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MELDUNG/2068: Kehraus in der Königsklasse (SB)



Kräftemessen zwischen Deontay Wilder und Anthony Joshua?

Im Schwergewicht zeichnet sich perspektivisch ein Kampf zwischen den Weltmeistern Deontay Wilder (WBC) aus den USA und Anthony Joshua (IBF) aus England ab, der Ende des Jahres 2017 über die Bühne gehen könnte und vom Sender Showtime übertragen würde. Damit es dazu kommt, müssen allerdings beide ihre kommenden Auftritte unbeschadet überstehen. Joshua dürfte die schwerere Aufgabe zufallen, soll er doch im Frühjahr auf Wladimir Klitschko treffen. Da dabei nicht nur der Gürtel des Briten, sondern auch auch der vakante WBA-Titel zur Disposition steht, wird der Ukrainer nichts unversucht lassen, sich noch einmal an der Spitze der Königsklasse zurückzumelden.

Der 30 Jahre alte Wilder war lange außer Gefecht, nachdem er sich bei seinem Sieg über Chris Arreola im April eine Muskelverletzung am Oberarm und einen Bruch an der rechten Hand zugezogen hatte, die operativer Behandlung bedurften. Er wird wohl im März oder April 2017 in den Ring zurückkehren. Der US-Amerikaner bestreitet voraussichtlich zwei Aufbaukämpfe, um sich für den Gang gegen Joshua zu rüsten. Als mögliche Gegner sind Hughie Fury und Jarrell Miller im Gespräch, die relativ leicht lösbare Aufgaben für Wilder sein sollten, sofern seine lädierte Schlaghand wieder uneingeschränkt einsatzbereit ist.

Hughie Fury ist der Cousin des ehemaligen Weltmeisters Tyson Fury, der bekanntlich seine Gürtel aufgrund psychischer Probleme und damit verbundenen Einschränkungen einer angemessenen Trainingsarbeit zurückgegeben hat. Der jüngere Fury ist zwar ebenfalls unbesiegt, hat aber nicht annähernd so gefährliche Gegner wie Wilder bezwungen und dabei keine allzu gute Figur gemacht. Wenngleich er mit 1,98 m fast so groß wie der US-Amerikaner ist, hält sich seine Schlagwirkung in engen Grenzen, weshalb nicht abzusehen ist, wie er dem Champion standhalten sollte. Etwas anspruchsvoller wäre wohl Jarrell Miller, der in der WBC-Rangliste jedoch erst an Nummer 15 auftaucht. Miller ist groß, recht robust und kann gehörig zuschlagen, hat aber der Schnelligkeit Wilders kaum etwas entgegenzusetzen. Dieser mußte bei seinen 36 Siegen nur beim Titelgewinn gegen Bermane Stiverne im Januar 2015 über die volle Distanz gehen und würde höchstwahrscheinlich auch Fury und Miller vorzeitig besiegen. [1]

Nach den Worten Stephen Espinozas vom Sender Showtime wäre sowohl der Sieger des Kampfs zwischen Joshua und Klitschko als auch der des Duells zwischen Bermane Stiverne und Alexander Powetkin ein naheliegender Kontrahent für Deontay Wilder. Beide Optionen verbürgten hochklassige Auftritte, wobei seiner Meinung nach im Zweifelsfall Anthony Joshua die qualitativ beste Wahl wäre, so Espinoza. Die Entscheidung bleibt natürlich nicht Showtime allein überlassen, da auch Joshuas Promoter Eddie Hearn mit von der Partei sein müßte, der seinen prominentesten Schwergewichtler bislang sehr vorsichtig aufgebaut hat.

Dem Vernehmen nach ist Hearn auch an einer Revanche zwischen Joshua und seinem Landsmann Dillian Whyte interessiert. White brachte den britischen Rivalen bei ihrem ersten Aufeinandertreffen frühzeitig in Schwierigkeiten, zog sich dabei aber eine Verletzung an der Schulter zu, so daß Joshua in der Folge einen vorzeitigen Sieg herausboxen konnte. Whyte hat den erforderlichen operativen Eingriff auskuriert und einige Kämpfe bestritten, doch scheint er an Schlagwirkung in seiner vordem so gefährlichen Linken eingebüßt zu haben. Kein Wunder, daß sich der Promoter für diese Option erwärmen kann, die sich in England gut vermarkten ließe, aber diesmal einen leichteren Gang für Joshua verspräche.

