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KLASSIK/351: Jack Johnson läutete eine neue Ära ein (SB)



Held seiner schwarzen Landsleute - Haßobjekt des weißen Amerika

Als sich kein weißer Boxer mehr fand, dem man auch nur die Spur einer Chance gegen Jack Johnson einräumte, wurde der Ruf nach einer Legende immer lauter. Wenn keiner der aktiven Kämpfer dem Champion das Wasser reichen konnte, mußte ein Held der Vergangenheit wiederauferstehen, um die weiße Ehre zu retten. Die Wahl fiel auf James J. Jeffries, der ungeschlagen zurückgetreten war, als er keinen ebenbürtigen Gegner mehr fand. Während sich die Gazetten zunehmend an dieser Idee begeisterten und die Geschäftemacher eine unerhörte Gelegenheit witterten, war Jeffries selbst überhaupt nicht geneigt, dieser abwegigen Forderung nachzukommen. Er hatte sechs Jahre zuvor seine Laufbahn beendet und hielt es für absurd, mit seinen 35 Jahren wieder in den Ring zu steigen. Was ging es ihn an, daß nun ein Schwarzer Weltmeister aller Klassen war? Mag sein, daß Jeffries auch dank seiner eigenen Erfahrung als unüberwindlicher Champion mehr als andere zu schätzen wußte, daß ihm in Johnson, wenn auch im Abstand einiger Jahre, ein würdiger Nachfolger erwachsen war, der dem Boxsport nach einer Phase des Niedergangs endlich wieder alle Ehre machte.

Nein, Jeffries hat diesen Kampf sicher nicht gewollt. Dreimal lehnte er ab, kein noch so hohes Angebot konnte ihn umstimmen. Da griffen die Manager Tex Rickard und Jack Gleason, nachdem sie bei dem alten Starrkopf keinen Schritt weitergekommen waren, zu üblen Machenschaften. Sie lancierten Artikel in der Presse, die Jeffries zunehmend als vaterlandslosen Gesellen brandmarkten, der seine Nation im Stich ließ und die Herausforderung fürchtete. Auf diese Weise angeheizt, brandete eine Hetzkampagne gegen Jeffries an, der er sich schließlich nicht länger entziehen konnte, wollte er seinen guten Ruf nicht restlos in den Schmutz ziehen lassen.

So kam es denn am 4. Juli 1910 in Reno, Nevada, zu jener denkwürdigen Ringschlacht, die wieder einmal als "Kampf des Jahrhunderts" angekündigt wurde. Diesmal ging es um weit mehr als die Weltmeisterehre, es ging um die Hoffnung des weißen Mannes. Das Spektakel schlug auch in finanzieller Hinsicht alle Rekorde, war doch eine Gesamtsumme von 100.000 US-Dollar garantiert, 60.000 für den Sieger und 40.000 für den Verlierer. Als man Kassensturz machte, zählten die Promoter nach Abzug der Börsen einen Überschuß von genau 170.775 Dollar. Das hatte es noch nie zuvor gegeben, und dabei war dies nur der offiziell erzielte Gewinn. Was mochte wohl an Wettgeldern im ganzen Land umgesetzt worden sein!

Als Jeffries in den Brutofen dieses Julitags hinaustrat, dürften ihm Geld und nationale Ehre wenig bedeutet haben, wohl aber Gluthitze und müde Knochen, war ihm doch längst nicht die Zeit geblieben, auch nur annähernd die Verfassung früherer Tage wiederzuerlangen. Ihm stand ein austrainierter Athlet auf dem Zenit seines Könnens gegenüber. Doch Jeffries war nie ein furchtsamer Boxer gewesen und so griff er denn auf das altbewährte Mittel zurück: Wie ein Berg stand er im Ring, ließ sich treffen und hoffte auf die Chance, irgendwann einen seiner gefürchteten Schläge anzubringen. Jeffries war natürlich längst nicht mehr in der Form seiner Zeit als Weltmeister, während ihm in Jack Johnson ein Könner gegenüberstand, wie er ihm wohl noch nie begegnet war. Der Champion nahm dank seiner enormen Beweglichkeit den Schlägen jede Wirkung, tänzelte leichtfüßig um Jeffries herum und bearbeitete ihn mit Serien harter Treffer. Nach 15 langen Runden war der Herausforderer am Ende seiner Kräfte und mußte nun das Schicksal seiner früheren Gegner teilen. Zu müde, um sich noch zu schützen, wurde er niedergeschlagen. Zum ersten Mal in seiner Karriere lag der Riese auf dem Boden. Doch bei neun stand er wieder auf, wurde abermals niedergestreckt und kam noch einmal wankend auf die Beine. Ein letzter Schlag gegen das nun völlig ungedeckte Kinn machte dem ungleichen Kampf ein Ende. James J. Jeffries lag benommen auf der Erde, Jack Johnson blieb Weltmeister aller Klassen.

