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MELDUNG/2104: Hexenkessel in Neuseeland (SB)



Hughie Fury muß zu Joseph Parker nach Auckland reisen

Nachdem Tyson Fury seine Titel im Schwergewicht niedergelegt hatte, sicherte sich der 25 Jahre alte Neuseeländer Joseph Parker den vakanten Gürtel der WBO am 10. Dezember in Auckland durch einen knappen Punktsieg gegen Andy Ruiz. Der Lokalmatador profitierte dabei von seiner euphorischen Fangemeinde, deren Geräuschkulisse auch die Punktrichter beeindruckt haben dürfte. Seine erste Titelverteidigung bestreitet der in 22 Kämpfen ungeschlagene Parker am 1. April wiederum vor heimischem Publikum gegen den 22jährigen Briten Hughie Fury, der ebenfalls ungeschlagen ist und 20 Auftritte gewonnen hat.

Parkers Co-Promoter Duco Events gewann am Sitz der WBO in San Juan, Puerto Rico, die Austragungsrechte mit einem Gebot von 3,011 Millionen Dollar, während der Promoter des Pflichtherausforderers, Frank Warren, mit 2,8 Millionen das Nachsehen hatte. Gemäß der Beschlußlage auf dem Konvent des Verbands im vergangenen Jahr erhält der Titelverteidiger 60 Prozent der Gesamtbörse (rund 1,8 Millionen Dollar), während dem Briten 40 Prozent (rund 1,2 Millionen Dollar) zustehen.

Carl Moretti, Vizepräsident bei Parkers US-amerikanischem Co-Promoter Top Rank, wohnte der Versteigerung bei. Er kündigt einen sehr unterhaltsamen Kampf an, dessen Sieger gute Aussichten auf ein Duell mit einem anderen Weltmeister später im Jahr habe, bei dem die Titel zusammengeführt werden. Nach aktuellem Stand wäre das entweder WBC-Champion Deontay Wilder aus Tuscaloosa in Alabama oder der Sieger des Kampfs zwischen IBF-Weltmeister Anthony Joshua aus England und Wladimir Klitschko, bei dem auch der vakante WBA-Titel zur Disposition steht.

Hughie Fury ist der jüngere Cousin Tyson Furys, der im Herbst aufgrund psychischer Probleme eine Auszeit genommen hat. Hughies Vater Peter Fury trainiert beide Boxer und hofft natürlich, den WBO-Gürtel in Familienbesitz zurückholen zu können. Leicht wird das nicht, da Parker in Auckland auf seinen bewährten Heimvorteil bauen kann und sich zudem gegen wesentlich stärkere Gegner durchgesetzt hat als der junge Brite, für den der Titelkampf höchstwahrscheinlich zu früh kommt. [1]

Der an Nummer zwei der WBO-Rangliste geführte Hughie Fury hat in seiner vier Jahre währenden Profikarriere bislang nur ein einziges Mal im Ausland gekämpft. Im April 2013 setzte er sich im New Yorker Madison Square Garden gegen Alex Rozman durch, wobei die beiden im Vorprogramm boxten und die Zuschauer vermutlich keinen von beiden kannten. Beim Titelkampf gegen Parker wird es der Brite hingegen mit einer riesigen Menschenmenge zu tun bekommen, die es nicht gut mit ihm meint und jede Aktion seines Gegners bejubelt.

Wie sein prominenterer Cousin ist auch Hughie Fury trotz seiner Größe von 1,98 m ein Boxer mit geringer Schlagwirkung, der sich darauf verlegt hat, zu klammern, zu schlagen und wegzulaufen, um nicht selber getroffen zu werden. Diese Kampfesweise ist für ein Schwergewicht seiner Statur besonders aufwendig und zehrt an der Kondition, was dazu führt, daß ihm spätestens in der sechsten oder siebten Runde die Luft ausgeht. So geschehen bei seinem letzten Auftritt am 30. April in der Londoner Copper Box Arena, als er es mit dem soliden Aufbaugegner Fred Kassi zu tun bekam. Fury wurde in der sechsten Runde müde und fing sich daraufhin diverse schwere Treffer ein. Im folgenden Durchgang lag seine vorzeitige Niederlage in der Luft, als die beiden plötzlich mit den Köpfen zusammenstießen und er eine Rißwunde über dem linken Auge davontrug, die zum Abbruch führte. Ohne dieses Geschenk des Himmels hätte der Brite wohl vorzeitig verloren, seine weiße Weste des ungeschlagenen Boxers eingebüßt und wäre natürlich auch nicht in den Genuß eines Titelkampfs gekommen.

Vor Fred Kassi hatte sich Hughie Fury mit Gegnern wie Dominick Guinn, Larry Olubamiwo, Emilio Ezequiel Zarate, George Arias und Andrej Rudenko gemessen, die man nicht gerade als Prüfsteine eines Titelaspiranten bezeichnen kann. Ganz anders Joseph Parker, der mit Andy Ruiz, Alexander Dimitrenko, Solomon Haumono, Carlos Takam und Kali Meehan schon recht ansehnliche Kaliber vor den Fäusten hatte und darüber zum Pflichtherausforderer der IBF aufgestiegen war. Statt auf die Chance zu warten, mit Anthony Joshua in den Ring zu steigen, zog er verständlicherweise einen sofortigen Kampf um den vakant gewordenen WBO-Titel gegen Andy Ruiz vor, da dies der schnellere und leichtere Weg auf den Thron des Weltmeisters war.

Joseph Parker ist dem Briten an Schlagwirkung weit überlegen und läuft nicht weg, da er auf seine erprobten Nehmerqualitäten vertraut. Dabei kann er durchaus recht beweglich boxen und einem flüchtenden Gegner den Weg abschneiden, um ihn zu stellen. Und selbst wenn es Hughie Fury gelingen sollte, sich dem Favoriten etliche Runden lang zu entziehen, wird er sich dabei wohl derart erschöpfen, daß er stehenbleiben und die Schläge Parkers über sich ergehen lassen muß. Er könnte natürlich klammern, um sich zu erholen, aber da der Infight nicht sein Metier ist, würde er dabei wenig ausrichten. [2]

Wenngleich auch der Neuseeländer seine Schwächen und noch viel Erfahrung zu sammeln hat, ist er als Boxer doch weiter entwickelt als Fury. Vor allem aber verfügt Parker über Qualitäten, die der Brite wahrscheinlich nie ausbilden wird. Dessen Glück, im Windschatten seines Cousins mitzureisen und rascher nach vorn getragen zu werden, als es seinem tatsächlichen Können entsprach, dürfte sich als Verhängnis erweisen. Möglicherweise ist dieser viel zu frühe Titelkampf aber ohnehin seine einzige Chance, einmal auf großer Bühne im Rampenlicht zu stehen.

Sollte Joseph Parker den Kampf nicht völlig verschlafen, indem er Fury volle zwölf Runden lang laufen und irgendwie Punkte sammeln läßt, wird er ihn mit einigen wuchtigen Volltreffern zwingen, vorzeitig die Segel zu streichen. Das abschreckende Beispiel Wladimir Klitschkos vor Augen, der partout nicht schlagen wollte und deswegen gegen Tyson Fury verlor, dürfte der Neuseeländer gewarnt sein, die Zügel nicht schleifen zu lassen.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/18614934/joseph-parker-hughie-fury-targeted-april-1-new-zealand-duco-events-wins-purse-bid

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/02/joseph-parker-vs-hughie-fury-april-1-new-zealand/#more-226466

5. Februar 2017


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