Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/1819: Remis mit Beigeschmack (SB)



Amir Mansour und Gerald Washington trennen sich unentschieden

Die beiden US-amerikanischen Schwergewichtler Amir Mansour und Gerald Washington haben sich in Shelton, Washington, mit einem umstrittenen Unentschieden getrennt, das man wohl als Geschenk an den jüngeren Boxer ausweisen muß. Mit 97:93 für Washington, 96:94 für Mansour und 95:95 wichen die Wertungen derart weit voneinander ab, daß man im Falle der Punktrichterin Adalaide Byrd fragen muß, welchen Kampf sie denn gesehen hat. Auch Pat Russel, dessen Zettel sich am Ende zu einem Gleichstand summierten, lag in den Augen des Publikums schief, das nach Verkündung des Urteils seinem Mißfallen lautstark Ausdruck verlieh.

Dem 33jährigen Gerald Washington eilte der Ruf voraus, nach spätestens fünf Runden konditionell abzubauen. Diesmal ging ihm bereits nach vier Durchgängen die Luft aus, worauf er keine ernsthaften Anstalten mehr machte, den Sieg davonzutragen. Er schien nur noch bestrebt zu sein, nicht auf den Brettern zu landen, während ihm der zehn Jahre ältere Mansour mit unablässigem Druck und zahlreichen Körpertreffern zusetzte. Die letzten sechs Runden des auf zehn Durchgänge angesetzten Kampfs hielt sich Washington mit Weglaufen, Klammern und Schieben über Wasser, wobei deutlich zu erkennen war, wie sehr ihm die Schläge des Gegners zu schaffen machten.

Obgleich ein mehr oder minder klarer Punktsieg Mansours den Verlauf angemessen widergespiegelt hätte, beklagte Washington das Unentschieden anschließend als furchtbare Entscheidung. Er habe definitiv gewonnen, was die Spuren im Gesicht seines Kontrahenten belegten, während seines nicht im mindesten gezeichnet sei. Daß man die Auswirkungen zahlloser Körpertreffer natürlich nicht sehen konnte, überging er in seiner Stellungnahme geflissentlich.

Dank dieses Fehlurteils blieb Gerald Washington ungeschlagen, was wohl auch der hintergründige Zweck der absurden Wertung war. Während für ihn nun 16 Siege und dieses Unentschieden zu Buche stehen, werden für Amir Mansour 22 gewonnene Auftritte sowie je ein verlorener und unentschieden abgeschlossener Kampf notiert.

Der 1,98 m große Washington war angesichts seiner imposanten Statur und der vorangegangenen Siegesserie mit viel Vorschußlorbeeren in den Kampf gegangen. Mit dem Ergebnis haben ihm die Punktrichter keinen Gefallen getan, da seine Demontage allenfalls hinausgeschoben wurde. Im Grunde zeigte der wesentlich kleinere, aber konditionell und kämpferisch klar überlegene Mansour die Grenzen des überbewerteten Gegners deutlich auf. Sollte dieser künftig auf einen der führenden Schwergewichtler wie Deontay Wilder treffen, wäre es schlecht um ihn bestellt. Dann würde seine fragwürdige Kondition keine Rolle mehr spielen, da er nach wenigen Runden ohnehin am Ende wäre. [1]

Bedauerlich ist das Ergebnis für Amir Mansour, der sein Debüt im Profilager bereits 1997 gegeben, seither jedoch einen beträchtlichen Teil seines Lebens im Gefängnis verbracht hat. Zwischen 2001 und 2010 verbüßte er eine Haftstrafe wegen Drogendelikten. Nach seiner Entlassung kehrte er in den Ring zurück und kämpfte sich mit sieben Siegen in Folge bis auf Platz sieben der WBO-Rangliste voran. Im Dezember 2011 wurde er jedoch unter dem Vorwurf, er habe gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen, zu vierzehn Monaten Gefängnis verurteilt, von denen er sieben absitzen mußte. Angesichts dieser Unterbrechungen seiner sportlichen Laufbahn konnte er erst in einem Alter seine professionelle Karriere fortsetzen, in dem andere die Boxhandschuhe längst an den Nagel gehängt haben. Da er für einen Boxer nicht mehr der Jüngste ist, bleibt ihm wenig Zeit, sich an die Spitze der Ranglisten hochzuarbeiten. Bei seiner Suche nach namhaften Gegnern, die zu besiegen seine Karriere beflügeln könnte, erntete er jedoch zumeist Desinteresse und Absagen.

In seinem bislang bedeutendsten Kampf traf Mansour Anfang April 2014 in Philadelphia auf den früheren Cruisergewichtsweltmeister Steve Cunningham, dem er sich nach einem hochklassigen und erbittert geführten Kampf nach Punkten geschlagen geben mußte. Nachdem Cunningham die ersten vier Runden mit seinem Jab dominiert hatte, schickte ihn Mansour im fünften Durchgang zweimal zu Boden. Dank seiner Erfahrung und Ringintelligenz überstand der Lokalmatador diese fast aussichtslos anmutende Phase und bekam das Geschehen wieder in den Griff, wenngleich sein Gegner bis zum Ende gefährlich blieb. Da Mansour im Rückstand lag, setzte er in der letzten Runde alles auf eine Karte, doch schickte ihn Cunningham in schwerer Bedrängnis mit einem Konter auf die Bretter. Die Zuschauer feierten die Kontrahenten für einen mitreißenden Auftritt, und namhafte Experten bedachten ausdrücklich beide Boxer mit dem hohen Lob, das oftmals von Langeweile geprägte Schwergewicht mit einem Feuerwerk aufgewertet zu haben.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/10/gerald-washington-vs-amir-mansour-live-results/#more-200389

15. Oktober 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang