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MELDUNG/2189: Harsche Grüße an den liebsten Feind (SB)



Anthony Joshua und Deontay Wilder auf Kollisionskurs

Der britische Promoter Eddie Hearn schmiedet längst Pläne, wie es mit seinem Schwergewichtler Anthony Joshua nach dem erhofften Sieg über Kubrat Pulew am 28. Oktober in Cardiff weitergehen soll. Hearn will den Weltmeister der WBA und IBF in Las Vegas oder vielleicht sogar im Nahen Osten antreten lassen, worauf dann der Vereinigungskampf mit WBC-Champion Deontay Wilder über die Bühne gehen könnte. Ein möglicher Gegner in Las Vegas wäre Joseph Parker, der den Titel der WBO in seinem Besitz hat. Würde sich Joshua gegen den Neuseeländer durchsetzen, hätte er bereits drei der vier maßgeblichen Gürtel eingesammelt, so daß der Sieger eines krönenden Duells mit Wilder der unangefochtene Champion in der Königsklasse wäre.

Noch sind Eddie Hearn insofern die Hände gebunden, als die Entscheidung des Verbands WBA aussteht, wie mit Luis Ortiz nach dessen positiver Dopingprobe zu verfahren sei. Der in 27 Auftritten ungeschlagene Kubaner ist Pflichtherausforderer der WBA, so daß Joshua diesen Titel gegen ihn verteidigen müßte. Ein geplanter Kampf zwischen Deontay Wilder und Luis Ortiz, der am 4. November in New York stattfinden sollte, ist jedoch bereits abgesagt worden. Möglicherweise verliert der Kubaner seinen Status, doch solange dies ungeklärt bleibt, hält sich auch Hearn bedeckt. Man kann aber wohl davon ausgehen, daß er froh wäre, sich dieser lästigen Pflicht entledigen und Joshua sofort auf Gürteljagd schicken zu können.

Da Ortiz in den USA lebt, wäre Las Vegas ein geeigneter Austragungsort. Der Kubaner ist nach offiziellen Angaben fast 39 Jahre alt, Gerüchten zufolge jedoch bereits erheblich älter. Seine Mobilität und Kondition haben zuletzt deutlich nachgelassen, nicht jedoch seine gediegene Technik und enorme Schlagwirkung. Er sieht inzwischen ziemlich schlecht aus, wenn ihm ein Gegner wegläuft und lediglich mit schnellen Vorstößen und sofortigen Rückzügen zu punkten versucht. Geht der Kontrahent jedoch frontal und eher eindimensional auf ihn los, wie das bei Joshua der Fall wäre, könnte der kubanische Rechtsausleger seine variantenreiche Kampfesweise ausspielen, so daß er in einem solchen Fall unberechenbar und gefährlich bliebe. Man kann das Verhältnis dieser beiden Boxer mit der Aussage ins Bild bringen, daß Ortiz im Laufe der Jahre mehr verlernt als Joshua bislang gelernt hat, aber immer noch gefährlich genug sein dürfte, um dem Briten Probleme zu bereiten. [1]

Anthony Joshua ist seit seinem Olympiasieg 2012 in London und dem darauffolgenden Wechsel ins Profilager nie im Ausland aufgetreten. Letzteres war auch insofern nicht zwingend erforderlich, als das britische Boxgeschäft boomt und sich einheimische Akteure erfolgreich und gewinnbringend zu Stars aufbauen lassen. Nun ist jedoch die Zeit reif, sich auch beim US-amerikanischen Publikum einen Namen zu machen und am dortigen Pay-TV zu partizipieren. Selbst Deontay Wilder ist als Weltmeister lediglich in seinem heimischen Bundesstaat Alabama ausgesprochen populär, jedoch keineswegs überall in den USA ein gefeierter Sportler. Auch wenn Joshua in England gegen Wilder antreten würde, wo dieser spektakuläre Kampf sicher 90.000 Zuschauer ins Wembley-Stadion locken und Sky Box Office eine Traumquote im Bezahlfernsehen garantieren würde, ließe sich eine Übertragung in den USA wesentlich besser vermarkten, wäre der 27jährige Brite dort bereits gut eingeführt.

Der ungeschlagene Joshua, für den mit 19 vorzeitigen Siegen genau halb so viele Erfolge wie für den ebenfalls unbezwungenen Wilder zu Buche stehen, muß zunächst aber zusehen, daß ihn Kubrat Pulew im Principality Stadium in Cardiff nicht jäh aus allen Träumen reißt. Der Bulgare aus dem Team Sauerland, der von Ulli Wegner trainiert wird, ist 36 Jahre alt, nicht viel kleiner als der fast zwei Meter messende Brite und hat 25 Siege sowie eine Niederlage gegen Wladimir Klitschko vorzuweisen, der ihn 2015 in der fünften Runde entscheidend niederzwang. Joshua steigt als klarer Favorit in den Ring, da Pulew in den letzten Jahren keine Anhaltspunkte dafür geboten hat, daß er es mit der aktuellen Weltspitze aufnehmen könne. Andererseits greifen bei der Karriere eines Boxers viele verschiedene Komponenten ineinander, weshalb man nicht ausschließen kann, daß der Bulgare immer noch viel gefährlicher als angenommen ist.

