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MELDUNG/2113: Leben in die Bude bringen (SB)



Vitali Klitschko macht Werbung für seinen Bruder

Ob der Kampf zwischen Anthony Joshua und Wladimir Klitschko am 29. April als eine Sternstunde in die Geschichte des zeitgenössischen Schwergewichtsboxens eingeht oder mit einer herben Enttäuschung endet, wird sich zeigen. Das mit 90.000 Zuschauern ausverkaufte Londoner Wembley-Stadion zeugt jedenfalls von der Begeisterung, mit der zumindest die britischen Fans dem Spektakel entgegensehen. Der 27 Jahre alte und in 18 Auftritten ungeschlagene IBF-Weltmeister zählt zu ihren erklärten Favoriten. Klitschko, den viele nach der desaströsen Niederlage gegen Tyson Fury abgeschrieben hatten, will nach langer Abwesenheit beweisen, daß er noch immer das Zeug hat, sich den Titel zurückzuholen und den vakanten Gürtel der WBA dazu, der dabei neu vergeben wird.

Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, von dem man in den deutschen Medien kaum noch etwas zu lesen oder zu hören bekommt, meldet sich nun zu Wort, um eine Lanze für seinen jüngeren Bruder zu brechen. Wladimir könne Joshua oder jeden anderen Schwergewichtler auf dem Planeten schlagen, sofern er nur fokussiert zu Werke gehe. Den Kampf gegen Fury habe er nur deswegen verloren, weil er nicht fokussiert gewesen sei. Dieser Erklärungsversuch läßt sich insofern nicht ganz von der Hand weisen, als Wladimir damals wie in Trance gewirkt hatte, als ihm sein Trainer Jonathon Banks und sein älterer Bruder Vitali in den Pausen Anweisungen gaben, wie er den Kampf zu seinen Gunsten drehen könnte.

Was immer ihm die beiden mit wachsender Dringlichkeit rieten, ging offenbar zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Wladimir folgte ihrem Rat nicht, obgleich dieser überhaupt nicht kompliziert war: Er solle häufiger schlagen. Warum er das nicht tat und über weite Strecken mehr oder weniger herumstand, läßt sich natürlich nicht damit erklären, daß er abgelenkt gewesen wäre oder Fury auf die leichte Schulter genommen hätte. Wenn Vitali jetzt erklärt, Wladimir müsse fokussiert boxen, ist das ein Versuch, den Bann zu brechen, unter dem der jüngere Klitschko zuletzt gestanden hat, ohne ihn näher beim Namen zu nennen.

Während sich der Kampf beim britischen und sicher auch beim deutschen Publikum gut vermarkten läßt, ist er in den Internetforen und sozialen Medien kein großes Thema, von den USA ganz zu schweigen. Joshua und Klitschko sind für den US-amerikanischen Geschmack einfach zu nett, sie zollen einander Respekt und pöbeln sich nicht gegenseitig an. Das finden die allermeisten Boxfans in den USA höchst langweilig, zumal keiner von beiden dort auf eine Fangemeinde zurückgreifen kann. Wladimir Klitschko hat zwei Jahre nicht mehr im Ring gestanden und wird von den US-Experten durchweg als alternder Exchampion dargestellt, der nicht mehr schnell und präzise zuschlagen könne.

Während der inzwischen 45 Jahre alte Vitali Klitschko etwas Leben in die Werbekampagne seines Bruders zu bringen versucht, obgleich er selbst auch nicht gerade ein verbaler Unterhaltungskünstler ist, wäre Anthony Joshua gut beraten, von seinen Landsleuten David Haye, Dillian Whyte, Tyson Fury und Dereck Chisora zu lernen, wie man einen bevorstehenden Kampf bewirbt und für die potentielle Zuschauerschaft interessant macht. Wenngleich das Gerede dieses Quartetts nicht selten geschmacklos bis peinlich ausfällt und in eine Pöbelei übergehen kann, verstehen sie es doch mehr oder minder, eine kleinere oder größere Fehde zu inszenieren. Joshua ist zwar in England recht populär, doch wenn er es zum internationalen Star bringen will, muß er seine Werbung in eigener Sache erheblich verbessern.

Noch zehrt er von dem Nimbus, alle Gegner vorzeitig besiegt zu haben. Wenngleich Kritiker zu Recht einwenden, sein Promoter Eddie Hearn habe ihm stets handverlesenes Kanonenfutter serviert und ihn von allen gefährlichen Rivalen ferngehalten, will ihn seine Fangemeinde ein ums andere Mal als übermächtigen Muskelberg erleben, der auf den Kontrahenten einschlägt, bis dieser umfällt oder der Ringrichter schützend dazwischengeht.

Unterdessen orakelt Vitali Klitschko weiter über die Stärken und Schwächen seines jüngeren Bruders, in dessen Ecke er am 29. April gemeinsam mit Jonathon Banks stehen wird. Wladimir verfüge über eine gute Technik, großartige Kondition und gehörige Schlagwirkung. Nur wenn er nicht fokussiert sei, bekäme er Probleme. Auf die Frage, was er von Anthony Joshua halte, erwiderte der ältere Klitschko, der Brite sei jung, hungrig und sehr gut, so daß man ihm eine erstklassige Zukunftsperspektive vorhersagen könne. Jetzt müsse sich Joshua jedoch mit seinem Bruder messen, so Vitali Klitschko. Mit Andeutungen, welche Taktik er Wladimir empfehle, um den Weltmeister zu besiegen, rückte er aber nicht heraus. Kein Wort davon komme über seine Lippen. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/02/vitali-klitschko-nobody-can-beat-wladimir-hes-focused/#more-228159

26. Februar 2017


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