Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2200: Klare Widerworte perforieren Deutungsmacht (SB)



Golowkin erwehrt sich der Golden-Boy-Propaganda

Erinnern wir uns: Beim langersehnten und hochdotierten Duell zwischen Gennadi Golowkin und Saul "Canelo" Alvarez, das am 16. September in der T-Mobile Arena in Las Vegas über die Bühne ging, war der Kasache der überlegene Boxer. Zwei der drei Punktrichter sahen das jedoch anders und schenkten dem Mexikaner ein überaus schmeichelhaftes Unentscheiden, wobei ihre Wertung teils nicht nachvollziehbare, teils sogar absurde Züge annahm. Seither hausieren "Canelo" und sein Team bei den Golden Boy Promotions mit der borniert vorgetragenen Behauptung, sie hätten den Kampf im Grunde gewonnen. Das gefällt Golowkin natürlich nicht, der sich nun abermals mit klärenden und mahnenden Einwänden zu Wort gemeldet hat.

Wie der Weltmeister der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO im Mittelgewicht, für den 37 Siege sowie dieses leidige Unentschieden zu Buche stehen, warnend anmerkt, stehe es "Canelo" und Golden Boy schlecht zu Gesicht, die Boxfans zu belügen, die den Kampf doch mit eigenen Augen verfolgt und sich ihr Urteil gebildet hätten. Viele Experten und Zuschauer gaben Golowkin acht oder neun Runden, während sie dem Herausforderer nicht mmehr als drei bis vier Durchgänge gutschreiben mochten. Der Mexikaner hatte sich anfangs ausgezeichnet gehalten, dann aber konditionell nachgelassen und kein Land mehr gesehen, was auch für jene Phasen galt, in denen er sich noch einmal aufbäumte und den Schlagabtausch suchte.

Ohne ins Detail zu gehen, gibt Golowkin kritisch zu bedenken, daß viel unternommen worden sei, um den populären mexikanischen Star vor der drohenden Niederlage zu bewahren. Er wolle die schlichtweg lächerliche Wertung der Punktrichterin Adelaide Byrd von 118:110 zugunsten "Canelos" gar nicht weiter erörtern. Er könne es jedoch nicht hinnehmen, daß die Gegenseite herumlaufe und den Sieg für sich reklamiere. Oscar de la Hoya und Bernard Hopkins haben in der Tat wiederholt verkündet, "Canelo" habe ihres Erachtens genug getan, um zu gewinnen. Wenn sich Hopkins zur Begründung auf irgendwelche Emails namentlich nicht genannter Fans berufe, die seine Auffassung teilten, sei das ein schlechter Witz, meint Golowkin.

"Canelo" selbst hatte nach dem Kampf behauptet, Golowkin schlage längst nicht so gefährlich zu, wie das die Leute annähmen. Das wirft zwangsläufig die Frage auf, warum er dann ständig ausgewichen ist, statt sich den angeblich moderaten Schlägen des Gegners auszusetzen und den Abtausch zu wagen. Hätte ihm der Kasache tatsächlich nichts anhaben können, wäre der Mexikaner besser beraten gewesen, seine bekanntermaßen mäßige Kondition nicht durch fortgesetzte Fluchtmanöver zusätzlich zu strapazieren. Zu seiner eigenen Schlagwirkung äußerte sich Saul Alvarez aus naheliegenden Gründen nicht. Wie Golowkin weiter ausführt, sei er im Laufe des Kampfs natürlich davon ausgegangen, ihn nach Punkten gewinnen zu können. Seines Erachtens habe er mit zwei bis drei Runden in Führung gelegen.

Der Kampf wurde in Las Vegas ausgetragen, wo "Canelo" zuvor schon siebenmal aufgetreten war und deshalb einen klaren Heimvorteil genoß. Er brachte viel Geld in die Spielerstadt, so daß seine Niederlage der örtlichen Geschäftswelt abträglich gewesen wäre. Golowkin und sein Promoter Tom Loeffler dürfte diese Ausgangssituation wohl klar gewesen sein, wobei sie natürlich das Ausmaß der Parteinahme für den Gegner nicht ermessen konnten. An einem neutralen Ort hätte der Kasache zweifellos wesentlich bessere Chancen auf eine angemessene Wertung gehabt.

