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GESELLSCHAFT/256: Feministische Stadtplanung (Wir Frauen)


WIR FRAUEN - Das feministische Blatt 2/2012

Feministische Stadtplanung
Eine raumtheoretische Annäherung an Städte

Von Elena Bütow



Städte können groß oder klein sein, sind unterschiedlich bebaut und bewohnt, haben unterschiedliche Stadtgeschichten, weisen differenzierte Infrastrukturen auf und können sich durch politische und ökonomische Bedingungen unterscheiden. In Städten wird jedoch zugleich ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit sichtbar.

Durch die Industrialisierung und Urbanisierung gewinnt das Berufsleben immer mehr an Bedeutung, Arbeitslosigkeit oder gar Armut werden als defizitär wahrgenommen. Die bürgerliche Kleinfamilie setzt sich als 'Normalfamilie' durch und führt zu einer problematischen Idee von Mutterschaft. Müttern und vor allem alleinerziehenden Frauen wird der Zugang zum Erwerbsleben erschwert. Die Wahrnehmungen sind nicht zuletzt dadurch von einem Geschlechterdualismus geprägt. Öffentliche und private Räume werden voneinander getrennt und produzieren normierte Zuschreibungen. Zudem werden Städte entlang von Klasse, Milieu und Geschlecht differenziert und durch eine nationalstaatliche Organisation strukturiert.

Städte sind auch räumlich strukturiert, zum Beispiel durch homogene Quartiere, in denen Menschen mit der gleichen Lebensform, Zugehörigkeit oder Altersgruppe leben. Auch die Hautfarbe, das Geschlecht oder Armut können als Segregationsmerkmale in Städten beobachtet werden. Diese Segregation ist vielfach nicht freiwillig, sondern kann durch eine konkrete Stadtplanung, zum Beispiel durch die Aufwertung einzelner Stadtviertel oder die Auflösung von Szenen (z. B. Rotlichtviertel oder Drogenszene), entstehen. Durch diese Gentrifizierungsprozesse steigen die Mieten und vertreiben geringer verdienende Menschen aus ihren Wohnvierteln. Diese suchen meist Zuflucht in Vierteln am Stadtrand. Hieran zeigt sich, dass Städte durchzogen sind von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen und ein viel umkämpfter Raum. Raumtheoretische Konzeptionen stellen einen möglichen Zugang dar, um städtische Phänomene zu begreifen und zu untersuchen.


Wie lassen sich Stadt und Raum begreifen?

Die Vorstellung vom Raum wird hauptsächlich von drei Raumvorstellungen geprägt: einer absolutistischen, einer relativistischen und einer relationalen. Der absolutistischen Raumvorstellung liegt die Idee eines Containers oder Behälters zugrunde, der nach Belieben mit Gegenständen, Subjekten oder sozialen Prozessen gefüllt oder entleert werden kann. Der Raum selbst wird durch seinen Inhalt nicht weiter beeinflusst. Der Raum ist immer schon existent und besteht unabhängig von Menschen oder sozialen Prozessen. Die relativistische Raumvorstellung versteht Raum als Resultat von sozialen Prozessen zwischen Menschen und Artefakten. Somit wird der Raum erst durch Handlungen hergestellt und ist nicht von vorneherein existent. Gleichzeitig können so durch Handlungen auch mehrere Räume an einem Ort hergestellt werden. Zum Beispiel kann ein Supermarkt auch zu einem Gesprächsraum oder Konsumraum konstituiert werden. Die relationale Raumvorstellung berücksichtigt sowohl die Handlungs- als auch die strukturelle Ebene. Räume werden so durch soziale Prozesse kontinuierlich neu hergestellt, wirken gleichzeitig strukturierend auf diese zurück und sind somit Ergebnis und Bestimmung sozialer Prozesse gleichzeitig.

