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MELDUNG/2265: Schwergewicht - auf hohem Roß ... (SB)



Promoter Eddie Hearn verbündet sich mit Streamingdienst DAZN

Der britische Promoter Eddie Hearn will das Boxgeschäft im Vereinigten Königreich und insbesondere in den USA mit einem innovativen Vermarktungskonzept aufmischen. Er hat einen Vertrag mit dem rasant expandierenden Streamingdienst DAZN abgeschlossen, der bei einer Laufzeit von acht Jahren mit insgesamt einer Milliarde Dollar dotiert ist. Matchroom Boxing arbeitet mit der Perform Group zusammen und will von September an je 16 Veranstaltungen auf der Insel und in den USA pro Jahr präsentieren. Die Kämpfe werden nicht im Pay-TV, sondern den Kunden gegen eine monatliche Gebühr angeboten. Wie gut dieses Konzept beim US-Publikum ankommt, hängt neben der Höhe der Unkosten vor allem davon ab, ob Hearn namhafte einheimische Boxer aufbieten kann.

Nach seinen Worten ist dies ein historischer Augenblick für Matchroom und den Boxsport. Im Zuge seines wachsenden Engagements in den USA habe er einen gleichermaßen visionären Partner gesucht, der die finanziellen Voraussetzungen mitbringt und genügend Veranstaltungstermine vorhalten kann, die erforderlich sind, um den weltweit führenden Boxstall aufzubauen und auf eine höhere Ebene zu heben. Das Budget sei größer als jenes von HBO und Showtime, möglicherweise sogar der beiden Sender zusammengenommen.

Mit Hilfe der üppigen Finanzierung sollte es dem führenden britischen Promoter möglich sein, eine Reihe prominenter US-amerikanischer Akteure zu verpflichten. Hearn erklärt denn auch die Jagdsaison für eröffnet und ruft alle hochklassigen Boxer, die an keinen Promoter gebunden sind und regelmäßig in den Ring steigen wollen, auf, sich ihm anzuschließen. Auf seinem langen Wunschzettel stehen Deontay Wilder, die Zwillingsbrüder Jermall und Jermell Charlo, Errol Spence, Keith Thurman, Danny Garcia, Adrien Broner, Mikey Garcia, Jarret Hurd, Shawn Porter, Leo Santa Cruz und Abner Mares. Viele von ihnen sind mit dem einflußreichen Berater Al Haymon vertraglich verbunden, so daß Hearn ihnen mehr als dieser bieten muß, um sie an sich zu binden.

Haymon, der weder Manager noch Promoter im herkömmlichen Sinn ist, sondern mit einer Investorengruppe im Rücken eine Vielzahl prominenter Akteure unter Vertrag genommen hat, steht seinerseits seit etlichen Jahren für ein Geschäftskonzept, das von den traditionellen Pfaden abweicht. Kontert er Hearns Offensive mit höheren Summen für seine Leute, liefe das auf eine Art Preiskrieg mit unabsehbarem Ausgang hinaus. Zudem gilt es für die Boxer abzuwägen, wer ihnen auf Dauer die besseren Kämpfe verschaffen und die Karriere mit passenden Gegnern befördern kann. Und nicht zuletzt kann Matchroom Boxing zwar in UK auf eine anhaltende Erfolgsgeschichte verweisen und in bestimmten Segmenten wesentlich höhere Umsätze als in den USA generieren, doch läßt sich das nicht ohne weiteres auf den US-Markt übertragen, da dort andere Sportarten weitaus populärer sind.

Noch ist Hearns Personaldecke viel zu dünn, um die vereinbarte Zahl an Kampfabenden mit attraktiven Inhalten zu füllen. Er braucht vor allem Deontay Wilder im Schwergewicht und den Weltergewichtler Errol Spence, die Brüder Charlo im Halbmittel- und Mittelgewicht, auch der ins Leichtgewicht zurückgekehrte Mikey Garcia wäre ein erstklassiger Fang. Hingegen haben Danny Garcia und insbesondere Adrien Broner schon weitaus bessere Tage gesehen, Keith Thurman ist häufig verletzt. Die naheliegenden Optionen, um die herum sich komplette Veranstaltungen organisieren ließen, halten sich also in Grenzen. Sollte es dem britischen Promoter nicht gelingen, diese namhaften Akteure unter Vertrag zu nehmen, dürfte es schwer werden, in den USA Fuß zu fassen.

