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MELDUNG/2347: Schwergewicht - glanzlos glücklich ... (SB)



Dillian Whyte setzt sich mühsam gegen Oscar Rivas durch

Dillian Whyte ist neuer Interimsweltmeister des Verbands WBC im Schwergewicht und damit Pflichtherausforderer des Champions Deontay Wilder. In der Londoner O2 Arena kostete es den Briten allerdings beträchtliche Mühe, gegen Oscar Rivas einstimmig nach Punkten die Oberhand zu behalten (115:112, 115:112, 116:111). Der Lokalmatador gab etliche Runden preis, weil er sich zu sehr auf den Jab beschränkte und jede Menge Löcher in die Luft schlug. Er wirkte konditionell nicht in bester Verfassung und unkonzentriert, wobei er es zu seinem Glück mit einem Gegner zu tun hatte, der wenig Schläge austeilte und nach kurzen Phasen des Angriffs Erholungsphasen einlegen mußte. Überdies landete der Brite in der neunten Runde nach einem Uppercut auf den Brettern und wurde in der zwölften durch ein fragwürdiges Eingreifen des Ringrichters davor bewahrt, womöglich auf der Zielgeraden noch den kürzeren zu ziehen. Während für ihn nun 26 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen, mußte sich Rivas nach 26 Erfolgen erstmals geschlagen geben.

In der zweiten Runde sah es kurzzeitig nach einem frühen Erfolg des 31jährigen Briten aus, der mit einer wuchtigen Rechten zum Kopf durchkam und sofort nachsetzte, um einen Niederschlag zu erzwingen. Rivas duckte sich jedoch geschickt unten den wilden Schwingern des Angreifers weg und revanchierte sich mit einigen harten Treffern, die Whyte zurückweichen ließen. Der Brite ließ in seinem Drang jegliche Deckung vermissen und war derart offen für Konter des Kolumbianers, daß es ihm übel ergangen wäre, hätte er es mit einem gefährlicheren Kontrahenten zu tun gehabt.

In der zwölften Runde kam Rivas mit einem Volltreffer durch, der Whyte sichtlich erschütterte. Doch als er sich anschickte, dem Briten den Rest zu geben, ging Ringrichter Victor Loughlin plötzlich dazwischen, zog ihn weg und ermahnte ihn, nicht mit dem Kopf voran auf den Gegner loszugehen. Warum der Referee ausgerechnet in diesem kritischen Augenblick beschloß, Rivas zur Räson zu rufen, blieb sein Geheimnis, hatte er doch vergleichbare Aktionen bis dahin durchgehen lassen. Dieses eigenartige Vorgehen gab zwangsläufig zu Mutmaßungen Anlaß, Loughlin habe den Favoriten vor einer Niederlage bewahren wollen. Jedenfalls sah sich der Außenseiter, der in der Schlußphase noch einmal sein Bestes geben wollte, gleichsam mit zwei Gegnern konfrontiert.

Diese fatale Szene weckte unvermeidlich Erinnerungen an Dillian Whytes Kampf gegen seinen Landsmann Dereck Chisora im letzten Dezember, als dieser auf der Siegerstraße zu sein schien, aber in der elften Runde vom Ringrichter wegen eines Ellbogeneinsatzes bestraft wurde. Das war bereits die zweite Strafe, die er wegen einer Regelwidrigkeit hinnehmen mußte, während Whyte ungeschoren davonkam, obgleich er nicht weniger über die Stränge schlug als sein Gegner. Schon damals mehrten sich Stimmen, Dillian Whyte werde protegiert, weil er in den Plänen seines Promoters Matchroom Boxing eine zu wichtige Rolle spiele, als daß er verlieren dürfe. Daß sich die Ereignisse nun zu wiederholen scheinen, dürfte der Neigung ausländischer Akteure, gegen Whyte in England anzutreten, nicht gerade förderlich sein. [1]

Sein Promoter Eddie Hearn zog mit den Worten Bilanz, um Dillian Whyte gebe es ständig Höhen, Tiefen und Dramen. Doch an diesem Abend habe sich bestätigt, daß er Interimsweltmeister des WBC ist. Damit sei er Pflichtherausforderer des Champions, und daß es zu diesem Kampf komme, sei nur eine Frage der Zeit. Whyte schätzte seine Aussichten skeptischer ein und erklärte, beim Boxen werde viel geredet, während weit weniger tatsächlich geschehe. Möglicherweise müsse er noch einmal 600 Tage auf seine Chance warten. Diese Klage war dem Umstand geschuldet, daß ihn das WBC bereits 2017 an Nummer eins der Rangliste gesetzt, aber nicht zum Pflichtherausforderer erklärt hatte, da Dominic Breazeale bereits diesen Vorzugsplatz innehatte.

Indessen unterschlug der Brite bei seiner Beschwerde, daß ihm der Verband im vergangenen Jahr einen Ausscheidungskampf gegen Luis Ortiz angeboten hatte. Dillian Whyte zog es jedoch vor, dem gefährlichen Kubaner aus dem Weg zu gehen und statt dessen mit Dereck Chisora und anschließend Joseph Parker in den Ring zu steigen. In der Verfassung seines Kampfs gegen Oscar Rivas hätte er keine Chance gegen den amtierenden WBC-Weltmeister Deontay Wilder, der seine schwache Deckung umgehend bestrafen würde. So sehr Eddie Hearn auch für einen baldigen Titelkampf werben mag, bleibt doch zunächst abzuwarten, wie Wilder bei der Revanche gegen Luis Ortiz abschneidet. Sollte der Champion aus Tuscaloosa in Alabama abermals die Oberhand behalten, käme im Februar ein Rückkampf gegen Tyson Fury an die Reihe. Daraus folgt, daß Dillian Whyte nicht vor Mai 2020 mit einem Titelkampf rechnen kann. Unterdessen muß ihm Eddie Hearn einige anspruchsvolle Gegner wie Filip Hrgovic, Oleksandr Ussyk, Michael Hunter, Adam Kownacki, Joe Joyce oder Joseph Parker besorgen.

