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SOZIALES/119: Sichere Ausbildung für Eltern (MünchnerUni Magazin)


MünchnerUni Magazin 02/2009
Zeitschrift der Ludwig-Maximilians-Universität München

Sichere Ausbildung für Eltern
Innig verbunden von Anfang an

Von Anja Burkel


Eine feste, positive Verbindung zu ihrem Kind wünschen sich wohl alle Eltern. Die SAFE-Kurse des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der LMU unterstützen sie dabei - von der Schwangerschaft bis zum vollendeten ersten Lebensjahr des Kindes. SAFE steht für "Sichere Ausbildung für Eltern" und hilft Müttern und Vätern, eine sichere Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Dabei soll auch verhindert werden, dass traumatische Erfahrungen über Generationen hinweg weitergegeben werden.


Bald werden Klaus Denkl und Karin Hoyler zu dritt sein. Ein Junge! Auf den Kleinen will sich das Paar gebührend vorbereiten - nicht nur mit winziger Babykleidung und Schubladen voller Windeln, sondern auch mit einem Seminar. "Wir wollten aber keinen Kurs, in dem man nur technisch das Wickeln und Füttern lernt", erklärt Karin Hoyler, "sondern eher etwas auf der psychologischen Ebene." In der Zeitung lasen sie von den SAFE-Kursen des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der LMU. Was Klaus Denkl besonders ansprach: "Dass der Kurs mit einem Forschungsprojekt der Universität verknüpft ist. Das klang fundiert und seriös." Nun sitzen die Hotelfachfrau und der Marketingexperte mit sechs anderen Schwangeren und ihren Partnern beim SAFE-Seminar im Münchener Café Glanz. Ihre Vornamen stehen auf Papierschildern auf dem großen Holztisch, neben Nusskuchen und Tulpen.

Die Teilnehmerinnen des Kurses sind allesamt hochschwanger; einige halten die Hand ihres Partners. Viele Fragen haben die werdenden Eltern: Wie stelle ich es an, eine gute Mutter zu sein - und erst recht ein guter Vater? Soll das Kind in die Krippe - ja oder nein? Braucht schon ein Baby Grenzen? Was tun, wenn es schreit oder partout nicht einschlafen kann? Wie verhindere ich, eigene traumatische Kindheitserlebnisse an mein Kind weiter zu geben?

SAFE will Eltern helfen, Sicherheit im Umgang mit dem Baby zu entwickeln. So sollen sie dem Kind eine sichere Bindung - ähnlich dem Urvertrauen - vermitteln können. In den Kursen des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der LMU sollen werdende Eltern "ihre intuitiven Kompetenzen stärken und sich über die körperliche, geistige und emotionale Entwicklung von Kindern informieren", wie es offiziell in der Broschüre heißt. Das Programm richtet sich an künftige Mütter und Väter bis etwa zur 25. Schwangerschaftswoche. An vier Sonntagen vor der Entbindung werden Themen wie die vorgeburtliche Bindung und Emotionen in der Schwangerschaft behandelt; in dieser Phase befinden sich Klaus Denkl und Karin Hoyler gerade. Die künftigen Eltern werden dabei auch auf die kommenden Achterbahngefühle vorbereitet: Da hat man hat sich vorgenommen, die ideale Mutter oder der ideale Vater zu sein - aber das Kind schreit ständig, der Haushalt sieht aus wie nach einem Bombeneinschlag und beruflich schafft man es nicht mal, die E-Mails zu checken.

An vier weiteren Kurstagen nach der Geburt hält SAFE Rat und Informationen bereit, etwa zur emotionalen Entwicklung des Kindes, zu möglichen Verhaltensauffälligkeiten - aber auch zum Umgang mit eigenen Bedürfnissen. Und unter anderem geht es darum, was passiert, wenn aus einem Liebes- ein Elternpaar wird.

Die Kinderkrankenschwester Laura Weichhart leitet, zusammen mit der Psychologin Walburga Bittner, das Seminar. Sie zeigen Eltern bereits in der Schwangerschaft, wie man feinfühlig, prompt und angemessen auf die Signale des Kindes reagiert. So sollten Eltern darauf eingestellt sein, erklären die beiden, dass Kinder sich "intensiver und emotionaler" verhalten als Erwachsene und für ihr Seelenheil auch weinen dürfen und müssen. Auf DVDs führen die Kursleiterinnen typische Szenen zwischen Eltern und Kind vor, die die Bindung beeinflussen können. Eine Filmszene zeigt eine junge Mutter beim Stillen, mit freundlichem Blick spricht sie leise auf das Baby ein. "Beim Wickeln", erklärt Walburga Bittner den Schwangeren und ihren Freunden und Männern, "ist es wichtig, immer wieder den Blick des Kindes zu suchen". Auch das stärke - ganz nebenbei - die Bindung.

