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KLASSIK/348: Eine Sternstunde in der Karriere Karl Mildenbergers (SB)



Im Jahr 1966 verlangte er dem großen Muhammad Ali alles ab

Dieser Tage ist Karl Mildenberger 70 Jahre alt geworden, der einst in einer Sternstunde seiner Karriere dem legendären Muhammad Ali alles abverlangt hat, ehe er sich dem besten Schwergewichtler seiner Zeit geschlagen geben mußte.

Anfang des Jahres 1966 bezog Ali eindeutig Position gegen den Krieg in Vietnam und erklärte, er habe keinen Streit mit diesen Vietcong. Kein Vietcong habe ihn jemals Nigger genannt. Diese Äußerung, die zu einer der bekanntesten Parolen der Antikriegsbewegung in den USA werden sollte, machte ihn zum Haßobjekt des Imperialisnus an der Heimatfront. Man stempelte ihn zum Verräter ab, und niemand wollte mehr einen Kampf mit ihm veranstalten. Dies war der Grund, warum er sich zu einer Tournee im Ausland entschloß, die ihn zunächst nach Toronto und dann nach Europa führte.

Dort fragte man sich skeptisch, ob dieser Cassius Clay, der sich seit kurzem Muhammad Ali nannte, tatsächlich eine Ausnahmeerscheinung oder nicht vielleicht doch nur ein Großmaul war, wie es ins Showgeschäft der USA passen mochte, kaum aber in einen Boxring diesseits des großen Teichs.

Im Mai 1966 brach Ali zu seiner Auslandstournee auf, die ihn für das europäische Boxpublikum von einem fernen und mitunter fragwürdigen Mythos zu einer überragenden Erscheinung mit fortan unbezweifelbaren Qualitäten machen sollte. Als am 21. Mai Englands Stolz Henry Cooper und Muhammad Ali zum Wiegen im Odeon am Leicestersquare erschienen, gab sich der Brite in Begleitung seines Managers Jim Wicks noch zuversichtlich. Am Abend erlebten dann die 40.000 am Ring im Arsenal Football Ground einen Weltmeister in bestechender Form. Zwar leistete Henry Cooper tapfer Widerstand, doch mußte er in Runde fünf eine Serie von Kopftreffern einstecken, die das Ende einleiten sollten. In der überaus dramatischen sechsten Runde blutete der Herausforderer aus einem tiefen Cut an der linken Augenbraue, der unter Alis Treffern immer weiter aufzureißen drohte. Nach 1:38 Minuten machte Ringrichter George Smith aus Edinburgh dem ungleichen Kampf ein Ende. Der wohl beste Schwergewichtler Europas war geschlagen, Muhammad Ali blieb unangefochten Weltmeister.

Am 6. August 1966 bestritt Ali in der britischen Hauptstadt einen weiteren Kampf, an den sich heute nur wenige erinnern werden. Drei Runden lang hielt Brian London stand, ehe er durch K.o. unterlag.

Dann sollte auch der Deutsche Karl Mildenberger seine Chance gegen den Champion bekommen, an dessen Können inzwischen niemand mehr zweifelte. Der Kampf fand am 10. September 1966 vor 35.000 Zuschauern im Frankfurter Waldstadion statt. Mildenberger war amtierender Europameister im Schwergewicht, Nummer vier der Weltrangliste und dennoch zumindest im Ausland weitgehend unbekannt. So schrieb denn auch ein Kolumnist der New Yorker Zeitung "Harald Tribune": "Gute Nacht, Mr. Mildenberger, wer auch immer Sie sein mögen." Selbst in Deutschland erwartete man nicht allzuviel von ihm und rechnete allgemein damit, daß der Kampf bereits nach wenigen Runden vorüber sein werde.

Bei seiner ersten Pressekonferenz auf deutschem Boden erklärte Ali, er sei Black Muslim geworden, weil er später als Priester tätig werden wolle. Ungewohnt ernst und gesammelt sagte er weiter, er sei hier um zu kämpfen und nicht um zu reden. Im Ring habe jeder eine Chance, warum nicht auch Karl Mildenberger. Er trete zurück, sobald er geschlagen werde, doch sehe er vorläufig niemanden, der das könne. Er werde sieben Pfund leichter sein, als beim Kampf gegen Brian London, und noch schneller.

So erlebte das deutsche Publikum einen anderen Muhammad Ali, wobei den wenigsten zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein dürfte, mit welcher Konsequenz dieser Boxer für seine Überzeugung einstand. Am Ende ließ Ali dann aber doch noch den bekannten Schalk aufblitzen und verteilte an alle Journalisten eine Schallplatte. Sie sei ohne seinen Willen entstanden, und er finde sie scheußlich. Der Titelsong lautete: "I am the Greatest!" Vor dem Kampf gab es ein vielbeachtetes Shakehands zwischen Max Schmeling und Joe Louis.

Dann galt die volle Aufmerksamkeit dem Geschehen im Ring, wo sich der Kampf wider Erwarten sehr spannend entwickelte. Mildenberger, der in Rechtsauslage boxte, war Ali zwar technisch unterlegen, hielt sich aber sehr gut. Er plazierte etliche wuchtige Schläge an Kopf und Körper des Champs, der zunächst beträchtliche Schwierigkeiten hatte. Bis zur achten Runde blieb der Kampf offen, und der Herausforderer aus der Pfalz tat alles, um den Weltmeistertitel im Schwergewicht zum zweiten Mal nach Deutschland zu holen. Länger als Brian London, länger auch als Henry Cooper bot er dem Weltmeister Paroli, bis dann auch für ihn das Ende kam. Ali traf ihn nun immer häufiger am Kopf, und so brach der Ringrichter schließlich in der zwölften Runde ab. Es sei sein schwerster Kampf seit dem Titelgewinn gegen Sonny Liston gewesen, sagte Ali anerkennend. Unterdessen wurde Karl Mildenberger trotz seiner Niederlage wie ein Held gefeiert. Dies war der Höhepunkt in der Boxerlaufbahn Karl Mildenbergers, der von seinen 62 Profikämpfen, die er im Alter zwischen 21 und 31 Jahren bestritt, 53 gewann.

Muhammad Ali konnte damals seine Überlegenheit auch in Europa demonstrieren, und diese Reise dürfte ihm nicht wenige Sympathien begeisterter Boxfans, aber auch eine Popularität in breiten Kreisen der Bevölkerung eingebracht haben. Im Februar 1967 verteidigte er seinen Titel in Houston durch einen Punktsieg über 15 Runden gegen Ernie Terrel und am 22. März gegen Zora Folley in New York durch K.o. in Runde sieben.

Am 28. April 1967 weigerte sich Muhammad Ali vor der Erfassungskommission der US-Army, den Fahneneid abzulegen. Vor Gericht erschien er mit dem Koran und erklärte, als Geistlicher aus Gewissensgründen keinen Kriegsdienst leisten zu können. Daraufhin wurde er wegen Verweigerung des Militärdienstes zu fünf Jahren Gefängnis und 10.000 Dollar Geldstrafe verurteilt. Die Boxverbände WBA und WBC erkannten ihn nicht länger als Weltmeister an. Später schätzte man, daß er durch seine unerschütterliche Haltung, die ihm große persönliche Nachteile einbrachte, mindestens zehn Millionen Dollar an möglichen Kampfbörsen verloren hat. Zugleich aber trugen jene Ereignisse dazu bei, Muhammad Ali eine unbestreitbare Integrität zu verleihen, was damals freilich nur die wenigsten weißen Amerikaner so sahen.

25. November 2007