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INTERVIEW/030: Krieg um die Köpfe - Zum Menschen zurück ...    Christiane Reymann im Gespräch (SB)


Durch Gleichstellungspolitik Ausbeutung und Unterdrückung optimieren?

Interview am 7. März 2015 an der Freien Universität Berlin


"Frauen an die Front!" - Die Journalistin und Autorin Christiane Reymann machte in ihrer Arbeitsgruppe auf dem diesjährigen Kongreß der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) in Berlin kein Hehl daraus, daß die Besetzung hochrangiger kriegsrelevanter Ämter durch Frauen in Politik und Gesellschaft der Vorbereitung dessen dient, was zu früheren Zeiten gerade nicht Domäne der Frau sein sollte. Die sich fortschrittlich gebende Auflösung geschlechtspezifischer Rollenmodelle wie das des maskulin muskelbepackten oder zumindest schneidig daherschwadronierenden Kriegers und das des ihn klaglos umsorgenden - und nebenbei neues Kanonenfutter produzierenden - Weibes bringt alles andere als die Emanzipation des Menschen von gesellschaftlichen Zwängen und Gewalten hervor.

Was in olivgrünen Kreisen als Fortschritt der Gleichstellung von Frauen gefeiert wird, läßt sich unschwer als deren Anpassung an patriarchale Dispositive dechiffrieren. Christiane Reymann spürt demgegenüber Geschlechterverhältnisse überall dort auf, wo sie bereits an der Vorbereitung von Kriegen beteiligt sind und seine Eskalation prägen. Das gilt nicht nur für den Vorwand der "humanitären Intervention", dessen Zweck, Frauen zu schützen und ihre Rechte durchzusetzen, nicht nur in Afghanistan durch die Vernichtung ganzer Familien durch die Truppen der Besatzungsmächte und den massenhaften Hunger der Kinder grausam konterkariert wurde. Das gilt ganz generell, wie Reymann in der Ankündigung zu ihrer Arbeitsgruppe auf dem NGfP-Kongreß schrieb, "für den Dualismus von Mann und Frau, auf den sich das Patriarchat gründet. Er zieht weitere Spaltungen nach sich in Leib und Seele, Gefühl und Verstand, Mensch - Natur, privat - politisch, Außenseiter - Dazugehörige etc. Ausschließlichkeit begründet Feindbilder. Die Schriftstellerin Christa Wolf hat das als 'das Objektmachen' von lebendig-widersprüchlichen Menschen und Prozessen bezeichnet, 'bis sie zu Fertigteilen und Kulissen erstarrt sind: Selbst tot, andere erschlagend.'" [1]

Formalrechtlich befriedete Gewaltverhältnisse auf einem gendergestützten Identitätskarussell rotieren zu lassen und dabei die historisch-materialistische Bedingungen ihrer Entstehung zu vergessen ist ihre Sache nicht. Am Rande des Kongresses beantwortete Christiane Reymann dem Schattenblick einige Fragen zu ihrem streitbaren Eintreten für einen Feminismus, der das Patriarchat für die zerstörerischen Folgen von Kapitalismus und Krieg haftbar macht und nichts geringeres als seine Überwindung verlangt.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Christiane Reymann
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Die Grünen erheben die Forderung nach einer vollständigen Gleichstellung von Frauen in der Bundeswehr, was auch den Dienst an der Waffe miteinbezieht. Im Prinzip spricht nichts gegen Egalität, aber an dieser Stelle wirkt es verquer, wenn Frauen nun unbedingt auch das Töten lernen sollen. Was ist Ihre Meinung dazu?

Christiane Reymann (CR): Diese Debatte hat eine längere Geschichte in der feministischen Bewegung Westdeutschlands. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2000, daß Frauen jetzt den gleichen Dienst an der Waffe leisten dürfen wie Männer, wurde eine prinzipielle Entscheidung getroffen. Das war kurz nach dem Jugoslawienkrieg. Es hätte politisch nicht opportuner sein können.