In einer anderen Filmszene sitzen die junge Mutter, ihr Baby und die kleine Tochter gemeinsam auf dem Sofa. Als die Tochter sich dem jüngeren Bruder allzu wild nähert, ihm ins Gesicht fassen will und unsanft nach ihm schnappt, hält die Mutter nur schützend eine Hand zwischen die beiden, ohne das Mädchen zu schimpfen. Nachdem die Kursleiterin Laura Weichhart den Film gestoppt hat, interpretiert und bewertet sie die Situation: "Die Mutter schützt das Baby mit dieser Geste, ohne die Tochter zusätzlich verbal zu ermahnen. Sie verhält sich sehr feinfühlig." Eine junge Kursteilnehmerin mit kurzen Haaren und Strickjacke ist überrascht: "Also ich hätte da schon längst etwas zu dem Mädchen gesagt", murmelt sie und malt sich mit dem Finger Kreise auf den Bauch.

Entwickelt wurde SAFE von dem Münchener Bindungsforscher PD Dr. Karl-Heinz Brisch, Oberarzt an der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU. Forschungsergebnisse zeigen, dass "sicher gebundene" Kinder unter anderem selbstsicherer und belastbarer sind (s. Interview). Nach einer ersten Pilotstudie, die die Wirksamkeit speziell der SAFE-Kurse bestätigt, soll sie nun in einer größer angelegten Erhebung geprüft werden. Drei mal in der Zeit während des Kurses und danach werden Interviews mit den Müttern und Vätern geführt sowie Videosequenzen von den Eltern mit ihrem Kind aufgenommen. Außerdem werden die Teilnehmer gebeten, Fragebögen auszufüllen. Den Ergebnissen stellen die Forscher die Resultate einer Vergleichsgruppe gegenüber - ebenfalls künftige Eltern, die jedoch nicht die SAFE -, sondern die sogenannten GUSTA-Kurse zur Säuglingspflege der LMU besuchen.

Schon jetzt hat das Programm weit über München hinaus Anklang gefunden: Cirka 50 Kurse finden mittlerweile in ganz Deutschland statt. Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen hat bereits fast 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von staatlichen Schwangeren- und Erziehungsberatungsstellen ausbilden lassen, damit über diese Einrichtungen SAFE-Kurse angeboten werden können. Und längst hat das Konzept das Ausland erreicht: Seminare werden etwa in Österreich, der Schweiz, den baltischen Staaten, aber auch in Neuseeland, Australien und den USA angeboten, zum Beispiel in Kinderschutz-Institutionen und Familienzentren. Für bestimmte Zielgruppen haben die Forscher "Safe Specials" entwickelt - für Eltern mit verschiedenen Mehrfachbelastungen, Eltern von Frühchen, künftige Mütter und Väter von Adoptivkindern. Safe-Mentorinnen sind in Häusern für junge Mütter und ihre Kinder tätig, seit Kurzem auch in einer Justizvollzugsanstalt für Frauen. Es gibt ein Programm "Safe Krippe", das Erzieherinnen bei der Eingewöhnung der Kinder hilft; und eine Elterninitiative schickt sich an, eine Grundschule mit bindungsorientiert ausgebildeten Lehrern zu gründen.


Nähere Informationen:

Die Seminare GUSTA und SAFE werden jeweils wissenschaftlich begleitet. Während es bei SAFE vornehmlich um die psychologische Bindung zwischen Eltern und Baby geht, beraten bei GUSTA ("Guter Start für werdende Eltern") Hebammen und Kinderkrankenschwestern zu ganz praktischen Themen des Alltags - wie Geburtsvorbereitung, Stillen, Säuglingspflege und Kindesentwicklung. Unterstützt werden die Kurse von der Aktion Mensch, dem Bündnis für Kinder gegen Gewalt, der Theodor-Hellbrügge-Stiftung und dem Hauner Verein e.V. Ein Seminarblock kostet 50 Euro für Paare und 25 Euro für Einzelpersonen. Nähere Informationen zu SAFE und GUSTA gibt es im Internet unter www.safe-programm. de und bei der Koordinatorin, Simone Luber, Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie der LMU im Dr. von Haunerschen Kinderspital unter Tel. 089-51 60 37 05 oder per E-Mail an Simone.Luber@med.uni-muenchen.de.


