Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

PROFI/506: Spektakel der Extraklasse - Klitschko Punktsieger gegen Haye (SB)



Höchstdotierter Kampf der deutschen Boxgeschichte

Wladimir Klitschko und David Haye haben die hochgespannten Erwartungen erfüllt und einander einen der besten Schwergewichtskämpfe seit Jahren geliefert. Weil der beiderseits prognostizierte vorzeitige Sieg ausblieb, bekamen die rund 45.000 Zuschauer in der Hamburger Imtech Arena ein hochklassiges Duell über die volle Distanz von zwölf Runden geboten. Beide Boxer trugen gleichermaßen dazu bei, daß die seit fast drei Jahren durch diverse Provokationen und Wortgefechte aufgeheizte Fehde ihre finale Entsprechung durch überzeugende sportliche Leistungen im Ring fand. Klitschko setzte sich nach Punkten durch (118:108, 117:111, 116:110) und vollendete damit den langgehegten Traum des ukrainischen Brüderpaars, alle vier maßgeblichen Gürtel in Familienbesitz zu bringen. Wenngleich es Haye verwehrt blieb, die Vorherrschaft der Klitschkos zu brechen, verdient sein in kämpferischer, taktischer und konditioneller Hinsicht erstklassiger Auftritt Respekt. Das gilt um so mehr, als ihm viele Experten angesichts seiner physischen Unterlegenheit allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt hatten.

Die Kontrahenten lieferten einander einen der temporeichsten Schwergewichtskämpfe aller Zeiten, ohne Konditionsprobleme erkennen zu lassen, was für sich genommen schon außergewöhnlich war. Daß der angekündigte Niederschlag ausblieb, war zum einen darauf zurückzuführen, daß Klitschko und Haye eine gewisse Vorsicht an den Tag legten, um keinesfalls einen schweren Wirkungstreffer einzufangen. So setzte der Ukrainer nicht rückhaltlos nach, wenn sein Gegner vom Schwung seiner eigenen wilden Schwinger getragen ins Taumeln geriet. Umgekehrt sorgte der Brite mit seinen überfallartigen Angriffen für Gefahr, ließ dann aber nicht mit letzter Entschlossenheit die nächste Attacke folgen.

David Haye bewegte sich so behende, daß Klitschko weit mehr Löcher in die Luft schlug als er Treffer verbuchen konnte. Immer wieder versuchte der Ukrainer den Gegner zu stellen, doch von seltenen Ausnahmen abgesehen entzog sich der Brite sofort wieder. Zudem war Haye der erste Boxer seit Jahren, der nicht an der Klitschko-Führhand scheiterte, sondern durch wendige Manöver an ihr vorbei und in Reichweite eigener Schläge kam. Allerdings ist Haye kein ausgesprochener Infighter, der dicht am Gegner mit Körpertreffern und kurzen Haken für Gefahr sorgt. Er schlägt vorzugsweise jene weiten und hochgezogenen Schwinger, die ihm den Namen "Haymaker" eingebracht haben. Mit ihnen versetzte er Klitschko mehr Treffer, als dieser in den letzten zwei bis drei Kämpfen zusammengerechnet einstecken mußte, doch wirkte der Ukrainer ebensowenig angeschlagen wie der Brite, der seinerseits einige schwere Treffer wegsteckte.

Die vielfach erwartete wilde Schlacht blieb aus, und obgleich das Duell durchweg spannend verlief und es des öfteren zum Schlagabtausch kam, stand doch die taktische Marschroute im Vordergrund, die beide Boxer hochkonzentriert durchtrugen und einander damit in letzter Konsequenz soweit neutralisierten, daß kein entscheidender Treffer gelang. Wladimir Klitschko mußte erstmals seit Februar 2008, als er dem Russen Sultan Ibragimow den WBO-Gürtel abnahm, wieder über die volle Distanz von zwölf Runden gehen und konnte seiner Statistik nicht wie erhofft den 50. K.o-Sieg hinzufügen.

