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MELDUNG/1870: Im Schnellverfahren zum großen Zahltag (SB)



David Haye nimmt Anthony Joshua aufs Korn

David Haye, der nach dreieinhalb Jahren Abwesenheit wider Erwarten in den Ring zurückkehrt, hat wie schon in der Vergangenheit natürlich nicht vor, den steinigen und in seiner Situation aussichtslosen Weg eines geordnet zu nennenden Neuaufbaus seiner Karriere und seines Marktwerts zu gehen. Wenn der inzwischen 35 Jahre alte Schwergewichtler am 16. Januar in der Londoner O2 Arena auf den zwei Jahre jüngeren Australier Mark de Mori trifft, ist dies für den Briten ein Aufgalopp, dem sofort spektakuläre und lukrative Auftritte folgen sollen. Auf dem Papier ist der in der WBA-Rangliste an Nummer zehn geführte Mark de Mori, für den 30 Siege, eine Niederlage sowie zwei Unentschieden zu Buche stehen, eine leicht lösbare Aufgabe. Wenngleich der in Kroatien lebende Australier seit September 2004 nicht mehr verloren hat, stand er doch fast ausnahmslos mit drittklassigen Gegnern im Ring.

Für Haye geht es bei seiner Wiederkehr unausgesprochen darum, eine uneingeschränkte körperliche Verfassung zu demonstrieren und höchste Gefährlichkeit zu simulieren, indem er einen überforderten Gegner frühzeitig auf die Bretter schickt. Da dies der erste Kampf nach seiner Schulteroperation ist und er nach der jahrelangen Pause womöglich Konditionsprobleme bekommen könnte, wird er versuchen, den Auftritt zeitlich in Grenzen und das Publikum mit spektakulären Aktionen bei Laune zu halten. Sollte ihm der Australier einen zähen und langweiligen Gang über die volle Distanz abverlangen, wäre dies Gift für die vollmundig angekündigte, aber weithin bezweifelte Wiederauferstehung des vordem durchaus unterhaltsamen Briten.

In seinen öffentlichen Stellungnahmen denkt Haye jedenfalls weit über den Auftakt mit dem mutmaßlichen Kanonenfutter Mark de Mori hinaus und wünscht sich bereits im nächsten Schritt seinen jungen Landsmann Anthony Joshua zum Gegner. Der bringt zwar außer den für Haye bedeutungslosen Gürteln des Britischen und des Commonwealth-Champions keine weitere Trophäe mit, ist aber in der heimischen Schwergewichtsszene spätestens seit seinem Sieg über den Erzrivalen Dillian Whyte die größte Nummer neben Tyson Fury, der Wladimir Klitschko mit seinem Gewese zur Salzsäule erstarren ließ.

Seinetwegen gern schon im Sommer oder aber gegen Ende des Jahres 2016 könne dieser Kampf über die Bühne gehen, sofern Anthony Joshua dazu bereit sei, vermeidet Haye tunlichst den Eindruck, er trete als Bittsteller auf den Plan. Sobald er Mark de Mori aus dem Weg geräumt habe, sei er offen für Gespräche. Wahrscheinlich brauche Joshua noch ein bis zwei Kämpfe, um diesen höheren Level zu erreichen, doch wenn ihm schon früher danach sei, stehe dem nichts im Wege.

Wenngleich Joshua und dessen Promoter Eddie Hearn im Entwurf ihrer Zukunftspläne auch David Hayes Namen genannt haben, liegt doch auf der Hand, daß dieser den populären Aufsteiger weitaus dringender braucht als dies umgekehrt der Fall ist. Whyte war der erste gefährliche Gegner des ungeschlagenen Joshua, der zuvor nur Fallobst niedergestreckt hatte. Tatsächlich sah es in der zweiten Runde nach dem ersten Volltreffer Whytes schlecht für Anthony Joshua aus, doch hatte sich sein Gegner bei dieser Aktion eine Verletzung am Schlagarm zugezogen, die später eine Operation erforderlich machte. Was zunächst wie ein souveräner Sieg Joshuas aussah, war letzten Endes ein Glücksfall, da er den stark eingeschränkten Rivalen aus dem Feld schlagen und seinen Nimbus wahren konnte.