Wer an einem SAFE-Kurs teilnimmt, hat anschließend die Möglichkeit zu einer Einzelberatung. Dabei werden regelmäßig auch Videoaufnahmen von häuslichen Spiel-, Wickel- oder Füttersituationen zum Einsatz kommen, die von den Expertinnen mit den Eltern im Sinne eines "Feinfühligkeitstrainings" für die Signale des Babys besprochen werden. Darüber hinaus gibt es das Angebot einer Traumatherapie, wenn alte "böse Geister" aus der eigenen Kindheit schon in der Schwangerschaft wachgerufen werden.

Es sind nicht nur die Ratschläge der Expertinnen, die den werdenden Eltern Klaus Denkl und Karin Hoyler nutzen. "Wir profitieren auch von den Erfahrungen der Teilnehmer, die schon Kinder haben", erklärt die Münchnerin. "Es ist schließlich unser erstes Baby - und im Freundeskreis gibt es nicht viele Kleinkinder." So berichtet ein Paar im SAFE-Kurs, dessen zwei kleine Söhne nebenan im Spielzimmer des Cafés betreut werden, von seinen Erfahrungen mit dem Zubettbringen. "Für das Kind", fügt Laura Weichhart an, "bedeutet auch das Schlafengehen eine Trennung, die sorgfältig vorbereitet werden muss." Eine junge Mutter erzählt von ihrer netten Leihoma, die ihre Tochter Laura regelmäßig betreut. Und Walburga Bittner betont, dass auch diese Leihoma eine wichtige Bindungsperson für ein Kleinkind darstellen kann. "Die Atmosphäre in unserem Kurs", findet Klaus Denkl, "ist sehr locker und motivierend". Ein Vater, der vom Wickeln seines Zweijährigen aus dem Nebenzimmer zurück kommt, wird spaßhaft gefragt: "Und, wie war der Blickkontakt?" Alle Teilnehmerinnen haben einen ähnlichen Geburtstermin - auch das verbindet. Eine junge Erzieherin knüpft jetzt schon mal ein Babysitting-Netzwerk. "Unter Leuten, die man im Kurs gut kennen lernt, und bei denen man sich dann revanchieren kann."

Seit Anne und Christoph Reese den SAFE-Kurs abgeschlossen haben, sind schon einige Monate vergangen - ihr Söhnchen Julius ist jetzt eindreiviertel Jahre alt. Die Termine nach der Entbindung, erinnert sich die Mutter, "liefen völlig anders ab als die vor der Geburt - mit so vielen Winzlingen, die ständig gestillt, gewickelt oder getröstet werden wollen". Doch gerade jetzt war "viel Raum für eigene Probleme und Fragen". Anne Reese und ihren Mann trieb vor allem ein Thema um: das Einschlafen. Nach einigen Monaten wollte Julius abends partout nicht mehr in den Schlaf finden. "Es kann einen verrückt machen, wenn man jeden Abend zwei Stunden lang damit beschäftigt ist, das Kind zu Bett zu bringen." Da war es eine große Hilfe, dass Kursleiterin Laura Weichhart auch nach Ende des Kurses für das Paar zu erreichen war. "Sie hat uns sehr konkrete Tipps gegeben: Das Kind immer im gleichen Schlafsack einschlafen lassen, sein Bettchen leer räumen von ablenkendem Spielzeug, tags und abends dasselbe Bettchen benutzen, damit das Kind im Dunkeln keine Angst hat..." Irgendwann klappte es mit dem Einschlafen. Demnächst werden sie vielleicht wieder ab und zu bei Laura Weichhart anrufen: Wenn Julius' kleines Brüderchen auf der Welt ist und sich - zum Beispiel - Probleme beim Einschlafen ergeben.


PD Dr. Karl Heinz Brisch

Entwickelt wurde das SAFE-Programm von PD Dr. Karl Heinz Brisch (s. Interview [*]). Brisch, geboren 1955, ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Er wirkt außerdem als Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen. Als Oberarzt leitet Dr. Brisch die Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie an der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU. Sein Forschungsschwerpunkt reicht von der frühkindlichen Entwicklung bis hin zur Entstehung von Bindungsprozessen und ihren Störungen. Brisch ist deutscher Vorsitzender der Deutschsprachigen Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit (GAiMH e.V.).


[*]
Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Das Interview mit PD Dr. Karl Heinz Brisch finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Sozialwissenschaften -> Psychologie
SOZIALES/118: Eltern-Kind-Verhältnis - Zurücklächeln nicht selbstverständlich (MünchnerUni Magazin)


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Quelle:
MünchnerUni Magazin 02/2009, Seite 6-8
Herausgeber: Präsidium der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München
Redaktion: Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München
Tel.: 089/21 80-34 23, Fax: 089/33 82 97
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2009