Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

PROFI/486: Auch Ruslan Tschagajew an Wladimir Klitschko gescheitert (SB)


Weitgehend chancenloser Usbeke gab nach der neunten Runde auf


Die Klitschkos gelten weiterhin als die besten Schwergewichtsboxer ihrer Ära, woran auch Ruslan Tschagajew nichts ändern konnte. Vor der gewaltigen Kulisse von 61.000 Zuschauern in der Gelsenkirchener Veltins Arena des FC Schalke 04 blieb der zuvor als drittbester Boxer der Königsklasse gehandelte Usbeke aus dem Universum-Boxstall chancenlos gegen Wladimir Klitschko und trat nicht mehr zur zehnten Runde an. Der 33 Jahre alte Ukrainer verteidigte damit souverän die Titel der Verbände IBF, WBO und IBO, während der WBA-Gürtel des Usbeken nicht auf dem Spiel stand. Für Klitschko war es der 53. Sieg im 56. Kampf, Tschagajew bezog im 26. Kampf die erste Niederlage seiner Profilaufbahn.

Bereits in der zweiten Runde mußte Tschagajew nach einer Rechten Klitschkos erstmals in seiner Karriere zu Boden gehen, was ihm zweifellos schwer zu schaffen machte. Obwohl er weiterhin auf verlorenem Posten stand und keinen einzigen Wirkungstreffer anbringen konnte, zeigte er doch enormen Kampfgeist und ließ sich zunächst auch von einer Rißwunde über dem linken Auge nicht aus der Bahn werfen. Zu Mitte des Kampfes kam der Herausforderer etwas besser zur Geltung, ohne jedoch seinen Gegner ernsthaft in Gefahr zu bringen. Dieser erhöhte in der Folge wieder den Druck und bearbeitete den Usbeken in der neunten Runden schließlich so heftig in den Seilen, daß ein weiterer Niederschlag in der Luft lag.

Trainer Michael Timm hatte Angst um seinen Schützling und beschloß in Absprache mit Tschagajew dessen Aufgabe: "Warum sollte ich Ruslan kaputtschlagen lassen? Er konnte das Konzept, das wir ausgearbeitet hatten, nicht umsetzen. Ich wollte ihn nicht noch mehr schwere Treffer einstecken lassen. Wladimir hat gezeigt, daß er der beste Schwergewichtler der Welt ist. Ich glaube, nur sein Bruder könnte ihn schlagen." Auch Promoter Klaus-Peter Kohl zollte Klitschko unverhohlen Respekt: "Das war der beste Wladimir, den ich je gesehen habe."

Ruslan Tschagajew gab sich nach der Niederlage verständlicherweise wortkarg. "Es tut mir leid, heute war nicht mein Tag", sagte der Usbeke. "Wladimir war schneller." Um so euphorischer feierte Klitschko seinen Triumph, nachdem Ringrichter Eddie Cotton aus den USA auf das Signal Michael Timms hin den Kampf für beendet erklärt hatte, der als Sieg durch technischen K.o. gewertet wurde. "Es ist unglaublich und wunderschön. Ich bin überglücklich, hier als Sieger zu sein." "Wladimir ist wie ein guter Wein: Er wird immer besser", lobte Vitali den Auftritt seines Bruders.

Nach diesem Erfolg, bei dem ihm der letzte als gefährlich eingeschätzte Gegner nicht das Wasser reichen konnte, dachte Wladimir Klitschko für einen kurzen Augenblick an schwere Zeiten zurück. "Vor fünf Jahren war ich noch am Boden des Sports. Seitdem wollte ich nur, daß die Kritiker ihre Worte essen müssen", sagte der Ukrainer in Erinnerung an die Niederlagen gegen den zweitklassigen Südafrikaner Corrie Sanders, an den er 2003 seinen WBO-Titel verlor, und Lamon Brewster, der ihn einige Zeit später im Kampf um den vakanten Titel besiegte. "Das war nicht mein bester Kampf. Ich habe alles gegeben, aber nicht alles gezeigt. Mein bester und mein schwerster Kampf liegen noch vor mir", hielt er die Perspektive auf künftige erfolgreiche und lukrative Duelle offen.