In Reno waren sich zwei Könige im Ring begegnet, der eine auf dem Gipfel seines umfassenden Könnens, der andere Jahre nach seiner besten Zeit, und dennoch eine der schwersten Aufgaben, die Johnson je zu bewältigen hatte. In seiner Heimat mangels Gegnern zur Untätigkeit gezwungen, sah sich dieser daraufhin einmal mehr im fernen Europa nach neuen Herausforderern um. So trug er dem britischen Europameister "Bombardier" Billy Wells einen Kampf an, den die Regierung auf der Insel jedoch prompt verbot.

Erst im folgenden Jahr jubelten die Amerikaner wieder einer weißen Hoffnung zu, die auf der Woge der Begeisterung kometengleich am Boxhimmel erschienen war: Dieser Jim Flynn würde Johnson das unverschämte Grinsen schon austreiben, das inzwischen durch eingesetzte Goldzähne den einen noch attraktiver, den andern aber als Gipfel der Provokation erschien. Genügte es nicht, daß dieser Schwarze reich geworden war, indem er Weiße verprügelte? Mußte er seinen Wohlstand auch noch lächelnd zur Schau tragen?

Am 4. Juli 1912 fand in Las Vegas dieses spektakuläre Duell statt, bei dem die Boxer einmal mehr als Vertreter zweier Rassen in die Schlacht zogen. Erstmals waren die schwarzen Zuschauer in der Überzahl, was Johnson eine gewisse Sicherheit bot. Nicht, daß er sie im Ring nötig gehabt hätte, denn der hochgehandelte Flynn hatte wie schon seine Vorgänger keine echte Chance gegen den Weltmeister. Immer wieder von plazierten Haken und Uppercuts getroffen, nahm der Herausforderer Zuflucht zu Kopfstößen und Tiefschlägen. Als das Publikum daraufhin eine drohende Haltung einnahm, schritt die Polizei ein, um den Kampf in der neunten Runde vorzeitig zu beenden. Daß Polizisten den Ring stürmten, war für Jack Johnson beinahe schon zur Gewohnheit geworden, doch daß sie ihn damit vor üblen Machenschaften bewahrten, hatte er noch nie zuvor erlebt.

So blieb er unangefochten Weltmeister, doch wer wollte noch gegen ihn antreten! Er versuchte sich in einem anderen Metier und machte in San Francisco eine Bar namens "Grand Palais" auf, in der jedoch bald Spieler und Gauner den Ton angaben. Johnson stand auf verlorenem Posten, und die Polizei schloß das Etablissement. Jack Johnson, der unterdessen auch noch eine Weiße geheiratet hatte und damit endgültig gegen alle Konventionen verstieß, sah sich schließlich angesichts wachsender Schwierigkeiten mit der US-Regierung gezwungen, das Land zu verlassen.

Ein Boxweltmeister - vielleicht der beste, den die USA je hervorgebracht hatten - mußte ins Exil gehen. Ein Tiefschlag für den Boxsport, ein Wendepunkt im sozialen Klima, eine Erleichterung für das weiße Amerika. Kaum hatte Johnson seiner Heimat den Rücken gekehrt, als man auch schon eilfertig ein Turnier mit weißen Schwergewichtlern veranstaltete, aus dem ein gewisser Luther McCarthy als sogenannter Interimsweltmeister hervorging. Man hatte der Ära des überragenden Jack Johnson als Weltmeister zwangsweise ein Ende gesetzt, doch sollte das letzte Kapitel seiner Rolle in der Geschichte des modernen Boxsports noch folgen.