Martina Löw, Professorin für Soziologie an der Technischen Universität in Darmstadt, vertritt in ihrem soziologischen Raumbegriff auch eine relationale Raumvorstellung und schlägt eine handlungstheoretische Konzeption vor. Sie verweist auf die Mehrdimensionalität der Herstellung von (städtischen) Räumen, die sowohl auf raumproduzierendes Handeln von Menschen als auch auf räumliche Strukturen zurückzuführen sind, und beschreibt somit die Konstitution von Raum als gesellschaftlichen Prozess. Der Raum kann nach Löws Konzept kein starrer Behälter sein und nicht unabhängig von sozialen und materiellen Bedingungen existieren. Das soziale Handeln und die gesellschaftlichen Strukturen sind eng miteinander verwoben, sodass die Herstellung von Räumen andauernd in Bewegung und damit auch strukturbildend und reproduzierend ist.Wichtig ist, dass Martina Löw in ihrer Konzeption auch Machtverhältnisse nicht außer Acht lässt, sondern sie in die Aushandlungsprozesse mit einbezieht, da sich der Konstitutionsprozess von Räumen immer im Handeln mit anderen vollzieht und über Räume Prinzipien der Verteilung, Einschlüsse und Ausschlüsse organisiert werden. Die Möglichkeiten, einen Raum zu konstituieren, sind nicht für alle gleich, sondern abhängig von den jeweiligen Zugangsmöglichkeiten zu sozialen Gütern, die wiederum abhängig vom jeweiligen Wissen, der Position oder der Zugehörigkeit sind. Das Handeln und die Strukturen sind durch die Differenzierungskategorie Geschlecht beeinflusst, somit kann es z. B. für Frauen überhaupt nicht selbstverständlich sein, Räume zu konstituieren, wie es z. B. für Männer möglich ist. Mit der Konstitution von Raum wird deshalb immer auch die Unterscheidung von 'Eingeschlossen' und 'Ausgeschlossen' festgelegt. Umgekehrt heißt das aber auch, dass räumliche Differenzierungen in Städten mit geschlechtsspezifischen Differenzierungen einhergehen. Zusammenfassend könnte man formulieren: Städte produzieren Differenzen und Differenzen produzieren Städte.


Vergeschlechtlichung von Städten

Durch geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sind räumliche Differenzierungen in Städten häufig mit geschlechtsspezifischen Differenzierungen verbunden. Vor allem alleinerziehende Frauen, die häufig von Armut betroffen sind, werden an den Stadtrand verdrängt. Dem gegenüber ziehen immer mehr gut situierte Menschen in die Städte und beteiligen sich so aktiv an einer Gentrifizierung von Wohngebieten. Das Geschlecht als Strukturprinzip lässt sich also auch als Ursache für unterschiedliche Lebensorte von Frauen und Männern benennen und beeinflusst ihre jeweiligen Handlungsmöglichkeiten, Spielräume und ihre Wahrnehmungen von Städten und Räumen. Unterschiedliche Lebensformen oder finanzielle Ressourcen lassen sich hier vor allem als Ungleichheitsverhältnisse der Geschlechter in städtischen Regionen beobachten.

Vergeschlechtlichte (städtische) Räume werden u. a. durch körperliche Praktiken oder geschlechtsspezifische Blicke hervorgebracht und reproduziert. Geschlechterverhältnisse sind somit z. B. auch über körperliche Repräsentationen in die Produktion von städtischen Räumen, die Reproduktion räumlicher Differenzen und in die Wahrnehmung von Städten eingeschrieben.

So will zum Beispiel die Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen (FOPA) die baulich-räumliche Umwelt im Interesse von Frauen und der Frauenbewegung verändern und entwickelt feministische Positionen in Architektur, Planung, Umwelt- und Baupolitik. FOPA kämpft gegen die Diskriminierung von Frauen im Beruf und fordert die Beteiligung von Frauen an allen Planungen. Aktuell appelliert sie an die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, zu einer soliden Finanz- und Infrastrukturpolitik zurückzukehren und langfristig nutzbare, qualitativ hochwertige Gebäude und Infrastrukturen wieder in Eigenregie zu planen und zu errichten bzw. zu sanieren: "Der Verschandelung unserer Städte, der Zerstörung der Institutionen und Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge durch Public Private Partnership muss ein Ende bereitet werden."


Feministische Stadtplanung

Im Schwerpunkt geht es um diese Differenzen und unterschiedlichen Wahrnehmungen von Städten. Melanie Stitz stellt widerständige Kräfte vor, die sich gegen die Kapitalisierung von öffentlichen Räumen wehren. Isolde Aigner schaut in die bunten Ecken der Stadtgartenbewegungen und findet u. a. bestrickte Bäume und Straßenschilder, während Anna Schiff sich über vermeintlich witzige Werbung ärgert und sich über selbstklebende Aufkleber mit dem Spruch "Sexistische Kackscheiße" freut. Abschließend beschreibt Ruth Becker die Anfänge der Frauenwohnprojekte in Deutschland.

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Quelle:
Wir Frauen, 31. Jahrgang, Sommer 2/2012, Seite 6-7
Herausgeberin: Wir Frauen - Verein zur Förderung von Frauenpublizistik e.V.
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E-Mail: info@wirfrauen.de
Internet: www.wirfrauen.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2012