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KULTUR/042: Sushi American Style (RUBIN - Ruhr-Uni Bochum)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2008 - Ruhr-Universität Bochum

Sushi American Style

Wie sich die japanische und die amerikanische Kultur vermischen


In New York gehen Amerikaner schick Sushi essen, in Tokyo legen Mickey und Minnie zu Neujahr den Kimono an: Statt weltweitem amerikanischen Einerlei bringt die Globalisierung hybride Kulturen hervor, die sich untereinander austauschen und aus dem bunten internationalen Angebot das Beste für sich aussuchen.


Wo auch immer in der Welt die McDonald's Restaurants und die Starbucks-Cafés wie Pilze aus dem Boden schossen, da war bisher der empörte Aufschrei nicht weit: Amerikanischer Kulturimperialismus wurde diagnostiziert, Gleichmacherei festgestellt, die Globalisierung verteufelt. Denn wo Amerika hintritt, da wachse kein Gras mehr, befürchteten Kritiker, die die reichen Geschäftsleute in fremde Länder in aller Welt einfallen und ihre Kultur einfach über ihnen ausgießen sahen, ungeachtet der dort seit Jahrhunderten gewachsenen eigenen Kultur, die dabei auf der Strecke bleiben müsse.

Wo Amerika hintritt, da wächst kein Gras mehr, fürchten Kritiker

Wer Mickey und Minnie einmal im Kimono gesehen hat, dem müssen an dieser Vorstellung Zweifel kommen. "Die Forschung ist heute davon abgekommen, den Kulturtransfer so einseitig zu betrachten und so stark zu werten", erklärt die Amerikanistin Iris-Aya Laemmerhirt die Ergebnisse ihrer umfangreichen Literaturrecherchen und eigenen Feldforschungen zum kulturellen Austausch zwischen Japan und den USA. Bei der Auseinandersetzung mit verschiedenen Theorien stellte sie fest, dass der kulturimperialistische Ansatz überholt ist. Es galt für sie nun zu schauen, welche Theorien stattdessen in Frage kommen. Nach der Analyse zahlreicher japanisch- und englischsprachiger Quellen fiel ihre Entscheidung für die transnationalen Theorien. Bei diesem Ansatz liegt der Fokus eben nicht mehr so sehr auf der Homogenisierung, sondern auf dem wechselseitigen Prozess (s. Info unten).

Ein weites Feld, denn die Indizien finden sich praktisch überall: in Büchern, Filmen, Popmusik, Freizeitparks, Restaurants. Die Forscherin analysierte unter anderem Hollywoodfilme und beobachtete, wie darin allmählich ein neues Japanbild entsteht. Für ihre eingehenden Analysen hat sie zwei Beispiele des kulturellen Austauschs in beide Richtungen ausgewählt: Disneyprodukte und Sushi.

Wer glaubt, die Walt Disney-Company habe Tokyo Disneyland einfach nach US-Vorlage in Japan gebaut und Generationen von kleinen Japanern so von ihren kulturellen Wurzeln entfremdet, der liegt falsch. "Disney wollte in den 80er Jahren eigentlich gar nicht nach Tokyo", berichtet sie. "Im Konzern nahm man an, die Japaner seien so sehr von den Amerikanern verschieden, dass das überhaupt nicht funktionieren könnte." Schließlich eröffneten 1983 japanische Betreiber das Tokyo Disneyland mit amerikanischer Lizenz - und leiten heute den erfolgreichsten Disney-Themenpark der Welt.

Es funktionierte also doch, aber nicht von ungefähr. Die Japaner hatten das Parkkonzept nicht einfach übernommen, sondern an vielen Stellen an ihre Bedürfnisse angepasst. Das fängt mit einem Glasdach über der Hauptstraße an - in Japan regnet es sehr viel. Statt über die nostalgische "Main Street USA" nach dem Vorbild ländlicher Kleinstädte zu Zeiten Walt Disneys flanieren japanische Besucher durch ein hochmodernes Einkaufszentrum namens "World Bazaar". Man feiert japanische Feiertage, wie etwa Neujahr oder den Mädchentag, im Park, und natürlich tragen die Figuren dazu traditionelle japanische Gewänder. Sämtliche Witze wurden übersetzt, mit Rücksicht auf den speziellen Humor der Japaner. Auch das Merchandising wurde angepasst: Da in Japan die Kultur des Schenkens sehr ausgeprägt ist, sind jede Menge kleine Mitbringsel im Angebot, vor allem kulinarische. Die typischen jahreszeitlichen Puppen, die in Japan Tradition haben, werden im Disney-Look angeboten. "Tokyo Disneyland vermittelt das ideale Bild von Amerika, das von Japanern für ein japanisches Publikum kreiert wird", fasst Iris-Aya Laemmerhirt zusammen. In einigen Punkten schießt das Management bei der Umsetzung dieses Bildes sogar über das Ziel hinaus. So wurden sämtliche Getränkeautomaten - eine uramerikanische Erfindung - aus dem Park verbannt: zu japanisch!

