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GESELLSCHAFT/186: Auf dem Weg in die "Zwei-Drittel-Gesellschaft"? (idw)


Universität Wien - 17.03.2008

Universität Wien: Neue Studie zu sozialer Gerechtigkeit.

Auf dem Weg in die "Zwei-Drittel-Gesellschaft"?


Waren noch bis in die 1990er Jahre in der Soziologie Prognosen von der "Freizeitgesellschaft" und der "Erlebnisgesellschaft" verbreitet, sprechen SoziologInnen heute von der "Zwei-Drittel-Gesellschaft" und "modernen sozialen Konflikten". Die Sozialwissenschafterin Hilde Weiss hat untersucht, wie unterschiedliche soziale Gruppen in Österreich diese neuen Konflikte sehen und was für sie soziale Gerechtigkeit bedeutet.

"Für Österreich gilt: Die obersten Einkommens- und Bildungsschichten wissen ihre Interessen wahrzunehmen", erklärt Ao. Univ.-Prof. Dr. Hildegard Weiss vom Institut für Soziologie. Um die Interessen vieler anderer ist es nicht so gut bestellt: Während der Wohlstand insgesamt steigt, werden immer mehr Menschen immer ärmer. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung stehen in gesicherten Beschäftigungsverhältnissen, während ein Drittel davon ausgeschlossen bleibt.

Wie verschiedene soziale Gruppen mit den neuen (globalisierten) Rahmenbedingungen umgehen, wie sie zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit stehen und was das für ihre politische Gesinnung bedeutet, erforschte Hilde Weiss im Projekt "Konfliktwahrnehmung und Gerechtigkeitsvorstellungen in sozialen Milieus". Weiss und ihre MitarbeiterInnen befragten 1.018 ÖsterreicherInnen zwischen 18 und 65 Jahren.

Idee des sozialen Ausgleichs

"Fleiß und Tüchtigkeit sind für die meisten ÖsterreicherInnen zentrale Werte. Trotzdem stößt die Idee eines unregulierten Kapitalismus auf wenig Beifall", erklärt Weiss. Sozialer Ausgleich ist den ÖsterreicherInnen sehr wichtig: 37 Prozent stimmen vorbehaltlos zu, dass Leute mit höherem Einkommen durch höhere Steuern zum Gemeinwohl beitragen sollten. 36 Prozent plädieren dafür, dass soziale Unterschiede weitgehend abgeschwächt werden sollen.

Biografie formt Einstellungen

Die Einstellung zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit hängt dabei weniger vom beruflichen Status als vielmehr von biografischen Erfahrungen wie Krisen oder Erfolgen ab: Soziale Aufsteiger, die es von ganz unten ins soziale Mittelfeld oder darüber hinaus geschafft haben, zahlen ungern Steuern und halten wenig von Sozialleistungen: "Diese Menschen haben hart gekämpft und glauben, dass das, was ihnen gelungen ist, allen möglich sei", erklärt Weiss. Soziale Absteiger hingegen denken tendenziell sozialer: "Sie haben oftmals erlebt, dass das Individuum nicht immer alle lebensbestimmenden Faktoren im Griff hat und dass Chancen ungleich verteilt sind."

Politikverdrossenheit

Wenn es um die Politik geht, haben gerade die "unteren" sozialen Schichten das Gefühl, keinen Einfluss auf ihr Schicksal nehmen zu können. "Die oberen Einkommensschichten hingegen fühlen sich politisch gut vertreten und wissen, wen es zur Stärkung der eigenen Interessen zu wählen gilt", erörtert Weiss. Generell hält man in Österreich wenig von PolitikerInnen: 37 Prozent der Befragten glauben, dass moralische Grundsätze in der Politik nichts mehr gelten.

Liberale Bourgeoisie

Während also die quasi traditionelle Autoritätshörigkeit bestehen bleibt, entfernten sich laut Analyse zumindest die mittleren und oberen Schichten der Gesellschaft von einem konservativen Familienbild mit den entsprechenden Geschlechterrollen. In den unteren Schichten allerdings gibt man sich diesbezüglich konservativ. "Dieser Konservatismus ist Teil einer pessimistischen, rückwärtsgewandten Lebensauffassung", erklärt Weiss, "er ist eng mit Zukunftsängsten verbunden."

In Fragen der Migrations- und Ausländerpolitik findet sich in der österreichischen Oberschicht ein deutlich aufgeklärteres Klima als bei sozialen Unterschichten. In diesen sozialen Schichten wird die Konkurrenz am globalen Arbeitsmarkt auch mehr als Chance denn als Risiko wahrgenommen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Veronika Schallhart, 17.03.2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2008