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MELDUNG/2298: Schwergewicht - Irrungen und Wirrungen ... (SB)



Stühlerücken in der zweiten Garnitur

Wenige Tage vor seiner für den 29. September in Köln angesetzten Titelverteidigung gegen Fres Oquendo ist Manuel Charr positiv auf zwei verbotene Substanzen getestet worden. Nach Angaben der Agentur VADA handelt es sich um die anabolen Steroide Epitrenbolon und Drostanolon. Wie der 33jährige reguläre Weltmeister der WBA im Schwergewicht versicherte, sei er zeit seiner Karriere stets sauber gewesen und könne sich deshalb diesen Befund nicht erklären. Diese Nachricht sei ein Schock, zumal er sich gerade in der Endphase seiner Vorbereitung befunden habe. Möglicherweise seien Nahrungsergänzungsmittel, die er zu sich genommen habe, die Ursache. Der Kampf gegen den 45 Jahre alten Oquendo wurde abgesagt, der Kölner muß nun mit der Aberkennung des Titels wie auch einer Sperre rechnen.

Am 25. November 2017 hatte Charr den 41jährigen Weißrussen Alexander Ustinow in Oberhausen einstimmig nach Punkten besiegt und war damit Weltmeister geworden. Daraufhin standen ihm diverse attraktive Kämpfe in Aussicht, doch mußte er sich zuerst mit dem Pflichtherausforderer befassen. Da Fres Oquendo zuletzt bei seiner Niederlage gegen Ruslan Tschagajew am 6. Juli 2014 im Ring gestanden hat und seither nicht mehr aufgetreten ist, hätte Charr angesichts des Alters und der langen Inaktivität dieses Gegners wahrscheinlich relativ leichtes Spiel gehabt. Deshalb mutet es überraschend an, daß er unter diesen Umständen verbotene Substanzen verwendet haben soll. Es steht ihm frei, auch die B-Probe testen zu lassen, doch wäre ein negatives Ergebnis kaum zu erwarten.

Nun hofft Fres Oquendo, von der WBA zum neuen Weltmeister erklärt zu werden, ohne dafür einen Kampf austragen zu müssen. Sollte der Verband dies ablehnen, stünde der US-Amerikaner nicht besser da als bisher, da er gegen führende Kandidaten der WBA-Rangliste ebenso geringe Erfolgsaussichten wir im Falle Charrs hätte. An Nummer eins wird aktuell der 29jährige Trevor Bryan geführt, der zuletzt im August BJ Flores in der vierten Runde besiegt hat.

Seit dem Kampf gegen Tschagajew vor vier Jahren wurde Oquendo des öfteren von Verletzungen heimgesucht. Zuvor hatte der Puertoricaner, für den 37 Siege und acht Niederlagen zu Buche stehen, mit so namhaften Kontrahenten wie David Tua, Oliver McCall, Jean Marc Mormeck, James Toney, Evander Holyfield, John Ruiz und Chris Byrd im Ring gestanden, denen er sich freilich geschlagen geben mußte. Erfolge feierte er unter anderem gegen David Izon, Clifford Etienne, Maurice Harris, Javier Mora, Elieser Castillo, Dominique Alexander, Bruce Seldon, Derric Rossy und Robert Hawkins. [1]

Unterdessen ist Dillian Whyte, der einen Gegner für seinen nächsten Auftritt im Dezember sucht, auf Fres Oquendo gestoßen, mit dem er am 22. Dezember um den vakanten regulären Titel der WBA kämpfen könnte. Whyte, für den 24 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen, steht allerdings in der Rangliste der WBA hinter Trevor Bryan (1) und sogar hinter Jarrell Miller (4). Daher ist es unwahrscheinlich, daß ihm der Verband einen Titelkampf zuweisen würde. Wie Whyte überhaupt auf die Idee kommt, daß ihm die WBA den Vorzug gegenüber vor ihm plazierten Kandidaten geben könnte, ist schleierhaft. Möglicherweise wird der Brite einfach zusehends nervös, weil sein nächster Auftritt noch immer nicht geklärt ist.

Sein Promoter Eddie Hearn verhandelt nach wie vor mit Dereck Chisora, doch scheinen die Gespräche nicht recht voranzukommen. Daß eine Einigung schwer herbeizuführen sei, will Whyte nicht gelten lassen, obgleich es offenbar seine eigenen Ansprüche sind, die einem auch für Chisora akzeptablen Kompromiß im Wege stehen. Die Sache sei doch ganz einfach, meint Whyte, der sich zur A-Seite in diesem Kampf erklärt. Er habe in der Vergangenheit lange genug akzeptiert, die B-Seite zu sein, und anderen den Vortritt gelassen. Beispielsweise sei er für einen Hungerlohn gegen Lucas Browne angetreten, nur um große Kämpfe zu bekommen. Nun habe er genug gelernt, seine Lehrzeit sei vorbei. Er fordere ein, was ihm zustehe, und gebe anderen das, was sie ihm vordem zugestanden hätten. So funktioniere das, er kenne sich aus und sei sein eigener Manager.