Man schrieb das Jahr 1915. In Europa wütete der Weltkrieg, und während die Zahl der Toten an den Fronten von Tag zu Tag stieg, versuchten die Nationen auf den anderen Kontinenten, ihre vermeintlich heile Sportwelt zu pflegen. Amerika hatte noch immer keinen Boxweltmeister aller Klassen vorzuweisen, der diesen Namen verdient hätte. Man hatte Jack Johnson, den schwarzen Champion, ins Exil getrieben. Doch obwohl jeder, der seine Sinne nicht vollends vom Rassenhaß trüben ließ, wußte, daß kein Faustkämpfer dieses Titels würdig war, der sich nicht mit Johnson gemessen hatte, wollte kein Polizeipräsident in den USA die Verantwortung für einen solchen Kampf übernehmen.

So trafen denn am 5. April 1915 der weiße Jess Willard und die schwarze Legende Jack Johnson in Kubas Hauptstadt Havanna aufeinander, um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht unter sich auszumachen. In der einen Ecke der große, ungeschlachte Bursche von 32 Jahren, ihm gegenüber der fünf Jahre ältere, doch noch immer ungeschlagene Held zahlloser Ringschlachten. War Johnson nach all den Jahren, in denen man ihm das Leben schwergemacht hatte, nicht endlich zu alt und zu müde, um noch einmal zu triumphieren?

Doch der Kampf währte noch nicht lange, als Johnson wie in alten Zeiten den riesigen Gegner in schwere Bedrängnis brachte. Am Ende der vierten Runde wankte Willard blutend in seine Ecke, und die 10.000 schwarzen Arbeiter aus den Tabakfabriken und Zuckerrohrplantagen skandierten in tobender Begeisterung "Kill him, Jack!" Und Jack Johnson schien diesmal wahrzumachen, was er so oft mit Rücksicht auf ein weißes Publikum nicht vollendet hatte: In Runde fünf, sechs und sieben glich Willard einem hilflosen Sandsack. Die angereisten Reporter aus New York und Philadelphia, San Francisco und Chicago, nickten sich wissend zu, denn Willard schien zu enden, wie alle anderen "weißen Hoffnungen" auch.

Doch wie aus heiterem Himmel wendete sich das Blatt. Nicht, daß Jess Willard mit dem Mut der Verzweiflung die Initiative an sich gerissen hätte, nein, Jack Johnson schien sich plötzlich zu besinnen und tat fast gar nichts mehr. In Runde 15 dann das Unerhörte, was man seit so vielen Jahren nicht mehr erlebt hatte: Johnson ging zu Boden, wenngleich niemand wußte warum. War er am Ende doch nicht mehr in der Lage, einen langen Kampf durchzustehen? Allmählich aber dämmerte es auch dem letzten Zuschauer, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.

Doch Willard war noch immer nicht imstande, einen entscheidenden Vorteil aus der Passivität seines Gegners zu ziehen. Der Kampf schleppte sich unter wachsender Unruhe im Publikum weiter, bis endlich in Runde 26 Johnson erneut zu Boden ging. Niemand hatte den Schlag gesehen, aber der Champion lag auf dem Rücken und hielt eine Faust vors Gesicht, als blende ihn die Sonne. Eilfertig zählte ihn der Ringrichter aus, als fürchte er, Johnson könne sich doch wieder erheben. Als das Aus ertönte, stürmte die tobende Menge den Ring. Diesmal genügte die Polizei nicht, um die aufgebrachten Zuschauer in Schach zu halten. Militär griff ein, um die Arena zu räumen. Noch Stunden später kam es in den Straßen Havannas zu Schlägereien mit Hunderten von Verletzten.

Die USA hatten endlich wieder einen weißen Weltmeister aller Klassen: Jess Willard war der neue Champion. Wer bis zu diesem Tag noch auf die Glaubwürdigkeit des Boxsports gehofft hatte, mußte sich nach dem Skandal von Havanna enttäuscht abwenden. Jack Johnson stellte noch im Alter von 37 Jahren sein überragendes Können eindrucksvoll unter Beweis, ehe er dem längst geschlagenen Willard den Vortritt ließ. Wer wollte ihm vorwerfen, daß er sich zum Abschluß seiner großartigen Karriere offenbar bestechen ließ? Aus seiner Heimat vertrieben, in England am Boxen gehindert, war er der Möglichkeit beraubt, sich so lange im Ring zu behaupten, bis ihn ein würdiger Nachfolger in einem fairen Kampf bezwang. Wenngleich Jack Johnson mit einem Skandal als Champion abtrat, so tut dies seinem Ruhm keinen Abbruch. Das Boxgeschäft hatte endlich durchgesetzt, was das weiße Amerika aus tiefstem Herzen wünschte.

29. Dezember 2008