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GESELLSCHAFT/270: Die Bürger richtig beteiligen (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 18.02.2014

Die Bürger richtig beteiligen



Viele Bürger wollen mitreden, wenn es um die Entwicklung ihrer Städte und Gemeinden geht. Die Politik hat das erkannt - und setzt verstärkt auf Verfahren der Bürgerbeteiligung. Was dabei falsch laufen kann, erklärt eine Soziologie-Professorin der Universität Würzburg.

Massive Proteste gegen den Bahnhofsneubau in Stuttgart. Großer Widerstand in Oberfranken gegen eine neue Stromtrasse, die von Sachsen-Anhalt kommen und weiter nach Schwaben laufen soll. Heftige Diskussionen in Würzburg zur Frage, wie man das frühere Mozartgymnasium nahe der Residenz nutzen könnte.

All das zeigt: Die Bürger wollen mitreden, wenn es um größere Bauprojekte oder die Weiterentwicklung ihrer Städte geht. Das hat auch die Politik erkannt. "In Förderprogrammen zur Stadtentwicklung schreiben die EU und die Bundesregierung inzwischen vor, dass die Kommunen eine Bürgerbeteiligung durchführen müssen", sagt Rosemarie Sackmann, Soziologie-Professorin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Hinter diesen Vorgaben stehe auch die Erkenntnis, dass sich Projekte friedlicher, schneller und am Ende kostengünstiger realisieren lassen, wenn die Bürger frühzeitig einbezogen werden.

Bürgerbeteiligung scheint also eine große Zukunft zu haben. In Würzburg zeigt sich das derzeit auch an den Äußerungen der Personen, die am 16. März zum Oberbürgermeister gewählt werden wollen. Das Magazin Frizz hat die Kandidaten nach ihren Zielen für die Stadt gefragt. Hier Auszüge aus den Antworten: "ein Büro für Bürgerdialog einrichten - gemeinsam mit allen Würzburgern ein Stadtkonzept auf die Beine stellen - die Bürger an Planungsverfahren beteiligen - eine frühe Beteiligung der Bürger an wichtigen Projekten ermöglichen."


Bürgerkonferenzen in Halle/Saale

Der Bürger als Planungspartner der Kommunen: Mit dieser Entwicklung befasst sich Rosemarie Sackmann, zu deren Arbeitsschwerpunkten die Stadtsoziologie gehört. Bis Anfang 2014 hat sie ein größeres Verfahren der Bürgerbeteiligung selbst mitgestaltet. Die Professorin war in Halle an der Saale Moderatorin bei vier mehrstündigen Bürgerkonferenzen, bei denen es um die allgemeine Entwicklung der Stadt ging. Insgesamt 87 Bürger diskutierten mit Experten aus der Stadtverwaltung und anderen Institutionen über die Revitalisierung der Innenstadt, den Ausbau der Radwege und andere Themen.

Sackmanns Fazit: Die Bürgerkonferenzen seien gut gelaufen. Die Ergebnisse wurden in einem rund 30-seitigen Bürgergutachten festgehalten, das Empfehlungen und Anregungen für Stadtverwaltung und Kommunalpolitik enthält. Was aber, wenn das Gutachten dort ganz oder teilweise ignoriert wird? "Das wäre der schlimmste Fehler, den man bei einer Bürgerbeteiligung machen kann", sagt die Professorin. Es gebe aber noch einige andere Dinge, die bei einem solchen Verfahren falsch laufen können.


Was bei Bürgerbeteiligungen wichtig ist

Für Sackmann der wichtigste Punkt, der bei der Einbeziehung der Bürger zu beachten ist: Die Kommunikation zwischen Bürgern und Experten müsse strukturiert und begleitet werden. Denn beide Gruppen neigen dazu, sich nicht zu verstehen, was unter anderem an der Fachsprache der Experten liege. "Die Bürger können sicher nicht wie Stadtentwicklungsexperten sprechen. Aber sie sind Experten für die Alltagswelt in ihrer Stadt, und als solche sollten sie gehört werden", so Sackmann. In Halle habe sie erlebt, dass sich die Fachleute zu Unrecht angegriffen fühlten und dass auf der anderen Seite die Bürger die Kompetenz der Experten anzweifelten. "Aber diese gegenseitigen Vorbehalte konnten wir im Lauf der Bürgerbeteiligung abbauen."

Wichtig sei bei der Bürgerbeteiligung auch die Wahl eines geeigneten Formats. "Es gibt Veranstaltungen, bei denen die Bürger in zwei Stunden über ein Projekt informiert werden und sich dazu äußern können, ohne dass sich daraus Konsequenzen ergeben", sagt die Würzburger Professorin. Mit echter Bürgerbeteiligung hat das ihrer Ansicht nach nichts zu tun. Sie nennt das "Particitainment" - Show-Veranstaltungen, die möglicherweise nur falsche Erwartungen wecken und damit Schaden anrichten. Auch müsse man den beteiligten Bürgern ganz klar sagen, dass nicht sie, sondern Verwaltung und Politik am Ende die Entscheidungen treffen.

Es gibt noch mehr zu beachten bei der Einbindung der Bürger. So dürften nicht zu viele Experten aus der Stadtverwaltung vertreten sein, man müsse auch ausreichend externe Fachleute dazuholen. Dadurch lasse sich die mögliche Konfrontation "Wir Bürger gegen die von der Stadt" vermeiden. Auch eine passende soziale Mischung sei anzustreben. "Jüngere Mütter, Jugendliche und andere Gruppen sind oft Mangelware bei solchen Veranstaltungen; sie muss man darum gezielt einladen", sagt Sackmann.


Zweite Schiene der Bürgerbeteiligung

Zur Bürgerbeteiligung gehört nicht nur der Austausch zwischen Verwaltung und Bürgern. "Unter dem Schlagwort 'New Public Management' werden auch horizontale Vernetzungen und Kooperationen angestrebt", erklärt Sackmann. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Verwaltung die Bürger dabei unterstützt, in ihren Stadtteilen selbst öffentliche Aufgaben zu übernehmen - etwa die Integration von Migranten zu verbessern oder eine Nachbarschaftshilfe für ältere Menschen auf die Beine zu stellen.

Die Professorin ist überzeugt: "Auch auf diesem Feld wird sich in den Städten und Gemeinden noch viel tun." Das Thema "Bürgerbeteiligung" ist spannend und entwickelt sich offenbar dynamisch. Sackmann will es darum verstärkt in die Lehre im Bachelor-Studiengang Political and Social Studies einfließen lassen. Entsprechende Angebote soll es voraussichtlich ab dem Wintersemester 2014/15 geben.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution99

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich, 18.02.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2014