Donuts mit roter Bohnenpaste, Grüntee bei McDonald's

Ähnliche Anpassungsprozesse haben andere amerikanische Kulturexporte hinter sich, die in Japan erfolgreich sind. McDonald's bietet hier zum Beispiel Grüntee oder Oolong Tee an. Japanische Dunkin' Donuts-Filialen verkaufen nicht nur typisch amerikanische Donuts mit Marmeladen- oder Schoko-Füllung, sondern auch mit roter Bohnenpaste. "Man darf sich nicht vorstellen, dass Kulturen einfach überrannt werden", so Iris-Aya Laemmerhirt. "Man kann ja keinen zwingen, etwas zu konsumieren. Der Konsument hat immer die Wahl, nein zu sagen. Die Leute nehmen nur an, was sie mögen, sie suchen sich praktisch das Beste aus der fremden Kultur heraus und übernehmen nur das."

Die Amerikaner ihrerseits machen das genauso. In den USA ist Japan zurzeit "in". Hatte man vor einigen Jahrzehnten noch ein denkbar schlechtes Bild des Japaners an sich - die Erfahrungen des Krieges und der Angriff auf Pearl Harbour hatten ihre Spuren hinterlassen - gilt Japanisches heute als "cool". Mangas (japanische Comics) und Animes (japanische Animationsfilme) haben sich merklich in den Stil von Hollywoodproduktionen eingeschlichen. Die Regisseure von "The Matrix" wurden etwa von dem Anime "Ghost in the Shell" beeinflusst. Ganze Szenen lassen sich fast eins zu eins wiedererkennen. Man findet auch Anime Sequenzen in "Kill Bill Vol. 1". Bands kopieren in Kleidung und Make Up japanische Zeichentrickfiguren, indem sie sich zum Beispiel die Augen extrem groß und dunkel schminken.

Sushi-Rolle auf links gedreht - so stört der Seetang nicht

Am Beispiel Sushi lässt sich der Siegeszug des Japanischen auf dem amerikanischen Markt gut beobachten. Noch vor nicht allzu langer Zeit galt der Verzehr von rohem Fisch bei Amerikanern als barbarisch. Heute finden sich Sushi-Bars an allen Ecken, gilt Sushi als "Health Food", ist als kulinarische Spezialität einer Hochkultur teuer und chic. Aber auch in Amerika bedurfte es Anpassungen, um erfolgreich zu sein: So drehte man einige Sushiröllchen, weil viele Amerikaner den Seetang, der die Rolle außen abschließt, als abstoßend empfinden, einfach auf links: Verborgen im Inneren der Sushi-Rolle stört der Tang niemanden. Oder man ersetzte den rohen Fisch durch Avocado oder Rindfleisch. "American Sushi"-Kochbücher muss man heute nicht lange suchen. "Die Sushi-Form ist enorm populär", hat Iris-Aya Laemmerhirt bei ihren USA-Aufenthalten und Literaturrecherchen festgestellt, "zum Beispiel wurde eine 'Thanksgiving Roll' erfunden, bei der man Reste von einem traditionellen Thanksgiving Dinner wiederverwerten kann."

Auf beiden Seiten des Kulturaustauschs entstehen Hybride aus einheimischer und fremder Kultur. Fremdes wird nicht mehr als beängstigend empfunden, sondern als interessant. "Der Trick ist, das Exotische zwar vertraut zu machen, ihm dabei aber so viel Exotik zu lassen, dass es noch interessant bleibt", folgert die Amerikanistin. Ihren Ansatz der wechselseitigen Beeinflussung und gegenseitigen Bereicherung hat sie bisher bestätigt gefunden. Die "kleinere" Kulturnation wird nicht benachteiligt und fühlt sich auch nicht so. Japaner sind sich ihrer Tradition und ihrer Besonderheit sehr bewusst und entscheiden frei, was sie von außen annehmen und was nicht.


info

Transnationalism

Die Forscher am Lehrstuhl für Amerikanistik (Prof. Dr. Kornelia Freitag) arbeiten mit dem noch relativ neuen Transnationalism-Ansatz. Er versucht, die als "Globalisierung" beschriebenen kulturellen Veränderungen differenzierter zu analysieren. Generell untersucht Kulturwissenschaft kulturelle Texte aller Art. Das können Romane sein, aber auch Filme, TV-Werbespots, T-Shirt-Logos oder Produkte wie eben Disney. All dies kann als Text bezeichnet werden, da es aus Zeichen besteht, die kulturelle Bedeutungen spiegeln, kommunizieren und schaffen. Kulturwissenschaft nimmt Texte nicht als "natürlich" hin, sondern interessiert sich dafür, wie und wozu in ihnen bestimmte kulturelle Bedeutungen geschaffen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Zeichensysteme gemeinhin als "kulturell wertvoll", "populär", "Kunst" oder "Handwerk" bzw. "Produktdesign" bewertet werden.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Fotos der Originalpublikation:

Mickey und Minnie im Kimono: Für das ursprünglich aus China stammende Tanabata-Festival, das Fest der Liebenden, das im Tokyo Disneyland gefeiert wird, werden Mickey und Minnie in alte chinesische Gewänder gekleidet.
"Stich", ein Außerirdischer aus dem Disney Film "Lilo & Stich", der für das Merchandising in Japan in einer traditionellen japanischen Kabuki-Rüstung steck.
American Sushi Cookbook
Brücke mit Freiheitsstatue. Die Freiheitsstatue ziert ein japanisches Einkaufszentrum.

Diesen Artikel inklusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/


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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2008, S. 42-44
Herausgeber: Rektor der Ruhr-Universität Bochum in Verbindung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2008