Zudem scheint Eddie Hearn auch einen Kampf zwischen Joshua und Luis Ortiz in Erwägung zu ziehen, den er überraschend unter Vertrag genommen hat. Der Kubaner wurde bis vor kurzem als gefährlichster Akteur im Schwergewicht gehandelt, was dazu geführt hat, daß ihm sämtliche prominenten Akteure tunlichst aus dem Weg gingen. Mit seinen 37 Jahren bleibt Ortiz jedoch nicht mehr viel Zeit, sich erfolgreich in Szene zu setzen, ehe er dem Verschleiß einer langen Karriere als Amateur und Profi Tribut zollen muß. Sein letzter Kampf gegen Malik Scott nahm einen enttäuschenden Verlauf, was der Kubaner hinterher seinem ständig flüchtenden Gegner zum Vorwurf machte. Wenngleich offensichtlich war, daß Scott nicht gewinnen, sondern nur die zwölf Runden überstehen und womöglich einen Glückstreffer landen wollte, wirkte der Kubaner phlegmatisch und zu unbeweglich, um den entweichenden Kontrahenten in die Enge zu treiben und zu stellen. Ob Ortiz tatsächlich abgebaut hat oder die beiderseitigen Kampfesweisen schlichtweg nicht zusammenpaßten, sei dahingestellt. Jedenfalls verfehlte Hearn das Ziel, den Kubaner mit einem spektakulären Auftritt unter den britischen Fans auf Anhieb bekannt zu machen.

Für Anthony Joshua steht zunächst am 10. Dezember eine Titelverteidigung gegen Eric Molina in der Manchester Arena an, die von Sky Sports in Großbritannien und Showtime Boxing in den USA übertragen wird. Molina hat im vergangenen Jahr bereits gegen Deontay Wilder verloren, der ihn in der neunten Runde geschlagen auf die Bretter schickte. Danach setzte sich der US-Amerikaner mit einem vorzeitigen Sieg über den 40jährigen Tomasz Adamek gut in Szene, wobei man jedoch berücksichtigen muß, daß der Pole den Zenit seines Könnens schon vor geraumer Zeit überschritten hat.

Da Joshua auch mit dem Sender Showtime vertraglich verbunden ist, wurde mit Eric Molina gezielt ein Herausforderer gewählt, der dem US-amerikanischen Boxpublikum recht gut bekannt ist. Den meisten Fans dürften freilich nur die Niederlagen gegen Wilder und Arreola in Erinnerung geblieben sein, so daß sich der Zugewinn für den IBF-Champion in Grenzen hielte, sollte er wie erwartet mit Molina relativ leichtes Spiel haben. Eddie Hearn hätte einen gefährlicheren Gegner aussuchen müssen, um Joshuas Licht auch jenseits des Atlantiks scheinen zu lassen, doch ist der britische Promoter nach wie vor sorgsam darauf bedacht, allzu riskante Kämpfe zu vermeiden.

Da Alexander Powetkin und Bermane Stiverne auf Beschluß des WBC um den Interimstitel kämpfen, kann Deontay Wilder kaum umhin, früher oder später gegen den daraus hervorgehenden Pflichtherausforderer anzutreten. Zumindest wäre das eine kurzfristige Alternative, sollte er mit Jarrell Miller oder Hughie Fury nicht handelseinig werden. Während Miller wohl rasch zusagen dürfte, könnten sich die Verhandlungen mit Furys Management länger hinziehen, das vor einiger Zeit ein Angebot Wilders ausgeschlagen hat. Damals hieß es zu Recht im Umfeld des jungen Briten, er sei noch nicht bereit für Wilder. Daran dürfte sich zwar im Prinzip nie etwas ändern, doch wird man im Lager Furys zumindest versuchen, die drohende Niederlage mit einer ansehnlichen Börse zu versüßen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/11/jarrell-miller-hughie-fury-possible-wilder-2017/#more-221379

18. November 2016


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