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MELDUNG/1978: Spätstarter kalt erwischt (SB)



Dmytro Kucher macht kurzen Prozeß mit Enzo Maccarinelli

Der Ukrainer Dmytro Kucher hat sich den vakanten Titel des Europameisters im Cruisergewicht gesichert, während sein unterlegener Gegner Enzo Maccarinelli die Boxhandschuhe an den Nagel hängen will. Das Gefecht in der York Hall im Londoner Stadtteil Bethnal Green endete bereits nach 2:48 Minuten der ersten Runde, als der Waliser aus dem Kampf genommen wurde und zugleich in seiner Ecke das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe bereitlag.

Dabei hatte Maccarinelli zum Auftakt einen guten Eindruck gemacht, da er seinen Gegner mit dem Jab und wuchtigen linken Haken zum Körper dominierte. Brachte Kucher die Rechte, wehrte sie der Waliser problemlos ab oder wich ihr aus, so daß er sich wohl auf der sicheren Seite wähnte. Dann schlug plötzlich ein linker Haken zum Kopf bei ihm ein, den Kucher erstmals und sofort mit bahnbrechender Wirkung zum Einsatz brachte. Maccarinelli geriet ins Wanken, worauf der Ukrainer unverzögert nachsetzte und ihn mit einer Rechts-links-Kombination auf die Bretter schickte. Der Waliser ließ sich bis neun anzählen, ehe er mühsam wieder auf die Beine kam, doch schwankte er so bedenklich hin und her, daß Ringrichter Giuseppe Quartarone den Kampf für beendet erklärte.

Für den 33jährigen Dmytro Kucher, der bislang an Nummer neun der WBC-Rangliste geführt wurde, dürfte der Gewinn der Europameisterschaft mit einem Sprung unter die Top 5 verbunden sein. Er hat nun 24 Siege, eine Niederlage sowie ein Unentschieden vorzuweisen, wobei er im Juli 2013 knapp gegen Ilunga Makabu verlor, doch dessen enormer Wucht zwölf Runden lang standhielt. Man sagt dem Ukrainer daher gute Nehmerqualitäten und zudem eine ansehnliche Schlagwirkung nach. Seit dieser Niederlage hat Kucher gegen Galen Brown und Bobby Thomas gewonnen, dem ungeschlagenen Bill Laggoune ein Unentschieden abgenötigt und nun mit Maccarinelli kurzen Prozeß gemacht.

Der 35 Jahre alte Enzo Maccarinelli hat 41 Kämpfe gewonnen und acht verloren. Er war früher WBO-Weltmeister im Cruisergewicht, bis er 2008 seinem britischen Landsmann David Haye in der zweiten Runde unterlag. Im Mai 2015 bekam der Waliser noch einmal eine Titelchance, doch mußte er sich dem regulären WBA-Weltmeister im Halbschwergewicht, Jürgen Brähmer aus dem Team Sauerland, vorzeitig geschlagen geben. Seither hatte er sich gegen Gyorgy Novak, Jiri Svacina und Roy Jones jun. durchgesetzt.

Der Kampf gegen Dmytro Kucher war aller Voraussicht nach seine letzte Gelegenheit, Herausforderer eines Weltmeisters zu werden. Hätte er gewonnen, wäre er wohl von Tony Bellew, dem neuen WBC-Champion im Cruisergewicht, für dessen erste freiwillige Titelverteidigung im September verpflichtet worden. Maccarinelli ist dem britischen Publikum wohlbekannt und hätte als Herausforderer Bellew die Möglichkeit verschafft, diesen Kampf vor einer recht großen Kulisse in England auszutragen. Das gilt nicht in gleichem Maße für Dmytro Kucher, der zwar in London neuer Europameister geworden ist, sich aber noch keinen Namen auf der Insel gemacht hat.

Daß Maccarinelli alle acht Niederlagen seiner Karriere vorzeitig bezogen hat, läßt besorgniserregende Rückschlüsse auf mangelnde Nehmerqualitäten zu. Da der Waliser im Zuge seines damaligen Aufstiegs zum WBO-Weltmeister nur einmal verloren hatte, mutet das Debakel im Prestigekampf gegen David Haye von 2008 zumindest in der Rückschau wie der entscheidende Bruch in seiner Laufbahn an. Traf er danach auf Gegner mit schwächer ausgeprägter Schlagwirkung, konnte er sich weiterhin durchsetzen. Sobald er jedoch einem Kontrahenten mit gehörigem Dampf in den Fäusten gegenüberstand, war es um ihn geschehen.

In den zurückliegenden acht Jahren war Maccarinelli zudem als Spätstarter bekannt, der in den ersten Runden besonders angreifbar wirkte. So landete er 2012 im Kampf mit Shane McPhilbin, der als leichter Gegner galt, in der ersten und dritten Runde auf den Brettern. Angesichts dieser Schwäche wäre der Waliser gut beraten gewesen, es gegen Kucher ruhiger angehen zu lassen, um nach zwei oder drei überstandenen Runden offensiver zu Werke zu gehen. Er ließ sich jedoch sofort auf den Schlagabtausch ein, was ihm schlecht bekam. Obgleich der linke Haken des Ukrainers nicht besonders wuchtig wirkte, reichte er aus, um Maccarinelli sturmreif zu schießen. [1]

Wie sein Promoter Frank Warren im Vorfeld des aktuellen Auftritts erklärt hatte, wünsche sich der Waliser nichts weiter als eine erneute Titelchance, bevor er seine Karriere beende. Enzo habe genügend Boxverstand, einen guten Jab und sei in der Lage, einen Gegner niederzuschlagen. Treffe er Tony Bellew am Kinn, werde der so schnell nicht wieder aufstehen. [2] Die wesentliche Aussparung in dieser Charakterisierung Enzo Maccarinellis in Gestalt seiner Schwäche, auch nur halbwegs gefährlichen Treffern standzuhalten, hat diese Pläne durchkreuzt. Denkt man gar an Cruisergewichtler wie Murat Gassijew, Marco Huck oder Olexander Usyk, deren Schlagwirkung tatsächlich gefürchtet ist, kann man Enzo Maccarinellis Absicht nur begrüßen, seinen Abschied zu nehmen, ehe er durch weitere K.o.-Niederlagen gesundheitlichen Schaden nimmt.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/enzo-maccarinelli/#more-211821

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/06/enzo-maccarinelli-vs-dmytro-kucher-tonight-london-uk/#more-211801

12. Juni 2016


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