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MELDUNG/2304: Halbweltergewicht - dem Munde nach ein Superstar ... (SB)



Adrien Broner auf dem absteigenden Ast

Das World Boxing Council (WBC) hat auf seiner 56. Jahrestagung eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die man nicht gerade unter Geistesblitzen verbuchen kann. Darunter fällt auch die Anordnung eines Ausscheidungskampfs im Halbweltergewicht zwischen Adrien Broner und Jorge Linares, dessen Sieger neuer Pflichtherausforderer des Weltmeisters Jose Ramirez werden soll. In formaler Hinsicht ist zwar nichts dagegen einzuwenden, da der Interimschampion Regis Prograis und der Ranglistenerste Josh Taylor an der World Boxing Super Series teilnehmen und deshalb nicht zur Verfügung stehen. Broner wird an Nummer zwei geführt und ist folglich der bestplazierte Kandidat für diese Qualifikation, doch ist er dafür bekannt, sich nicht nach den Wünschen der Verbände zu richten, sondern nach eigenem Ermessen zu entscheiden, mit wem er in den Ring steigen will.

Der in 23 Kämpfen ungeschlagene Ramirez hat seinen Titel zuletzt am 14. September in Fresno, Kalifornien, freiwillig gegen Antonio Orozco verteidigt, der sich einstimmig nach Punkten geschlagen geben mußte und nach 27 Erfolgen die erste Niederlage bezog. Für den 29jährigen Adrien Broner aus Cincinnati stehen 33 Siege, drei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche, wobei er seit Februar 2017 keinen Kampf mehr gewonnen hat. Damals setzte er sich knapp und umstritten gegen Adrian Granados durch, worauf im Juli eine einstimmige Niederlage gegen Mikey Garcia folgte. Broner hielt sich in den ersten sechs Runden zurück, als wolle er nur ja kein Risiko eingehen, und als er später beherzter zur Sache ging, war es zu spät, um den Rückstand noch wettzumachen. Als er dann im April 2018 auf den früheren Champion Jessie Vargas traf, ging er abermals in der ersten Hälfte des Kampfs so wenig engagiert zu Werke, daß am Ende gerade noch ein Unentschieden dabei heraussprang.

Der gebürtige Venezolaner Jorge Linares hatte im Mai nach einem hochklassigem Kampf im Leichtgewicht gegen Wassyl Lomatschenko verloren, der sich für einen Niederschlag revanchierte und ihn in der zehnten Runde auf die Bretter schickte. Da der bei Top Rank unter Vertrag stehende Ukrainer als einer der besten Akteure aller Gewichtsklassen gilt und Linares sich ausgezeichnet gehalten hatte, war dies ungeachtet der Niederlage und des Titelverlusts eine respektable Vorstellung. Er stieg danach ins Halbweltergewicht auf, wo er bei seinem Debüt am 29. September den überforderten Puertoricaner Abner Cotto in der dritten Runde besiegte und seine Bilanz auf 45 gewonnene und vier verlorene Auftritte ausbaute. [1]

Sollte es Broner ablehnen, gegen Linares anzutreten, was recht wahrscheinlich ist, müßte der Verband WBC schon weit in der Rangliste nach hinten gehen und den an achter Stelle geführten Sergej Lipinets nominieren, da alle anderer Kandidaten eingebunden sind.

Adrien Broner wäre indessen eine mögliche Option für Floyd Mayweather oder Manny Pacquiao, sofern diese tatsächlich eine Revanche austragen und zuvor noch einen Aufbaukampf bestreiten wollen. Er würde eigenen Angaben zufolge gegen jeden der beiden antreten, verlangt aber absurderweise 100 Millionen Dollar für seinen Auftritt. Sollte es ihm ernst mit dieser Forderung sein, hätte er sich damit selbst aus der Kandidatenkür geworfen, ehe sie überhaupt begonnen hat. Wollte man überhaupt einen Sinn hinter dieser Äußerung vermuten, so vielleicht das Interesse Broners, sich mit solchem Gerede ins Gespräch zu bringen und Mayweather auf sich aufmerksam zu machen, der die treibende Kraft hinter einem möglichen Revival des Duells mit dem Philippiner ist.

Der in 50 Kämpfen ungeschlagene Floyd Mayweather scheint sich tatsächlich mit dem Gedanken zu tragen, nach einem Jahr im sportlichen Ruhestand die Boxhandschuhe noch einmal anzuziehen, 100 Millionen Dollar einzustreichen und dann wieder ins Privatleben und zu seinen sonstigen Aktivitäten zurückzukehren. Gerüchten zufolge hat er die vielen Millionen Dollar aus den Kämpfen gegen Manny Pacquiao und Conor McGregor aufgrund seines höchst aufwendigen Lebensstils verbraucht und ist dringend auf Nachschub angewiesen. Solche Mutmaßungen machen allerdings schon seit Jahren dann und wann die Runde, so daß kein Außenstehender mit Sicherheit sagen kann, ob sie Hand und Fuß haben oder bloße Spekulationen sind.