Damit mutet Dillian Whyte also Dereck Chisora zu, als B-Seite gegen ihn anzutreten und sich mit einer geringeren Börse abzufinden. Sein 34jähriger Landsmann hätte vermutlich nichts dagegen, als Nummer zwei in den Ring zu steigen, sofern er nicht mit einigen Krümeln abgespeist wird. Er hat nach wie vor einen guten Namen beim britischen Publikum, das seine fulminanten Auftritte liebt und ihm durch die zahlreichen Höhen und Tiefen seiner Karriere die Treue gehalten hat. Da auch er seinen Teil zur Attraktivität dieses Kampfs beisteuern würde, sind seiner Bereitschaft sicher Grenzen gesetzt, finanziell ins Hintertreffen zu geraten. Was Eddie Hearns Gespräche mit Dereck Chisora so schwierig macht, dürfte in erheblichen Maße der Halsstarrigkeit Dillian Whytes geschuldet sein. Dieser läuft Gefahr, im Dezember ohne namhaften Gegner dazustehen und sich mit irgendeinem wenig bekannten Kontrahenten abzugeben, den sein Promoter wie Sauerbier anpreisen muß, um die Übertragung bei Sky Box Office im Pay-TV zu vermarkten. [2]

Wenngleich Dillian Whyte in den Plänen Eddie Hearns eine maßgebliche Rolle spielt, so vor allem als Torwächter Anthony Joshuas und inzwischen auch als dessen möglicher Herausforderer am 13. April 2019 im Londoner Wembley-Stadion. Diese Position scheint bei Whyte dazu zu führen, die eigene Bedeutung in diesem Arrangement wie auch sein Können zu überschätzen. Als er im Dezember 2016 knapp nach Punkten die Oberhand gegen Dereck Chisora behielt, sahen viele darin ein Geschenk an Matchroom Boxing und den Einfluß Eddie Hearns am Werk. Ende Juli 2018 setzte sich Whyte in der O2 Arena nicht zuletzt deswegen gegen den Neuseeländer Joseph Parker durch, weil ihm Ringrichter Ian John Lewis alle erdenklichen fragwürdigen Aktionen wie Nackenschläge, Kopfstöße oder Halten und Schlagen durchgehen ließ. Überdies wertete der Referee eine Aktion in der zweiten Runde als regulären Niederschlag, der sich in der Zeitlupe zweifelsfrei als Kopfstoß erwies.

Chisora dürfte sich daher im klaren darüber sein, daß er eine Revanche gegen Whyte nicht nach Punkten gewinnen kann, sondern eine vorzeitige Entscheidung herbeiführen müßte. Gelänge ihm dieses Kunststück, könnte er sich gewisse Hoffnungen auf einen hochdotierten Kampf gegen Joshua im Frühjahr 2019 machen. Diese mit beträchtlichen Erwartungen aufgeladene Situation mag dazu beitragen, daß die Kommunikation zwischen den beiden britischen Schwergewichtlern allmählich absurde Züge annimmt. So hat Dereck Chisora seinem Rivalen offenbar 5 Millionen Pfund angeboten, ohne daß klar wäre, woher er soviel Geld nehmen will und ob ihr Kampf überhaupt eine derart hohe Summe einspielen würde, daß auch für ihn selber genug übrigbliebe. Dillian Whyte hat sofort eingeschlagen und wartet nun angeblich auf den Scheck, der aber auf die volle Summe ausgestellt sein müsse und natürlich nicht platzen dürfe. Darüber solle er sich nur keine Sorgen machen, erwiderte Chisora, zumal dies ohnehin sein allerletzter Kampf sei, da er ihn in Rente schicken werde. [3] Das hat zwar alles weder Hand noch Fuß, dürfte aber zumindest das Publikum unterhalten, bis sich endlich abzeichnet, wie es in der zweiten Garnitur des Schwergewichts weitergeht.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/09/manuel-charr-tests-positive-for-two-banned-substances/

[2] www.boxingnews24.com/2018/09/dillian-whyte-wants-fres-oquendo-in-december-for-wba-title/

[3] www.boxingnews24.com/2018/09/chisora-offers-whyte-5-million-for-december-fight/

22. September 2018


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