Da Klitschko zu klammern pflegt, sobald ihm ein Gegner zu nahe kommt, und dabei sein Gewicht auflastet, bediente sich der gut 13 Kilo leichtere Haye eines ungewöhnlichen Mittels. Er duckte nicht nur sofort ab, sondern ließ sich des öfteren sogar zu Boden sinken, so daß er das Gewicht des Ukrainers nicht tragen mußte. Damit brachte er den Ringrichter sogar dazu, Klitschko für dessen Drücken mit einem Punktabzug zu bestrafen. Allerdings trieb der Brite dieses Spiel so weit, daß er einige Runden später in einer ähnlichen Situation demonstrativ angezählt wurde, womit den beiderseitigen Regelwidrigkeiten Rechnung getragen war. "Das ist Boxen", sagte Haye nach dem Kampf. "So etwas gehört zu einem Kampf im Schwergewicht."

Die blutrünstigen Ankündigungen, Beschimpfungen und Eskapaden, mit denen insbesondere David Haye unablässig Werbung für das Spektakel gemacht hatte, fanden zunächst ihre Fortsetzung beim Einmarsch, da sich der Brite geraume Zeit nicht blicken ließ. Dies sorgte für Unmut unter den Zuschauern, zumal insbesondere die VIP-Gäste, die zwischen 250 und 1500 Euro für ihre Karten gezahlt hatten, mit hellblauen und rosa Plastikcapes im Dauerregen sitzen mußten, da das Hamburger Stadion nicht voll überdacht ist. Am Ende schienen jedoch alle halbwegs zufrieden mit einer spektakulären Show und dem attraktiven Kampf gewesen zu sein, auch wenn sich die schätzungsweise 13.000 britischen Fans natürlich einen Sieg ihres Landsmanns gewünscht hätten.

Am Punktsieg Wladimir Klitschkos gab es nichts zu rütteln, wenngleich sein allzu deutlicher Vorsprung nicht dem Kampfverlauf entsprach. Der Ukrainer boxte größtenteils im Vorwärtsgang und traf trotz zahlloser Fehlschläge häufiger als der Brite. Auch hatte Klitschko nach einer starken Phase Hayes zu Mitte des Kampfes, als das Gefecht auf Messers Schneide schien, in den späteren Runden wieder die Initiative ergriffen und die aktivere Rolle übernommen. So gab es bei der Verkündung des Urteil auch keinen Protest, weder aus dem Lager Hayes, noch von dem lautstarken britischen Block im Publikum. Als sich die Kontrahenten nach dem Kampf endlich doch die Hand gaben, deutete sich an, daß die martialische Ankündigung und diversen verbalen Tiefschläge zu einem beträchtlichen Teil inszeniert waren, obgleich ein tiefsitzender Restbestand jederzeit aktivierbarer Animosität spürbar blieb.

Als einen der Gründe für seine Niederlage nannte der Brite eine Fußverletzung: Er habe sich vor drei Wochen im Training eine Zehe gebrochen und bis zuletzt noch Schmerzmittel genommen. "Das soll keine Ausrede sein, aber ich konnte mich mit dem rechten Bein nicht abstoßen. Ich hatte einfach nicht die Explosivkraft in den Schlägen. Ich wußte, daß ich heute nicht die volle Leistung zeigen würde. Wladimir hat eine konstante Leistung gezeigt. Ich würde gerne noch einmal in einem solchen Stadion boxen, zuerst muß ich aber sehen, was mit meinem Fuß ist. Danach werde ich mit dem Training beginnen."