Er könnte sich David Haye aussuchen, sofern dieser gegen Mark de Mori einen kläglichen Eindruck macht und als nächstes Schlachtopfer zu gebrauchen wäre. Sollte der 35jährige jedoch seine gewaltigen Schwinger noch immer so verheerend schlagen wie vor Jahren, wird es sich Eddie Hearn dreimal überlegen, ob man dieses Risiko eingehen sollte. Für Haye sieht die Lage insofern anders aus, als er unbedingt einen namhaften Gegner braucht, mit dem zusammen er sich wieder ins Gespräch und Geschäft bringen kann, ohne mühselige Umwege zu nehmen. Da es ein innerbritisches Duell sein muß, sofern er kräftig Zunder geben und seine Taschen füllen will, bleiben ihm kaum andere Optionen. Tyson Fury ist vorerst eine Nummer zu groß und sein alter Rivale Dereck Chisora eine zu klein für David Haye.

Man könnte aus dieser Herangehensweise natürlich den Schluß ziehen, Haye habe nichts anderes vor, als einen großen Zahltag mit Anthony Joshua abzufeiern und danach wieder in der Versenkung zu verschwinden. So sah es jedenfalls nach seinem umsatzstarken Kampf gegen Chisora im Jahr 2012 aus, dem bislang letzten in der Laufbahn des Londoners. Diese Sichtweise blendet allerdings aus, daß ein Kampf gegen Tyson Fury geplant und offenbar auch ernsthaft beabsichtigt war, Haye jedoch wegen seiner Verletzungen absagen mußte. Obgleich die lädierte Schulter eine Operation erforderlich machte, hält Fury seinem damaligen Rivalen noch heute vor, dieser sei ein Simulant, der Angst vor ihm habe und nie im Leben eine zweite Chance bekommen werde.

Die Annahme, Haye müsse zunächst eine Reihe von Aufbaukämpfen bestreiten, um sich in den Ranglisten zu plazieren, was wiederum die Voraussetzung eines späteren Titelkampfs wäre, nimmt Bezug auf formale Regularien und Abläufe, mit denen sich der Brite nicht abgeben will und inzwischen auch schwerlich kann. Wenngleich ein von langer Hand vorbereitetes Duell wie seinerzeit das gegen Wladimir Klitschko im Endeffekt sehr viel mehr Geld einbringen könnte als ein Schnellschuß, läßt sich dieses Muster nicht einfach wiederholen. Haye und Joshua müßten bis dahin alle Auftritte gewinnen, was zu gewährleisten aus heutiger Sicht völlig ungewiß anmutet.

David Haye wurde in der Vergangenheit so häufig von Verletzungen heimgesucht, daß er künftig kaum vor erneuten körperlichen Problemen verschont bleiben wird. Deshalb muß es aus seiner Perspektive in einer überschaubaren Frist zu diesem Duell kommen, das herbeizureden er sich gerade anschickt. Sollte das tatsächlich gelingen, sind seine Aussichten im Ring nicht die allerbesten. Gegen den wesentlich größeren Wladimir Klitschko ging er kein Risiko ein und blieb tunlichst auf Abstand. Seine Ankündigung, er werde beherzt angreifen und den Ukrainer auf die Bretter schicken, erwies sich als Schall und Rauch. Auf diese Weise erreichte der Brite aufrecht stehend den Schlußgong, verlor aber haushoch nach Punkten. Im Falle Joshuas wären die körperlichen Verhältnisse in etwa dieselben, was zur Befürchtung Anlaß gibt, daß der Kampf ähnlich enttäuschend verlaufen würde. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/12/203614/#more-203614

26. Dezember 2015


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