Dabei ist Golowkin kein Boxer, der über den Gegner herzieht, um sich selbst in ein besseres Licht zu setzen. Wie er freimütig einräumt, sei "Canelo" erheblich besser geworden als beim Sparring vor sieben Jahren, bei dem er ihn kennengelernt hatte. Der Mexikaner sei inzwischen viel stärker und erfahrener, wie er auch körperlich erheblich zugelegt habe. Seit den Kämpfen gegen Amir Khan und Liam Smith im Jahr 2016 ist "Canelo" mindestens sieben Kilo schwerer geworden, so daß er sogar einen Gewichtsvorteil mitbrachte, als er gegen den größeren Kasachen antrat. Selbst während ihres Kampfes habe ihm dann und wann durchaus gefallen, was er bei "Canelo" zu sehen bekam. Dennoch sehe er keinen Anlaß, die Aufzeichnungen ausgiebig zu analysieren, als wisse er nicht, womit er es zu tun habe.

Während Golowkin kein Problem damit hat, "Canelos" Leistung zu würdigen, sieht es umgekehrt ganz anders aus. Der Mexikaner ließ in seiner Stellungnahme nach dem Kampf kein gutes Haar an dem Kasachen, was beim Publikum in der T-Mobile Arena gar nicht gut ankam. Alvarez hörte sich wie ein schlechter Verlierer an, was die Fans mit lautstarken Mißfallenskundgebungen quittierten.

Gennadi Golowkin ist eigenen Angaben zufolge auf jeden Fall an einer Revanche interessiert, bei der man die Frage abschließend klären könne, wer der Bessere sei. Leider erweise es sich als sehr schwierig, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, da bislang noch keinerlei Vereinbarungen getroffen worden seien. Er könne nur hoffen, daß alle Beteiligten Wort hielten. Sein Ziel sei nach wie vor, einen zweiten Kampf gegen "Canelo" zu bestreiten und dann alle Titel im Mittelgewicht zusammenzuführen.

"Canelo" wird seinen nächsten Auftritt am 5. Mai 2018 geben, doch bleibt offen, auf welchen Gegner die Wahl fällt. Oscar de la Hoya will sich erklärtermaßen erst nach dem Kampf zwischen WBO-Weltmeister Billy Joe Saunders aus England und dem Kanadier David Lemieux am 16. Dezember entscheiden. Fast möchte man darauf wetten, daß Lemieux gewinnen und dann von seinem Co-Promoter Golden Boy als Kontrahent des Mexikaners verpflichtet wird. Golowkin, der Lemieux im Oktober 2015 klar dominiert und vorzeitig besiegt hat, enthält sich einer definitiven Prognose, da es im Boxen grundsätzlich schwierig sei, präzise Vorhersagen zu machen. Er rechne jedenfalls mit einem interessanten Kampf und sei gespannt, was Saunders tatsächlich aufzubieten habe. Da der Kanadier nicht nur wesentlich wirksamer als der Brite schlägt und überdies vor heimischem Publikum in den Ring steigen kann, bleibt wenig übrig, was für den Titelverteidiger spräche.

Golowkin hat jedenfalls vor, seine Karriere noch geraume Zeit fortzusetzen. Wenngleich im Boxsport ein Kampf oder mitunter sogar ein einziger Schlag alles verändern könne, gehe er doch davon aus, seinem Metier noch eine Weile nachgehen zu können. Das ist eine gute Nachricht für seine wachsende Fangemeinde, die in Teilen befürchtet haben mochte, daß er nach einer Revanche gegen "Canelo" die Handschuhe an den Nagel hängen könnte. Noch steht die weithin erhobene Forderung nach einem Rückkampf im Raum, der Oscar de la Hoya nicht direkt widersprechen kann, will er nicht einen gravierenden Ansehensverlust riskieren. [1]

"Canelo" war Golowkin zwei Jahre lang aus dem Weg gegangen, bis der Kasache allmählich nachzulassen schien und bei seinem Sieg über Daniel Jacobs im März erstmals seit 2008 wieder über die volle Distanz boxen mußte, um zu gewinnen. Wenn man so will, war das sein Türöffner für Saul Alvarez und Golden Boy, die Morgenluft witterten und endlich mit dem Kasachen fertigzuwerden glaubten. Das wäre ins Auge gegangen, hätten die Punktrichter nicht kräftig nachgeholfen. De la Hoya wünscht sich offenkundig einen spektakulären Erfolg seines kanadischen Mittelgewichtlers Lemieux, den er als neuen WBO-Weltmeister massiv vermarkten und mit diesem Schwung im Rücken mit "Canelo" zusammenführen möchte. Einzig und allein auf diese Weise könnte er das Boxpublikum zumindest halbwegs vergessen machen, daß es Gennadi Golowkin ist, den alle gegen Saul Alvarez boxen sehen wollen - zur Abwechslung vor einem kompetenten Kampfgericht oder noch besser mit einem Paukenschlag, der die Punktrichter überflüssig macht.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/11/ggg-canelo-shouldnt-lie-fans-saying-won/#more-246772

10. November 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang