Große hat schnell den Dreh heraußen, weiß gleich, wo es langgeht. Iris hingegen ist oft richtig hilflos." Der Vater nickt zustimmend und setzt noch eins drauf: Iris tue sich schwer mit Gleichaltrigen. Ganz im Gegensatz zu ihrer großen Schwester, die viele Freundinnen habe.

Iris rutscht unbehaglich auf dem Sessel hin und her und beißt sich fest auf die Unterlippe. Wie oft wird sie das schon gehört haben: "Schnecke", "nicht so vif wie ihre Schwester"... Ein Frontalangriff auf ihr Selbstwertgefühl. Möglicherweise hat sie die Aussagen ihrer Eltern schon verinnerlicht: Sie ist eine, die nicht ganz recht ist, schwierig und kontaktarm. Dabei scheint sie doch ein ganz aufgewecktes Mädchen zu sein.

Grenzübertritt verboten

Ich beginne besser zu verstehen, was Simon mit seinem strikten "Redeverbot" gemeint haben könnte: Was von "wohlmeinenden" Eltern in ihrem Erzähl- und Erörterungseifer über ihr Lieblingsthema Kind(er) als kurzweilig und spannend erlebt wird, kann für die "Erzählobjekte" unangenehm und verletzend sein.

Es passiert immer wieder, dass wir über Kinder und nicht mit ihnen sprechen. Dabei übertreten wir unbemerkt ihre noch weichen Grenzen, indem wir in ihrer Gegenwart durchaus persönliche Dinge preisgeben, beurteilen, vergleichen, bewerten, kritisieren und dies in einer Form, die wir anwesenden erwachsenen Personen niemals zumuten würden. Wir Erwachsenen sind oft schnell mit unseren subjektiven Einschätzungen, die wir vor den Kindern und über sie zum Besten geben und die sich, wenn auch nur beiläufig dahingesagt, zu negativen Überzeugungen und Vorurteilen auswachsen können.

Stellen wir uns vor: Wir besitzen von Geburt an ein unsichtbares "Haus", das am Beginn unseres Lebens noch ganz leer ist und sich allmählich mit Erlebnissen und Erfahrungen aller Art füllt, mit Erfolgen, Enttäuschungen, Lob, Trost und Kritik. Dieses Haus tragen wir unser ganzes Leben mit uns herum und es bildet unsere emotionale Basis. Sein Inhalt bestimmt, wie wir unsere sozialen Beziehungen gestalten, ob und wie wir uns neuen Herausforderungen stellen und wie wir in zukünftigen Situationen reagieren. Dabei können Festschreibungen sehr prägend und erschwerend für das spätere Leben sein und als Stacheln aus Kindheitstagen lange schmerzen.

Alle Kinder musikalisch?

Mein Vorsatz, nicht mehr so viel über die Kinder zu reden, wird bald darauf auf die Probe gestellt. Auf dem Weg zu einem Vorspielabend werde ich von einer Bekannten gefragt. "Sind eigentlich alle eure Kinder musikalisch?" Eine verlockende Frage. Da könnte ich ja gleich herrliche Vergleiche anstellen und die unterschiedlichen Vorlieben und Begabungen der Kinder analysieren und darstellen... Doch diesmal schaffe ich eine kurze Antwort und sage nur lapidar: "Ja, ja, bestimmt! Oder was meint ihr, Kids?"

PS: Simon hat die sich auf ihn beziehende Passage des Beitrages ausdrücklich bewilligt.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 3/2007, Seite 10
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2007