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RATGEBER/055: Pubertät - Wenn die Eltern schwierig werden (welt der frau)


welt der frau 6/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

PUBERTÄT
Wenn die Eltern schwierig werden

Von Martina Rammer


Das Kinderzimmer ist kaum mehr zu betreten, in den Ohren der Teenies sind die Kopfhörer schon festgewachsen und schulische Leistungen sind "völlig wurscht". Elterliche Kritik wird mit einem gelangweilten Blick von unten nach oben oder mit verbalen Schmankerln erwidert: "Ihr seid die peinlichsten Eltern, die es gibt." Herzlich willkommen in der Pubertät!


Die Pubertät der Mädchen:
Mama, wie du möchte ich nie werden!

Vor allem Mädchen sind mit ihrem Selbstbild oft sehr unzufrieden. Franz Resch, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Heidelberg, hat mit seiner Arbeitsgruppe über 5.000 Fragebögen von Fünfzehnjährigen ausgewertet. Dabei ist den ForscherInnen aufgefallen, dass etwa ein Drittel der normalgewichtigen Mädchen sich als zu dick empfindet. Noch beunruhigender sind Selbstmordgedanken bei Teenagern, die immerhin 16,8 Prozent der Mädchen und 8,3 Prozent der Jungen gelegentlich verfolgen. Gerade in diesem Unglücklichsein mit sich und der Welt vermuten einige ForscherInnen auch einen Grund, warum Jugendliche so empfänglich für Drogen sind. Psychoaktive Stoffe regen im Gehirn vor allem Dopaminrezeptoren an, die das Belohnungszentrum stimulieren und einen gewissen Glückszustand erzeugen.

Sich in seinem Körper glücklich und gut fühlen, bei anderen Mädchen und vor allem älteren Burschen ankommen, das sind die ganz zentralen Themen von Mädchen in der Pubertät.

Fernsehserien, wie die Topmodel-Show mit Heidi Klum, sind für pubertierende Mädchen eine Welt voll Glitzer und Glamour, in die sie gerne eintauchen, die aber völlig falsche Ideale vermittelt. Du bist nur eine interessante Persönlichkeit, wenn dein Äußeres perfekt ist. Sich schminken, sexy anziehen und betörend wirken ist hier das Um und Auf. Und wer möchte nicht begehrenswert und beliebt sein?

Die Sorgen der Mütter

Die meisten Mädchen beherrschen den Umgang mit Glätteisen, Eyeliner und Wimperntusche erschreckend gut und manche Mutter ist erstaunt über die Talente, die ihre Tochter auf diesem Gebiet hat. Wenn dann allerdings die dreizehnjährige Tochter aussieht wie achtzehn und in diesem Aufzug außer Haus gehen möchte, brennen bei vielen Müttern die Sicherungen durch. Sie machen sich Sorgen um das eigene Kind, das Signale aussendet, und das mit den Reaktionen seines Umfelds nicht umgehen kann. Dazu kommen noch eigene Erfahrungen und Ängste, die unbewusst auf die Töchter übertragen werden. Eben war man noch engste Vertraute, plötzlich erleben Mütter eine scharfe Abgrenzung durch die Tochter. Diese ist aber wichtig für junge Mädchen.

Verletzungen inbegriffen

Oft wird in der Pubertät eine Verhaltensweise, die der Mutter besonders wichtig war, verworfen, um sie später wieder hervorzukramen und als gut zu befinden. Der Satz: "Ich möchte niemals so werden wie du", tut jeder Mutter sehr weh. Dass die Intensität, die in verletzenden Sätzen steckt, von Pubertierenden eine Spontanemotion darstellt, kann man als Mutter zwar verstehen, die Verletzung muss man trotzdem irgendwie wegstecken.

Mit anderen Eltern über die Emotionen, die Teenager in einem wachrütteln, zu reden, hilft vielen Eltern ungemein. Verletzendes Verhalten wird dadurch relativiert, Erleichterung und vielleicht sogar ein Schmunzeln machen sich wieder breit.


Die Pubertät der Buben:
Sind wir nicht cool? Ja, mit Kuschelbedürfnis!

Sie tragen übergroße T-Shirts, die Hose weit unter der Gürtellinie und wirken dabei wie verkleidete Kinder. Sie haben Handys, die allerlei können, und nichts ist ihnen peinlicher als Eltern, die vor ihren Freunden Fürsorge demonstrieren. Buben in der Pubertät sind für ihre Umwelt oft schwer erträglich, aber auch sie selbst leiden unter der "Tyrannei des Cool-Seins", wie die Sozialwissenschaftlerinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer die starren Benimmregeln unter männlichen Teenagern nennen.

Ihr Fazit: Mit der Pubertät verlieren Buben ihre Empfindsamkeit, ihren Mut, zu den eigenen Besonderheiten zu stehen, ihre "Farbe". Von Erwachsenen erfahren sie wenig Ermutigung, Eltern und LehrerInnen überlassen Heranwachsende viel zu früh sich selbst. Engagierte LehrerInnen setzen sich mittlerweile viel stärker für Mädchen als für Buben ein, kritisieren Benard und Schlaffer. Mütter - auch für Mini-Machos oftmals die wichtigste Bezugsperson - zögen sich zu früh von ihren Söhnen zurück, aus Angst, sie zu verweichlichen. Zu Töchtern hielten hingegen beide Elternteile auch während der Pubertät engen Kontakt. "Die Jungen sind die Verlierer der Moderne", lautet die auf den ersten Blick überraschende Schlussfolgerung der Sozialwissenschaftlerinnen.

