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MELDUNG/1893: Erstmal an die eigene Nase fassen! (SB)



Tyson Fury ergeht sich in müßigen Tiraden

Am vergangenen Wochenende ist Charles Martin überraschend neuer IBF-Weltmeister im Schwergewicht geworden. Der international wenig bekannte US-Amerikaner setzte sich im Barclays Center in Brooklyn gegen den Ranglistenersten Wjatscheslaw Hlaskow durch, der in der dritten Runde wegen einer schweren Knieverletzung die Segel streichen mußte. Postwendend hat IBF-Präsident Daryl Peoples dem Champion die Frist von einem Jahr für die Absolvierung seiner ersten Pflichtverteidigung eingeräumt. Martin habe den Kampf gewonnen und solle sich erst einmal seines neuen Gürtels erfreuen. In wenigen Tagen werde der Herausforderer feststehen, mit dem sich der Weltmeister binnen zwölf Monaten messen müsse, so der führende Repräsentant des Verbands mit Sitz in Springfield, New Jersey.

Obgleich diese Entscheidung dem Reglement der IBF und den üblichen Gepflogenheiten entspricht, bringt sie Tyson Fury auf die Palme. Der Brite hatte den Titel im November durch den Sieg über Wladimir Klitschko gewonnen, es dann aber abgelehnt, ihn wie vom Verband gefordert im nächsten Schritt gegen den Pflichtherausforderer Wjatscheslaw Hlaskow zu verteidigen. Daraufhin erkannte ihm die IBF den Titel ab und vergab ihn im Kampf zwischen Hlaskow und Martin neu. Wie Fury nun argwöhnt, setze dieser Verband alles daran, den Gürtel in den USA zu halten. Die IBF könne ihn mal, er habe ihren Gürtel sowieso schon ins Klo geworfen, wettert der Brite. Er könne nicht verstehen, warum sich dieser Verband ins eigene Fleisch schneide und freiwillig vom wahren Weltmeister abkopple. Ihm sei es inzwischen egal, was die IBF mit ihrem Titel veranstalte, sehe aber eindeutige Anzeichen dafür, daß dieser Gürtel die USA so schnell nicht mehr verlassen werde.

Offensichtlich braucht Tyson Fury die IBF durchaus, und sei es nur, um über sie zu schimpfen und zu behaupten, sie sei ihm völlig gleichgültig. Bevor er diesen Verband nun hinterhältiger Machenschaften bezichtigt, sollte er sich zuerst an die eigene Nase fassen. Niemand hat ihn gezwungen, im Vertrag mit Klitschko die Rückkampfklausel zu akzeptieren, da er Pflichtherausforderer des Ukrainers bei der WBO war. Ohne diese Vereinbarung hätte es ihm freigestanden, gegen Hlaskow anzutreten, was Fury jedoch gar nicht vorhatte. Wie er damals betonte, sei dieser viel zu wenig bekannt und bringe nicht genug Geld, weshalb er einen Rückkampf gegen Klitschko selbstverständlich vorziehe.

Einmal angenommen, Fury wäre der Aufforderung der IBF nachgekommen, dann säße er im Falle eines Sieges über Hlaskow in derselben Position wie Charles Martin und bekäme ein Jahr Zeit für die erste Pflichtverteidigung. Davon abgesehen wird der neue IBF-Weltmeister sicher nicht untätig herumsitzen, sondern in absehbarer Frist einen Kampf nach seiner Wahl austragen. Das könnte dann eine freiwillige Titelverteidigung gegen einen weniger anspruchsvollen Gegner oder ein Kampf mit einem der anderen Titelträger, also entweder Deontay Wilder (WBC) oder Tyson Fury (WBA, WBO) sein.

Statt der IBF zu zürnen, wäre der Brite besser beraten, gemeinsam mit seinem Promoter Mick Hennessy Pläne über einen Kampf gegen Charles Martin für den Fall zu schmieden, daß Wladimir Klitschko ein zweites Mal den kürzeren zieht. Vor allem aber sollte sich der Brite auf den Ukrainer konzentrieren, um zu verhindern, daß ihn dieser bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen wieder dahin zurückbefördert, wo er hergekommen ist. [1]

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Robert Helenius legt den Titel des Europameisters nieder

Kalle Sauerland hat mit seiner Vorhersage richtiggelegen, daß Robert Helenius den Titel des Europameisters im Schwergewicht eher niederlegen wird, als ihn gegen den Pflichtherausforderer Dereck Chisora zu verteidigen. Der in 22 Kämpfen ungeschlagene Finne gibt den Gürtel in der Tat zurück, den er in der Vergangenheit schon einmal besessen hat, und schreitet voran, um früher oder später einen Weltmeister ins Visier zu nehmen.

Diese Entwicklung könnte die Aussichten des 32jährigen Briten verbessern, den erhofften Kampf gegen seinen sieben Jahre jüngeren Landsmann Anthony Joshua zu bekommen. Dieser hat zumindest vor einiger Zeit verlauten lassen, er wolle zuerst Europameister werden, um sich danach den höchsten Aufgaben zu widmen. Ob er das nach wie vor im Sinn hat, muß sich freilich erst noch erweisen. Chisora ist mit seinen 25 Siegen und fünf Niederlagen wesentlich erfahrener als der in 15 Auftritten ungeschlagene Joshua, den der Verband WBC jedoch bereits an Nummer zwei seiner Rangliste führt.

Für Anthony Joshua macht es wenig Sinn, sich mit dem europäischen Titel aufzuhalten, den er ohnehin nicht längere Zeit behalten und verteidigen würde. Er könnte ihn allenfalls im Vorbeigehen mitnehmen, sofern der Gegner für ihn auf dem Weg läge. Die entscheidende Frage ist daher, ob es Joshua nützen könnte, mit Chisora in den Ring zu steigen. Dieser stellt jedoch ihr Verhältnis auf den Kopf, wenn er erklärt, der junge Bursche müsse erst noch lernen, wie der Hase in diesem Geschäft läuft. Im übrigen habe Joshua nach seinem Sieg über Dillian Whyte ja selbst eingeräumt, daß noch vieles in seiner Kampfesweise verbesserungswürdig sei. Ihn selbst bringe ein Kampf gegen Joshua insofern nicht wesentlich weiter, als man seine Leistung im Falle des Sieges mit dem Hinweis relativieren würde, er habe lediglich gegen einen Novizen gewonnen. Joshua sei schlichtweg noch zu unerfahren, so Chisora, der seinen aktuellen Wunschgegner offensichtlich aus der Reserve locken will.

Seit der Niederlage gegen Tyson Fury im Jahr 2014 hat Dereck Chisora zwar fünf Auftritte gewonnen, dabei jedoch ausschließlich gegen bestenfalls zweitklassige Gegner gekämpft. Daß er nach diesem Rückschlag nicht sofort den nächsten gefährlichen Kontrahenten aufs Korn genommen hat, liegt auf der Hand. Inzwischen wäre es aber längst an der Zeit, die Anforderungen Zug um Zug zu steigern, um sich womöglich wieder an die Spitze heranzuarbeiten. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/01/tyson-fury-bellyaching-ibf-giving-charles-martin-1-year-defend-title/#more-204452

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/01/helenius-vacates-ebu-title-clears-way-joshua-chisora-fight/#more-204434

23. Januar 2016


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