Davor durften Frauen in die Bundeswehr gehen, aber ihr Aufgabenfeld beschränkte sich auf die Sanitätseinheiten bzw. den Dienst in der Etappe. Dieses Urteil hat die feministische Bewegung durchaus gespalten. Ich gehörte zu dem Teil, der den Einsatz von Frauen in der Bundeswehr kategorisch ablehnte. Alice Schwarzer und auch sehr von mir geschätzte Wissenschaftlerinnen wie Frigga Haug vertraten jedoch die Meinung, daß die Gleichheitsrechte dadurch gesetzt werden und daß dies ein so hohes Gut sei, daß man nicht auf den Bereich schauen sollte, wo sie hergestellt werden. Wenn man sich aber dafür einsetzt, das Militärische abzuschaffen oder zumindest zu reduzieren, dann stellt es keinen Fortschritt dar, wenn Frauen auch Dienst an der Waffe machen dürfen, sondern es ist ein Rückschritt, eine Niederlage.

Wenn man den Gleichheitsgedanken auf die Arbeitswelt überträgt, bin ich als linke Feministin selbstverständlich für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Dennoch kann es nicht darum gehen, nur gleiche Ausbeutungsrechte zu haben. Was wäre das für ein Fortschritt, wenn ich sage, ich will gleich ausgebeutet werden wie alle anderen? Wenn wir nicht alle zusammen wirklich etwas wie Humanisierung und eine ganz andere Gestaltung der Arbeitswelt mit Produktionsprozessen durchsetzen, die eben nicht auf Verschleiß ausgerichtet sind und nützliche Produkte zum Ziel haben, wenn das nicht mitbedacht und einbezogen wird, werden die Ergebnisse erstens sehr formal bleiben und zweitens keinen Menschen mehr vom Hocker reißen, weil sie das Herz nicht berühren. Dann wird es keine großen Fortschritte geben.

In der kurzen Debatte zum Abschluß der Arbeitsgruppe kam die Frage auf, ob Frauen in der Bundeswehr nicht zu einer Zivilisierung des Krieges beitragen könnten. Die Erfahrungen zeigen, daß das nicht der Fall ist. Die großen Armeen, die wir heute haben, sind eine durch und durch patriarchale, gewaltorientierte und imperiale Einrichtung. Frauen zivilisieren sie nicht, sondern werden durch diese Einrichtungen ebenso brutalisiert wie Männer.

SB: Lynndie England wurde als Frau doppelt bestraft für das, was sie getan hat. Wie haben Sie die Darstellung ihrer Person empfunden, die einerseits die Militärgewalt vollständig repräsentiert hat, aber andererseits in der Befehlsstruktur und männlich dominierten Soldateska eine eher untergeordnete Rolle spielte?

CR: Interessanterweise war die damals in Abu Ghraib und später auch in Guantanámo angewendete Foltermethode der sensorischen Deprivation, bei der Leute von äußeren Sinneseindrücken völlig abgeschottet werden, um ihren Willen zu brechen, zwei Jahre zuvor von der Washington Post enthüllt worden. Richtig an die Öffentlichkeit gekommen ist das Ganze jedoch erst mit Lynndie England. Die Bildzeitung hat damals getitelt: Die Folterhexe von Abu Ghraib. Ich habe es durchaus so empfunden, daß ein Folterknecht nicht so behandelt worden wäre wie eine Folterhexe, und zwar aufgrund der tief eingebrannten Vorurteile gegenüber Frauen, die in diesem konkreten Fall auch sexualisierte Gewalt einsetzen. Diese Art der Ausnutzung markiert eine tiefe Angst von Männern vor Hexen. Meines Erachtens basiert die Hexenverfolgung auf der Tabuisierung weiblicher Sexualität.

SB: Sie haben im Vortrag die Frage nach dem Geschlecht des Krieges aufgeworfen. Ist der Krieg für Sie aus feministischer Sicht ein patriarchales Prinzip?

CR: Militär und Kriegsdienst im modernen Sinne haben sich erst mit der Entstehung von Nationalstaaten herausgebildet und stehen im direkten Zusammenhang mit der Entwicklung des Feuerwaffensystems. Davor stellten Kriege praktisch wandernde Söldnerheere mit Marketenderinnen und allem Drum und Dran dar. Ganze Dorfschaften sind mitgezogen. Das heißt, das neuzeitliche Militär wurde auf einer männlichen Struktur unter dem bewußten Ausschluß von Frauen errichtet, die zudem keine Staatsbürgerschaftsrechte genossen, weil diese häufig an den Militärdienst gekoppelt waren. Als männliche Organisation hat sich das Militär auch entsprechende Initiationsriten geschaffen wie zum Beispiel die Gewalt gegen junge Rekruten. Im Grunde entstand so ein männerbündischer Verein. Für die Geschichtsforschung ist das interessant, weil es auch einen prägenden Einfluß auf die Zivilgesellschaft hatte. Militär und Kriegführung vom Charakter her nur als männlich zu bezeichnen, würde jedoch eine Verharmlosung bedeuten. Tatsächlich ist es eine patriarchale Struktur und Macht, die auf Unterordnung, Deprivation und Demütigung angelegt ist und imperiale Interessen verfolgt. Heutzutage haben sich Patriarchat und Kapitalismus unauflöslich miteinander verwoben und bedingen sich gegenseitig in ihrem Vormachtstreben.