Was Adrien Broner betrifft, so ist er definitiv nicht in der Position, Mayweather und Pacquiao welche Bedingungen auch immer zu stellen. Legt man seine eher schwachen Auftritte gegen Adrian Granados und Jessie Vargas zugrunde, hat er im Grunde seine letzten drei Kämpfe nur deswegen nicht verloren, weil er sich wegen seines bekannten Namens einer gewissen Gunst der Punktrichter erfreut. Er zehrt nun schon seit mehreren Jahren vom guten Ruf aus erfolgreicheren Tagen und bringt sich eher durch sein provozierendes Auftreten als durch überzeugende Leistungen im Ring weiterhin ins Gespräch.

Natürlich könnte Mayweather oder Pacquiao auf die Idee kommen, daß Adrien Broner als guter Selbstvermarkter, aber inzwischen allenfalls durchschnittlicher Boxer ein passender Kandidat für einen relativ leichten Aufbaukampf wäre. Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich mit ihm im Pay-TV noch viel Geld verdienen ließe, da dem Publikum nicht entgangen sein kann, daß es mit ihm bergab geht. Wer ihn gegen Jessie Vargas, Mikey Garcia, Adrian Granados, Shawn Porter, Emmanuel Taylor, Marcos Maidana und Paulie Malignaggi gesehen hat, wird das wohl bestätigen. Daher würde sich die Begeisterung sicher in Grenzen halten, Mayweather oder Pacquiao mit ihm in den Ring steigen zu sehen und dafür eine Menge Geld zu bezahlen. [2]

Floyd Mayweather diktiert die Bedingungen und ist der Garant eines lukrativen Geschäfts. Dennoch braucht er dafür einen sorgsam ausgewählten Partner, den er zum hochkarätigen Widersacher aufbauen und dennoch relativ sicher besiegen kann. Zusammen mit Manny Pacquiao hat er den einträglichsten Boxkampf aller Zeiten auf die Beine gestellt und dabei geschätzte 500 Millionen Dollar verdient. Als ein Kampf gegen Conor McGregor ins Gespräch kam, höhnte alle Welt, das sei ein schlechter Witz und eine Nullnummer. Dennoch gelang es Mayweather und McGregor mit vereinten Kräften, einen Kampf zu bewerben und zu organisieren, der die zweithöchste Ernte einfuhr, welche die Branche jemals verbuchen konnte. Die beiden verstanden es meisterhaft, sowohl die Boxfans als auch die Zuschauer der Mixed Martial Arts zu mobilisieren, wobei letztere für den Löwenanteil der Beute gesorgt haben dürften. Mayweather wäre ein schlechter Geschäftsmann, wüßte er Adrien Broners Marktwert als Boxer und mögliche Besetzung des Widerparts nicht einzuschätzen. Er müßte sich schon ein sehr ausgefallenes Drehbuch einfallen lassen, um dem Publikum einen Kampf gegen Broner schmackhaft zu machen.

Ganz auszuschließen ist das bei Mayweather nie, zumal die beiden auf gemeinsame Vorerfahrungen in diesem Metier zurückblicken können. So kämpfte Broner im April 2016 gegen den Briten Ashley Theophane, der bei den Mayweather Promotions unter Vertrag stand. Dem Auftritt in Washington D.C. war ein öffentlich ausgetragener Streit mit Floyd Mayweather vorausgegangen, als verbinde ihn eine Art Haßliebe mit dem Vorbild. Er nannte ihn oftmals seinen "großen Bruder", eiferte ihm in vielerlei Hinsicht nach und erklärte sich zeitweise sogar vollmundig zu dessen Nachfolger. Da Theophane nun aber Mayweathers Boxer war, entspann sich über Tage ein Wortgefecht, das dem Augenschein nach an Erbitterung zunahm. Mayweather bezeichnete ihn als Schlange, die den Gönner hinterrücks beiße, worauf sich Broner bitter beklagte, ein von ihm bewundertes Vorbild rede schlecht über ihn. Er habe definitiv eine Fehde mit Floyd, da er von ganz unten komme und niemandem gestatte, ihn respektlos zu behandeln. Diese Kontroverse trug die Handschrift einer Inszenierung zur Bewerbung des Kampfs, die insofern erfolgreich war, als die Kritik an der Wahl eines weithin unbekannten Herausforderers fast vollständig von dem öffentlich ausgetragenen Gezänk der beiden Diven übertönt wurde.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/10/wbc-orders-adrien-broner-vs-jorge-linares-final-eliminator/

[2] www.boxingnews24.com/2018/10/adrien-broner-wants-100-million-to-fight-mayweather-or-pacquiao/

6. Oktober 2018


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