Das Geheimnis seines Erfolgs ist untrennbar mit Trainer Emanuel Steward verbunden, dem man nachsagt, er könne die individuellen Stärken und insbesondere die Schwächen eines guten Boxers wie kaum ein anderer Experte seiner Zunft in ein nahezu unbezwingbares Bollwerk verwandeln. Er hat viele Weltmeister hervorgebracht, darunter auch Lennox Lewis, dessen Anflüge von Furcht er in ein aggressives "Power punching" verwandelte. Auch Wladimir Klitschko galt nach seinen Niederlagen als Boxer, den man in die Enge treiben und dann mit einem einzigen Treffer erledigen konnte. Heute preist man den Ukrainer als unangefochtenen König des Schwergewichts, und da die Brüder Klitschko nie gegeneinander kämpfen werden, ist ein Ende ihrer gemeinsamen Regentschaft nicht abzusehen.

Man könnte Wladimir Klitschkos Kampfesweise so charakterisieren, daß ihm Emanuel Steward beigebracht hat, nie wieder in jene Schwierigkeiten zu geraten, die ihn hilflos machen. Der Ukrainer hält den Gegner mit seiner Führhand fortwährend auf Distanz, während er zugleich weit seitlich stehend jederzeit bereit zum Rückzug ist. Damit zwang er auch Tschagajew, große Wege zu gehen, während er sich bei Bedarf schneller in seiner Achse drehen und nach hinten flüchten konnte. Der Usbeke ist ein hervorragender Boxer, der Nikolai Walujew die Hölle heiß gemacht und den Riesen besiegt hat. Dieser blieb jedoch träge stehen und steckte zahlreiche Treffer von Tschagajews linker Schlaghand ein, während Klitschko längst das Weite gesucht hatte, wenn der Usbeke zuschlagen wollte.

Da die Kontrahenten im Prinzip auf dieselben Mittel setzten, war der 15 Zentimeter größere und sieben Kilo schwerere Klitschko von vornherein im Vorteil und setzte seine physische Überlegenheit konsequent um. Kam ihm der Usbeke ausnahmsweise doch zu nahe, klammerte er sofort von oben und neutralisierte damit den Angriff des Gegners. Man kann Klitschko attestieren, daß er die Vorsicht auf eine Weise perfektioniert hat, gegen die in der gegenwärtigen Schwergewichtsszene kein Kraut gewachsen ist. Ob man sich wirklich damit zufriedengeben will, das zu einem hochklassigen und attraktiven Boxstil zu verklären, steht allerdings auf einem andern Blatt.

Viele potentielle Gegner haben die sehr ähnlich boxenden Klitschkos geschmäht, deren Repertoire beschränke sich auf den ständigen linken Jab und eine wuchtige Rechte ab und zu. Diese Kritik ist durchaus zutreffend, doch hat es seit Jahren niemand mehr geschafft, aus diesen begrenzten Möglichkeiten der beiden Kapital zu schlagen. Man denke nur an Samuel Peter, der zuvor als gefährlichster Puncher des Schwergewichts gehandelt wurde und Wladimir Klitschko dreimal am Boden hatte, ehe er sich nach Punkten geschlagen geben mußte. Vor Vitali Klitschkos vorgestreckter, pendelnder und aus den unmöglichsten Winkeln treffender Führhand kapitulierte er, da es ihm nicht gelang, in eine günstige Distanz für seine eigenen Schläge zu kommen.

Kaum anders sah es für Ruslan Tschagajew aus, der in der Hoffnung auf einen Glückstreffer meistenteils blindlings schlug, wenn sich ihm überhaupt die Gelegenheit dazu bot. Klitschko hingegen hatte über weite Strecken den Raum, seinen Gegner zu belauern und die Schläge mit seiner Rechten vorzubereiten. Dabei sah der Ukrainer in den kurzen Augenblicken, in denen ihm der Herausforderer zu Leibe rückte, überhaupt nicht glücklich aus. Wäre es dem Usbeken nur gelungen, in solchen Situationen konsequent nachzurücken und nicht zurückzuweichen, hätte er das Blatt womöglich wenden können. Ob es das war, was Michael Timm mit dem leider nicht umgesetzten Konzept meinte? Wie sich einmal mehr zeigte, kann Klitschko Gegner, die wie er auf einen wuchtigen Niederschlag setzen und dafür große Schwungräume benötigen, inzwischen fast schon perfekt neutralisieren. Von einem unerbittlich kämpfendem Infighter, der dicht am Gegner seine gefährlichste Wirkung entfalten kann, ist derzeit weit und breit nichts zu sehen.