SB: In den USA ist der Frauenanteil in der kämpfenden Truppe sehr viel höher als in Deutschland. Daß Frauen beispielsweise Bomberjets fliegen, wird in den Medien teilweise regelrecht heroisiert und glorifiziert. Gleichzeitig sind Frauen in den Streitkräften im hohen Ausmaß sexueller Belästigung und Vergewaltigung ausgesetzt. Wie erklären Sie sich dieses Verhältnis, daß Frauen auf der einen Seite sozusagen zum Mann werden müssen, um als Soldatin zu reüssieren, und auf der anderen Seite Opfer männlicher Gewalt werden?

CR: Daß selbst die so gerühmten Bomberpilotinnen Opfer männlicher Gewalt werden, liegt meines Erachtens an der Brutalisierung, die der Armeedienst mit sich bringt. Vor allen Dingen nach Kampfeinsätzen kommen viele traumatisiert zurück, aber ein großer Teil kehrt auch brutalisiert zurück und geht brutalisiert in den nächsten Einsatz. Dies, weil die militärische Zurichtung sowohl den Willen als auch die eigene Verantwortung herunterschraubt, da man sich in einer Struktur des Befehlsgehorsams befindet. Wenn man sich in diesen Organismus hineinbegibt, unterwirft man sich einer bestimmten Zielrichtung, die man dann auch mehr oder weniger befürwortet. Daran ändert sich nichts, nur weil wir inzwischen Freiwilligenarmeen haben.

Die Brutalisierung löst sich im Inneren der Armee nicht nur in Kameradschaft auf. Es gibt sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen, Rekruten und Schwulen. Dieses System entwickelt ein hohes inneres Gewaltpotential, was auch naheliegend ist, wenn man bedenkt, daß Menschen darauf konditioniert werden, andere zu töten, und dazu muß eine immanente Sperre im Menschen überwunden werden, bis kein Mitgefühl mehr übrigbleibt.

SB: Bundesverteidigungsministerin von der Leyen versucht, den sogenannten Soldatenberuf attraktiver zu machen und stärker in bürgerliche Strukturen einzubeziehen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung als Feministin?

CR: Im Grunde macht von der Leyen nur das, was die frühere EU-Außenrepräsentantin Lady Ashton vorgegeben hat. Das Wort von der Attraktivitätsoffensive, das Frau von der Leyen im Munde führt, habe ich zum ersten Mal von Lady Ashton gehört, und zwar, als sie ein Strategiepapier für die EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt hat. Darin ging es um die Frage, wie man der Bevölkerung klarmachen kann, daß wir eine Sicherheitspolitik und damit auch das Militär brauchen, um unseren zukünftigen Wohlstand zu verteidigen. Dabei sei es unerheblich, ob man unmittelbar angegriffen wird oder die Feinde notwendigerweise immer erkennt. In diesem Zusammenhang sprach sie von einer Attraktivitätsoffensive.

Bald darauf wurde Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin und gebrauchte genau die gleichen Worte. Sie betrieb die Attraktivitätsoffensive in zweierlei Richtung. Zum einen sollte die Bundeswehr als familienfreundlicher Betrieb mit Krabbelgruppen in Kasernen und so weiter propagiert werden, um zu zeigen: Wir beziehen die Belange von Familien und Angehörigen mit ein, wenn der Soldat oder die Soldatin lange im Einsatz sind. Das Hauptproblem der Bundeswehr ist, daß ein für mich wirklich erstaunlich hoher Prozentsatz der bundesdeutschen Bevölkerung weiterhin deutsche Kriegseinsätze ablehnt. Statt diese stabile Mehrheit durch die Kampagnen ins Wanken zu bringen, ist sie sogar gewachsen. Die Attraktivitätsoffensive zielte natürlich auch darauf, mehr Menschen in die Freiwilligenarmee zu bringen, denn die Bundeswehr hat ein echtes Personalproblem.