Überall nur Frauen

Viele Buben wachsen mit wenigen bis gar keinen männlichen Identifikationsfiguren auf. Die Kindergärtnerin, die Volksschullehrerin und die Mittelschullehrerinnen, ringsum Frauen, die begleiten. Wenn die Mütter dann noch alleinerziehend sind, begegnen Buben oft erst in der Mittelschule dem ersten männlichen "Erzieher" - meist in Form des Turnlehrers.

Durch den stark gestiegenen Anteil weiblicher Lehrkräfte in der Schule habe sich beispielsweise das "weibliche" Erziehungsideal "Diskussion und Kooperation statt Konfrontation" stärker verbreitet. Ein kleiner Macho auf Selbstsuche passe sich diesen Wünschen jedoch oft nur oberflächlich an. Es gibt für Buben einfach nicht genug Mutproben und Wettbewerbssituationen, genau diese brauchen sie aber auf dem Weg zum Mann. Buben in der Pubertät suchen ständig nach Herausforderungen. Das zeige unter anderem die Tatsache, dass risikoreiche Trendsportarten fast ausschließlich von Burschen ausgeübt werden.

Frontalhirn reift später

Kognitive Fähigkeiten bilden sich früher aus als moralische Vorstellungen. Das ist die Reihenfolge in der Hirnreifung und erklärt, wieso Jugendliche so viel riskieren und sich oft richtig daneben benehmen. Nach neuesten neurologischen Befunden haust die Vernunft nämlich im Frontalhirn. Ausgerechnet diese Region lässt sich beim Reifen viel Zeit, besonders bei Buben. Kein Wunder also, dass sie häufiger verunglücken als gleichaltrige Mädchen - und allgemein die Unfalltodesrate bei Jugendlichen fast dreimal so hoch ist wie bei Kindern unter acht Jahren. Gerade für Buben ist es besonders schwierig, mit Gefühlen wie Unsicherheit und Schwäche gesund umzugehen, sie fürchten den Verlust ihrer Männlichkeit. Es gibt zahlreiche Arten, diese männliche Grundangst zu kompensieren: aggressives Verhalten, Übergriffigkeit gegenüber Mädchen, Mobbing von MitschülerInnen, harte Kämpfe mit den Eltern und vieles mehr.

Andere reagieren eher mit Rückzug, depressivem Verhalten oder Flucht in Alkohol- oder Drogenkonsum. In gewisser Weise besteht die elterliche Funktion während der Pubertät darin, die Wut erzeugende Widersprüchlichkeit des Heranwachsenden auszuhalten und durchzustehen. Je mehr sich Jugendliche in ihrer Widersprüchlichkeit von Wut, Zuneigung, Trauer und Abhängigkeit an ihren Eltern austoben und reiben können, desto befreiter werden sie erwachsen.


ZEIT FÜR GEMEINSAMES
So unterstützen Sie Ihr Kind in der Pubertät

• Es ist ein großer Fehler, wenn Eltern glauben, sie müssten ihre Kinder ganz in Ruhe lassen, wenn sie sich abkapseln", sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Franz Resch. Nie dürfe eine Beziehung aufgegeben werden. Denn um eine neue Welt zu entdecken und aufzubauen, dient die alte als Fundament.

• Versuchen Sie nicht, Konflikte zu vermeiden, sondern sprechen Sie Probleme deutlich an. Frauen neigen dazu, in schwierigen Situationen nicht direkt zu agieren, sondern über Umwege wie zum Beispiel Liebesentzug oder Verbote zu zeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist.

• Sprechen Sie Ihre Sorgen an, statt alles über Verbote oder die zur Schau gestellte Sorgenfalte zu regeln.

• Mit dem Erwachsenwerden sollte auch die Verantwortung steigen - für Aufgaben im Haushalt, für Haustiere, den Umgang mit Geld usw. Mütter machen sich oft selbst zu "Hausangestellten", statt Mithilfe einzufordern.

• Machen Sie Ihre Tochter nicht zur Verbündeten oder Problemberaterin. Es ist zwar schön, ein freundschaftliches Verhältnis zu haben, aber es gibt Probleme, die lieber mit der erwachsenen Freundin oder dem Partner besprochen werden sollten.

• Buben dürfen auch schwach, ängstlich und traurig sein. In der Familie sollten Tränen oder Schwäche bei Buben nicht tabu sein oder zu herablassenden Bemerkungen führen. Freuen Sie sich, dass Ihr Sohn Emotionen zulassen kann.

• Wenn Sie sich Sorgen machen, etwa bei auffälligem Essverhalten, scheuen Sie sich nicht, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Beratungsstellen helfen Ihnen weiter.

• Mädchen und Burschen sollten über Schwangerschaftsverhütung und Aids-Prävention Bescheid wissen. Wenn Sie sich das alleine nicht zutrauen, bekommen Sie Hilfe bei FrauenärztInnen oder Beratungsstellen.

• Ihr Kind will Zeit mit Ihnen verbringen! Stellen Sie Zeit für gemeinsame Unternehmungen und Gespräche zur Verfügung. Gerade Eltern, die sich vom trotzenden Pubertierenden abgelehnt fühlen, unterschätzen ihre Rolle als Vorbild, Ansprechpartner und Unterstützung.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Juni 2010, Seite 17-19
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2010