Wladimir Klitschko konnte an diesem Abend nicht nur seine drei Gürtel souverän verteidigen, sondern bekam sogar einen vierten als besonderen Ehrentitel hinzu. Die renommierte Fachzeitschrift "The Ring Magazine" verlieh ihm den Gürtel des unumstrittenen Champions im Schwergewicht. Zwangsläufig gehen dem Ukrainer langsam aber sicher die Gegner aus, die man wie David Haye aus dem Hut zaubern und dem Publikum als attraktive Option verkaufen kann. Der ehemalige Cruisergewichtler hat sich mit seinem Ansinnen, den längst organisierten Kampf in der Schalker Arena um einige Wochen zu verschieben, nicht eben beliebter bei Klitschko gemacht, der nun erklärte, Haye müsse sich hinten anstellen.

Auch von Nikolai Walujew will man vorerst nichts mehr wissen, nachdem dieser nicht nur den Kampf gegen Ruslan Tschagajew nicht wahrgenommen, sondern auch als Ersatzmann für David Haye abgesagt hatte. Ohnehin ist die Lage bei der WBA nach wie vor verworren, da Walujew und Tschagajew offenbar beide als Weltmeister geführt werden, der Usbeke den Titel aber nicht gegen Klitschko aufs Spiel setzen durfte. Als problematisch gilt zudem, daß Don King zur Hälfte an dem Riesen aus St. Petersburg beteiligt ist, was mögliche Verhandlungen erfahrungsgemäß nicht gerade erleichtert. Außerdem ist offen, ob sich Walujew auch bei der Revanche gegen John Ruiz durchsetzen kann, der die WBA-Rangliste anführt und daher Pflichtherausforderer ist.

Wladimir Klitschko sei im Grunde auch WBA-Champion, weil er mit Ruslan Tschagajew den besten Boxer dieses Verbands geschlagen habe, erklärte der Manager der Klitschkos, Bernd Bönte, was natürlich seine persönliche Meinung war, die auf die Gemengelage bei der WBA keinen Einfluß hat. Damit bleiben als Alternativen eigentlich nur noch die bislang ungeschlagenen Alexander Powetkin aus dem Sauerland-Boxstall und Chris Arreola aus den USA, wobei sich einiges dadurch sortieren wird, daß Vitali Klitschko seinen WBC-Titel im September freiwillig verteidigen will und dafür ebenfalls einen Gegner aus demselben Kandidatenkreis braucht.

Den Zuschauern auf den Rängen scheint das Spektakel dank des erwünschten Ausgangs jedenfalls gefallen zu haben, obwohl die meisten von ihnen so weit entfernt vom Ring saßen, daß sie das Kampfgeschehen nur auf den großen Bildwänden verfolgen konnten. Der Kölner Privatsender RTL durfte mit den Zuschauerzahlen sehr zufrieden sein. Kurz nach 23 Uhr sahen im Schnitt 10,39 Millionen den Kampf, was einem hervorragenden Marktanteil von 50,6 Prozent beim Gesamtpublikum entsprach. Auch in der Zielgruppe der 14- bis 49jährigen Zuschauer lag der Marktanteil mit 47,8 Prozent ähnlich hoch. Gute Quoten hatte der Sender bereits mit der Vorberichterstattung erzielt, bei der im Schnitt 7,45 Millionen zusahen, die RTL einen Marktanteil 32,8 Prozent bescherten. Selbst bei der Siegerehrung und dem Rückblick auf die Höhepunkte des Kampfs verfolgten noch 4,75 Millionen Zuschauer die Übertragung.

21. Juni 2009