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PROFI/470: Ruslan Tschagajew entthront Nikolai Walujew (SB)


Agiler Herausforderer führt den behäbigen Titelverteidiger vor


Von dieser Konstellation hatten die beiden führenden deutschen Promoter seit Jahren geträumt: Ein Kampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht, den ihre Boxer unter sich austragen. Der gebürtige Wuppertaler Wilfried Sauerland ist 67 Jahre alt und seit 27 Jahren im Boxgeschäft. In den neunziger Jahren löste er mit Henry Maske und Axel Schulz einen neuen Boxboom in Deutschand aus. Später präsentierte er unter anderem Graciano Rocchigiani, Sven Ottke, Markus Beyer, Arthur Abraham und Nikolai Walujew. Der 62-jährige Hamburger Klaus-Peter Kohl gehört dem Boxsport an, seit er 1970 als Zeitnehmer fungierte. Der gelernte Speditionskaufmann und frühere Gastronom veranstaltet seit 1984 Kämpfe und brachte unter anderem Weltmeister wie Dariusz Michalczewski, die Klitschkos oder Regina Halmich hervor.

Längst haben Sauerland und Kohl nicht nur ihre Konkurrenz, sondern auch ihre punktuelle Zusammenarbeit gewinnbringend vermarktet. Kämpfe um die Europameisterschaft im Schwergewicht wie der zwischen Wladimir Klitschko und Axel Schulz 1999 oder Vitali Klitschko und Timo Hoffmann im Jahr darauf lockten viele Millionen Zuschauer vor den Bildschirm. Nie zuvor gelang es den beiden Promotern jedoch, in gemeinsamer Regie eine Schwergewichtsweltmeisterschaft auszutragen.

Wilfried Sauerland schickte beim Stuttgarter Boxabend seinen Riesen Nikolai Walujew in den Ring, dessen gewaltigen Körpermaßen bis dahin 45 Gegner nicht gewachsen waren, wobei 33 von ihnen vorzeitig die Segel streichen mußten. Ein Auftritt des 33-jährigen WBA-Champions war nicht gewertet worden. Ebenfalls ungeschlagen, doch längst nicht so lange im Geschäft war der Herausforderer Ruslan Tschagajew. Der 28 Jahre alte Usbeke lebt seit drei Jahren in Hamburg. Unter dem Kampfnamen der "Weiße Tyson", den man ihm noch zu Amateurzeiten nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft wegen seiner zahlreichen K.o.-Siege verlieh, hatte er als Profi 22 seiner 23 Kämpfe gewonnen, einer endete unentschieden. Dabei konnte er 17 Gegner vorzeitig besiegen.

Auch vor diesem Duell hielt man Nikolai Walujew vor allem seine Größe von 2,13 m und das Gewicht von knapp 150 kg zugute, wobei man einräumen muß, daß er sich in jüngerer Zeit auch boxerisch verbessert hat. Ruslan Tschagajew wäre mit seinen 1,85 m und 103 kg früher als Schwergewichtler mit Gardemaß durchgegangen, heute jedoch wirkt er beinahe schmächtig neben den Riesen, die inzwischen das Feld beherrschen. Das galt natürlich um so mehr für Walujew, von dessen imposanter Statur ihn 28 Zentimeter und etwa 45 Kilo trennten.

Der Gigant aus St. Petersburg war nicht nur bei den Buchmachern klarer Favorit, wenngleich man dem Herausforderer eine außergewöhnliche Schlagwirkung attestierte. Tschagajew gab zu bedenken, daß niemand unbesiegbar sei, räumte aber offen ein, daß es sehr schwer sein werde, Walujew in Schwierigkeiten zu bringen. Er setze auf seine überlegene Beweglichkeit und habe eine Strategie ausgearbeitet, wie man dem Russen vor allem mit Körpertreffern zu Leibe rücken könne.

Vor 6.500 Zuschauern in Stuttgart sorgte der Außenseiter Ruslan Tschagajew im wahrsten Sinne des Wortes für eine Riesenüberraschung, machte er doch den beträchtlichen Nachteil in Körpergröße und Gewicht durch Aktivität und Schnelligkeit mehr als wett. Nach ausgeglichenen ersten Runden kam der Herausforderer immer besser in Schwung. Während der behäbige Walujew zu selten schlug, um den Usbeken ernsthaft in Bedrängnis zu bringen, traf dieser den einfallslos boxenden Weltmeister überfallartig vor allem mit der schnellen linken Hand, wobei der Russe kein Rezept fand, um den flinken Gegner zu stellen. Dank dieser Taktik boxte der frühere Amateurweltmeister einen verdienten Sieg heraus.

Nach zwölf Runden sahen zwei der drei Punktrichter den Herausforderer vorn, einer wertete unverständlicherweise unentschieden (117:111, 115:113, 114:114). Damit blieb der Usbeke auch im 24. Profikampf ungeschlagen und feierte mit dem Gewinn des Schwergewichtstitels nach Version der WBA den bislang größten Erfolg seiner Karriere. Nikolai Walujew wurde in seinem 47. Kampf erstmals bezwungen und erkannte die Niederlage an: "Das Urteil geht in Ordnung."

Auf Ruslan Tschagajew wartet nun möglicherweise ein Vereinigungskampf mit Wladimir Klitschko. Der IBF- und IBO-Weltmeister aus der Ukraine hat bereits mehrfach sein Interesse an einem derartigen Duell zum Ausdruck gebracht. Alle Verhandlungen über einen solchen Kampf sind bislang jedoch gescheitert.

15. April 2007