Sollte es Anthony Joshua tatsächlich gelingen, Joseph Parker, möglicherweise Luis Ortiz und schließlich auch Deontay Wilder zu besiegen und damit sämtliche Titel zusammenzuführen, würde er zu einem der führenden Akteure im gesamten Boxsport aufsteigen und weit darüber hinaus Beachtung finden. Allerdings hat sein Kampf gegen Wladimir Klitschko am 29. April im Wembley-Stadion in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, wo die Grenzen des Briten nach wie vor angesiedelt sind. Nachdem er den Ukrainer in der fünften Runde niedergeschlagen hatte, revanchierte sich dieser im folgenden Durchgang und hätte den Kampf wohl in dieser Phase durch energisches Nachsetzen für sich entscheiden können, da Joshua gravierende Konditionsprobleme bekam. Daß ihm nach einigen Runden die Luft ausgeht, wird der Brite so schnell nicht ändern können, da er sich einen Muskelpanzer zugelegt hat, der ihn offensichtlich einschränkt und auf eine Weise belastet, der sein Herz-Kreislauf-System nur bedingt gewachsen ist.

Ortiz, Parker und Wilder würden sich kaum eine vergleichbare Fehleinschätzung wie Wladimir Klitschko erlauben oder wie er bestrebt sein, stets auf Nummer Sicher zu gehen. Hätten sie einen angeschlagenen Anthony Joshua vor den Fäusten, würden sie rückhaltlos nachlegen, um ihm den Garaus zu machen. Einiges wird davon abhängen, wieviel Mühe es den Briten kostet, sich bis an Wilder heranzuarbeiten. Sollten sich die vorangehenden Auftritte erheblich schwerer als erhofft gestalten, wäre ein enger Zeitplan der darauffolgenden Kämpfe riskant oder schlichtweg nicht einzuhalten.

Unterdessen inszenieren Joshua und Wilder über die sozialen Medien ein Wortgefecht, um eine ernsthafte Fehde zu simulieren und Werbung für ihren geplanten Kampf im Sommer oder Herbst 2018 zu machen. Wilder gilt als wortgewandt und ein Boxer, der sich der Bedeutung werbewirksamer Äußerungen mitunter auch vulgären Inhalts durchaus bewußt ist. Der Brite hielt sich in dieser Hinsicht bislang eher zurück und kultivierte sein Image eines höflichen Sportlers mit Manieren, was freilich eher langweilig wirkte und das Interesse des Publikums nicht gerade über das ohnehin vorhandene Maß hinaus beflügelte. Inzwischen hat sich auch Joshua eines je nach Sichtweise Besseren oder Schlechteren besonnen und pöbelt kräftig mit. Wie er zur Begründung anführte, könne er sich die ständigen Anwürfe nicht länger gefallen lassen. Deontay Wilder und David Haye zögen ständig über ihn her, weshalb er auf diesem Wege ankündige, allen beiden das Maul stopfen zu wollen. Wilder brauchte ungeachtet der verschiedenen Zeitzonen lediglich sieben Stunden, um seine Antwort zu posten, in der er dem Briten seinerseits kräftig über den Mund fuhr.

Der WBC-Weltmeister verteidigt seinen Titel am 4. November im Barclays Center in Brooklyn gegen den Pflichtherausforderer Bermane Stiverne, dem er den Gürtel im Januar 2015 abgenommen hatte. Stiverne war der bislang einzige Gegner, der nicht vorzeitig gegen Wilder verloren hat, sondern zwölf Runden mit ihm durchhielt, ehe er sich nach Punkten geschlagen geben mußte. Allerdings hatte sich der US-Amerikaner dabei die rechte Hand gebrochen und die zweite Hälfte des Kampfs im wesentlichen einarmig bestritten. Seither hat der in den USA lebende Kanadier nicht mehr im Ring gestanden, was natürlich dazu beiträgt, ihm nur geringe Chancen gegen den Champion einzuräumen.

Joshua wird seinem Rivalen entweder offen oder klammheimlich die Daumen drücken, denn würde Wilder überraschend an dem robusten Stiverne scheitern, wäre das auch für den Briten fatal. Weder Bermane Stiverne noch irgendein anderer Kandidat böte als neuer WBC-Weltmeister dieselben Aussichten wie Deontay Wilder, ein letztendliches Gipfeltreffen der Superlative zu inszenieren und sich damit die Taschen reichlich zu füllen. Jedenfalls läßt der Brite eine gewisse Dringlichkeit erkennen, den Kampf gegen Wilder recht bald ins Auge zu fassen, um Nägel mit Köpfen zu machen. [2]

Ob Joshua diesen Gegner besiegen kann, steht auf einem anderen Blatt. Wilder hat gegen Eric Molina und Nicolai Firtha mitunter gewackelt, dann aber zurückgeschossen und beide vorzeitig in die Schranken gewiesen. Viel würde davon abhängen, wer von beiden den ersten schweren Treffer landen kann. Sollte der Brite wie in all seinen bisherigen Kämpfen zwischendurch nachlassen, würde bei einem Gegner wie Wilder seine letzte Stunde als Weltmeister schlagen. In jedem Fall ließe sich eine Revanche auf die Beine stellen, aus der unter Umständen eine Trilogie werden könnte. Im Grunde brauchen Joshua und Wilder an diesem Punkt ihrer Karriere einander, um sich in der Wahrnehmung des weltweiten Publikums ganz nach oben zu katapultieren.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/10/hearn-joshuas-next-fight-possibly-las-vegas-wilder/#more-244672

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/10/deontay-wilder-responds-joshuas-threat/#more-244666

12. Oktober 2017


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