Darüber hinaus kann man davon ausgehen, daß der WBC-Weltmeister einen Kampf gegen den Sieger der Revanche zwischen Andy Ruiz und Anthony Joshua anstrebt, um die Titel zusammenzuführen. Also müßte sich Whyte vermutlich sogar bis zum Herbst gedulden, um endlich doch an die Reihe zu kommen. Indessen mußte Dominic Breazeale nach seinem Sieg über Eric Molina im Ausscheidungskampf zwei Jahre warten, bevor er mit Deontay Wilder in den Ring steigen durfte. Es wäre daher nicht das Ende der Welt für Whyte, sollte es ihm ähnlich ergehen. Einen Vorteil hätte die lange Wartezeit womöglich: Er bekäme es dann mit dem Champion zu tun, der die versammelte Konkurrenz zuvor ausgeschaltet hat.

Davon abgesehen hätte Whyte im April gegen Joshua antreten können, als dieser noch die Gürtel der Verbände WBA, WBO und IBF in seinem Besitz hatte. Ob Whyte das Risiko scheute oder der Auffassung war, Wilder passe besser zu ihm, ist ungewiß. Jedenfalls ließ er diese Gelegenheit, sofort um die Titel zu kämpfen, ungenutzt verstreichen, was vielleicht aber auch besser war, legt man seinen durchwachsenen Auftritt gegen Rivas zugrunde.

Sollte es Anthony Joshua gelingen, sich seine Titel von Andy Ruiz zurückzuholen und anschließend auch noch Wilder oder Fury zu besiegen, wäre es für Whyte eine Goldgrube, träfe er endlich doch auf seinen Landsmann und Kollegen bei Matchroom Boxing. Er könnte dabei mit einem Auftritt in einer Riesenarena in London oder Cardiff sehr viel mehr Geld als gegen Wilder, Fury oder Ruiz verdienen, da Joshua in England und Wales die absolute Zugnummer ist. Es ist daher nicht auszuschließen, daß Eddie Hearn in Abwägung aller denkbaren Optionen genau diese Entwicklung vorschwebt. Er hat Whyte lange als Torwächter Joshuas vorgehalten und ihm dabei einen Rang verschafft, der seine tatsächlichen Qualitäten zu übersteigen schien.

Da der einflußreiche britische Promoter zugleich dafür gesorgt hat, daß Whyte keine Aufgabe vorgesetzt bekam, die ihn überforderte, dürfte es ihm nun gehöriges Kopfzerbrechen bereiten, nach diesem Prinzip fortzufahren. Oscar Rivas war insofern eine ideale Wahl, als er dank seiner Konditionsprobleme ein handhabbarer Gegner blieb. Das wäre jedoch bei den meisten anderen Kandidaten aus der oben genannten Liste sicher nicht der Fall, so daß Hearn Gefahr liefe, unterwegs seinen Pflichtherausforderer zu verlieren, lange bevor dieser auch nur in die Nähe des erhofften Titelkampfs kommt. So würde Joseph Parker wahrscheinlich die Oberhand behalten, träfe er an einem neutralen Ort abermals auf Whyte. Dieser hatte im letzten Jahr bei ihrem Kampf in der Londoner O2 Arena unter fragwürdigen Umständen am Ende die Nase vorn gehabt, da der Ringrichter einen klaren Kopfstoß als regulären Niederschlag wertete und dem Briten auch sonst alle erdenklichen weiteren Regelwidrigkeiten ungestraft durchgehen ließ. Daher zieht es Hearn womöglich vor, Whyte einen schwächeren Kandidaten wie David Price oder gar Dave Allen vorzusetzen, was sich den britischen Fans wohl passabel verkaufen ließe. [2]

Wie Eddie Hearn verkündete, sei Dillian Whyte gut 600 Tage die Nummer eins beim WBC gewesen und nun auch offizieller Pflichtherausforderer. Das habe er sich mit seinem Sieg über den Weltklasseboxer Oscar Rivas verdient. Whyte arbeite hart und verbessere sich von Kampf zu Kampf, obgleich sein Können immer wieder in Abrede gestellt werde. Mit dieser Lobeshymne, über deren Inhalt man durchaus geteilter Meinung sein kann, verschleierte der Promoter nicht zuletzt, daß nicht etwa der Verband WBC, sondern er selbst Oscar Rivas ausgesucht und dann dafür gesorgt hat, daß dieser Kampf zur Kür des Pflichtherausforderers aufgewertet wurde. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Verbandspolitik und zeugt vom Einfluß Eddie Hearns, dem Lauf der Dinge zu seinen Gunsten nachzuhelfen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/07/boxing-results-dillian-whyte-decisions-oscar-rivas/

[2] www.boxingnews24.com/2019/07/whyte-vs-rivas-dillian-wants-wbc-title-shot-now/

22. Juli 2019


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