SB: Die Rolle der Frauen im NS-Staat war auf die Umsorgung der Soldaten und ihre biologische Reproduktion ausgerichtet. In unserer heutigen, angeblich gleichberechtigten Gesellschaft scheint das nicht mehr im Vordergrund zu stehen. Dennoch haben Frauen nach wie vor Reproduktionspflichten, denen sie unterworfen sind und die zusätzlich biomedizinisch begleitet werden, indem zum Beispiel mit Pränataldiagnostik selektiert wird. Sehen sie in Ihrer Kritik auch einen Zusammenhang zwischen der sozialeugenischen Selektionslogik und den militärischen Interessen an Rekrutennachschub?

CR: In der Weimarer Republik spielte der Kampf gegen das Abtreibungsverbot eine große Rolle. In vielen unheimlich eindrucksvollen Theaterstücken und Liedern ging es eigentlich immer darum: Jetzt produzieren Sie hier mal schön Nachwuchs als Soldat. Ich kann die Abtreibung nicht vornehmen, gehen Sie nach Hause und seien Sie eine gute Mutter. Diesen direkten Zusammenhang zwischen Reproduktionspflicht und Militär sehe ich bei uns jedoch nicht mehr.

SB: Bei der Pränataldiagnostik wird im wesentlichen Behinderung ausgeschlossen, aber in der humangenetischen und biomedizinischen Forschung sind durchaus Perspektiven angelegt, die in Richtung eines Zuchtprogramms gehen könnten. Zumindest findet in verschiedenen Ländern bereits eine Geschlechterselektion statt, indem weibliche Föten abgetrieben werden. Kann man in dieser Knabenlese moderner Lesart die Anzeichen dafür erkennen, daß reproduziert wird, was mehr dem Krieg denn einer friedlichen Gesellschaft zuarbeitet?

CR: Ja, und zwar in dem Sinn, daß die weibliche Reproduktionsmedizin in Deutschland im Zusammenhang mit der Eugenik der Nazis entwickelt worden ist, aber es gibt noch einen weiteren inhaltlichen Zusammenhang. Die Ideologie des White Supremacy zielt ja darauf, daß Kinder, die auf die Welt kommen, ohne Fehl sind. Daher wird versucht, Behinderungen in der Gesellschaft auszuschließen. So werden Mütter, die Kinder mit Behinderungen zur Welt bringen, heute schon diskriminiert. Von einer Freundin weiß ich, daß das ein schweres, bitteres Leben ist, weil noch heute der Vorwurf mitschwingt: Das hättest du alles vermeiden können.

Diese Begehrlichkeit nach perfekten Menschen, die 100 Prozent leistungsfähig sind, hat auch etwas mit dem weißen Vormachtstreben zu tun. In diesem Sinne gibt es durchaus eine ähnliche Geisteshaltung, die in engem Zusammenhang mit einer sozialen Selektion steht. In meinem Vortrag hatte ich als eine Kapitelüberschrift projiziert: "Das Militär ist patriarchal, (nicht männlich)." Aus dem Publikum wurde mir die Frage gestellt: Warum "nicht männlich"? Mir ist die Unterscheidung zwischen männlich und patriarchal sehr wichtig. Nicht jede Verhaltensweise, die sich sozial oder geschichtlich als männliches oder weibliches Attribut entwickelt hat, ist patriarchal. So können Frauen in patriarchalen Strukturen sehr wohl Täterinnen des Patriarchats sein, und das nicht erst, seitdem wir eine Bundeskanzlerin haben. Der Geschlechtergegensatz ist eine der Grundlegungen des Patriarchats. Den Dualismus von männlich und weiblich zu einer Ausschließlichkeit und zementierten Entgegensetzung zu führen, begründet im Kern patriarchales Denken. Auf dieser Grundlage entstehen dann Hierarchisierungen und Wertigkeiten mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen.

SB: Frau Reymann, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.ngfp.de/wp-content/uploads/2015/02/NGfP_2015_Krieg_um_die-Koepfe_Programm_neu.pdf


Bisherige Beiträge zur NGfP-Konferenz in Berlin im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → SOZIALWISSENSCHAFTEN → REPORT:

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16. April 2015


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