Mit dem Schwergewichtler Jarrell Miller und Daniel Jacobs im Mittelgewicht hat er bislang erst zwei US-Boxer in seinen Reihen. Miller hat zuletzt beim Sieg über Johann Duhaupas nicht gerade Bäume ausgerissen, und Jacobs macht seit der Niederlage gegen Gennadi Golowkin Anfang 2017 einen schwächeren Eindruck als zuvor. Zudem ist der New Yorker noch vertraglich an den Sender Showtime gebunden, weshalb er vorerst für DAZN nicht zur Verfügung stehen könnte. So attraktiv ein Kampf gegen Jermall Charlo für das Publikum wäre, wird es Jacobs doch sicher vorziehen, diese Gefahr zu meiden, zumal er durch den Sieg über Maciej Sulecki neuer Pflichtherausforderer bei der WBA geworden ist. [1]

Vermutlich würden die Zuschauer in den USA nichts dagegen haben, sich Anthony Joshua, Amir Khan oder Kell Brook anzusehen. Eddie Hearn nannte ad hoc zwei Kämpfe, die seines Erachtens per DAZN für das US-Publikum übertragen werden könnten: Adrien Broner gegen Amir Khan und Andre Ward gegen Tony Bellew. Bellew ist jedoch den amerikanischen Boxfans weitgehend unbekannt, und Ward verzeichnete selbst bei den beiden Duellen mit Sergej Kowaljow nur magere Quoten im Pay-TV. Daher ließ sich dieser Kampf allenfalls in England gut vermarkten. Zudem hat Andre Ward bereits zum Ausdruck gebracht, daß er seit Ende seiner aktiven Karriere im vergangenen Jahr genug zu tun hat und Bellew alles Gute auf seinem weiteren Weg wünscht.

Wenn es denn ein hochklassiger Gegner aus dem Halbschwergewicht sein soll, kämen schon eher Adonis Stevenson, Artur Beterbijew oder Sergej Kowaljow in Frage. Stevenson, der seit Jahren WBC-Weltmeister ist, hat Bellew erst kürzlich eine Revanche angeboten, für die er sogar nach England reisen würde. Er wundere sich sowieso, warum der Brite nie versucht habe, die Scharte seiner damaligen Niederlage auszuwetzen, und sei gern bereit, ihm abermals eine Lektion zu erteilen. Da Bellew derzeit im Schwergewicht antritt, für das er jedoch im Grunde zu klein und zu leicht ist, könnte er sich auch im Cruisergewicht umsehen, in dem er noch immer WBC-Champion im Wartestand ist. Da die Weltmeister Oleksandr Ussyk und Murat Gassijew im Finale der World Boxing Super Series aufeinandertreffen und deswegen vorerst gebunden sind, kämen Mairis Briedis, Krzystof Glowacki oder Yunier Dorticos zumindest für das britische Publikum in Frage.

Adrien Broner ist gegen Jessie Vargas und Mikey Garcia nahezu leer ausgegangen und definitiv auf den absteigenden Ast. Dennoch erfreut er sich in den USA nach wie vor einer gewissen Popularität, so daß sich ein Kampf gegen Amir Khan im Sommer vermutlich recht gut vermarkten ließe. Natürlich gibt es wesentlich stärkere Weltergewichtler wie insbesondere Errol Spence, der Khan jedoch überfordern würde. Der Brite könnte sich auch im Halbweltergewicht mit Regis Prograis oder Jose Ramirez messen, ginge es denn um einen anspruchsvollen Auftritt auf der Höhe der Zeit. [2]

Eddie Hearn steht jedenfalls unter enormem Druck, seinen angekündigten Aufstieg zum bedeutendsten Promoter diesseits und jenseits des Atlantiks nicht in einer Bruchlandung enden zu lassen. Wenngleich er künftig noch sehr viel mehr Geld als bislang in der Tasche hat, kann er keine hochklassigen Boxer aus derselben zaubern, die nicht schon auf die eine oder andere Weise geschäftlich eingebunden sind. Der Streamingdienst DAZN schafft keine neuen und zusätzlichen Ressourcen, er ist vielmehr ein Investitionsmodell, das auf vorhandene Bestände in diversen Sportarten zugreift und sich in Konkurrenz mit anderen Medien durchzusetzen versucht. Der britische Promoter ist gewissermaßen auf ein gewaltiges Kriegsroß gestiegen, das drohend vor den Rivalen aufragt. Damit bietet er ihren Pfeilen zugleich ein kaum zu verfehlendes Ziel.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/05/hearn-announces-8-year-1-billion-streaming-deal-on-dazn/#more-262784

[2] www.boxingnews24.com/2018/05/hearn-wants-khan-broner-and-ward-bellew-on-dazn/#more-262818

16. Mai 2018


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