Hayes Trainer und Manager Adam Booth bestätigte im britischen Fernsehen die Verletzung: "Wladimir ist ein großer Kerl, er ist sehr effektiv. David kam einfach nicht an ihn ran. Er kam nicht in die zweite Phase rein. Er brachte sich in Position für den ersten Schlag, Wladimir wich aber zurück und David konnte nicht nachsetzen. Sein Fuß spielte nicht mit. Wenn Davids Zehe in Ordnung gewesen wäre - wer weiß? Er hätte ihn mehr unter Druck gesetzt. Wladimir ist ein großer Champion. Er hat seine Konzentration zwölf Runden durchgehalten."

Mit dem Punkturteil zeigte sich Adam Booth einverstanden, nicht jedoch mit der Leistung des Ringrichters Genaro Rodriguez, der einen Stoß Klitschkos in der elften Runde als Niederschlag gewertet hatte. Er sei über den Ringrichter empört, sagte Booth gegenüber Sky Sports. "Ich bin über seine Leistung total empört. Er hat ihn angezählt, als er zu Boden gedrückt wurde, anstatt etwas zu sagen. Ich habe ihm am Ende meine Meinung gesagt, weil ich nicht jemand bin, der sich falsch behandeln läßt und dann nichts sagt. Das war nicht fair. Ich habe kein Problem mit dem Urteil, ich habe aber eines mit dem Referee."

Wie Klitschkos Trainer Emanuel Steward einräumte, habe er Haye aggressiver erwartet. "Wir dachten, daß er eine Bombe nach der anderen wirft." Der legendäre US-Coach, der am Donnerstag 67 Jahre alt wird, fand auch kritische Worte für seinen eigenen Schützling, ohne dessen Gesamtleistung zu schmälern. "Wladimir hätte häufiger schlagen müssen. Wir wußten, daß Haye nach Angriffen kurzzeitig die Balance verlieren würde, also sollte Wladimir abwarten und nach Attacken von Haye kontern. Wir hatten nur nicht damit gerechnet, daß Haye seinen Kopf und Oberkörper derart schnell bewegen und diesen Kontern ausweichen kann. Dennoch ist unser Plan perfekt aufgegangen, es war ein großer Kampf von Wladimir."

Klitschko selbst sagte auf der Pressekonferenz, daß ihn David Haye wirklich gefordert habe. "Ich komme nicht jedes Mal nach einem Kampf mit Kratzern im Gesicht zu einer Pressekonferenz." Auch der Brite räumte ein, mehr Schläge als normalerweise abbekommen zu haben, und attestierte seinem Gegner einen perfekten Kampf. Vitali Klitschko zollte dem Briten Respekt: "David hat besser gekämpft, als ich es erwartet habe. Er war sehr beweglich, sehr schnell, sehr aggressiv und zu jeder Sekunde gefährlich."

Nach dem spektakulären Duell der Weltmeister, dessen Zustandekommen fast drei Jahre gedauert hatte, ist der 35 Jahre alte Wladimir Klitschko Superchampion der WBA, sowie nach wie vor Titelträger der Verbände WBO, IBF und IBO, während sein älterer Bruder Vitali den Gürtel des WBC in seinem Besitz hat. Für den jüngeren Klitschko stehen nunmehr 56 Siege und drei Niederlagen zu Buche, der 30jährige David Haye hat 25 Auftritte gewonnen und zwei verloren.

Der Kampf zwischen Klitschko und Haye wurde in 150 Länder übertragen und gilt als das höchstdotierte Duell der deutschen Boxgeschichte. Die Rede ist von mindestens acht bis zehn Millionen Euro für jeden der beiden Boxer, die sich die Einkünfte zur Hälfte teilen.

Dem übertragenden Privatsender RTL bescherte der Kampf eine Traumquote. Im Schnitt sahen 15,5 Millionen Zuschauer den Sieg des Ukrainers, was einem Marktanteil von 67 Prozent entsprach. Der Spitzenwert am Ende der zwölften Runde lag bei 16,28 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 69,9 Prozent. Um 0.15 Uhr wurde nach Angaben des Senders sogar ein Marktanteil von 75,7 Prozent ermittelt. Für die Klitschkos bedeuten diese Zahlen einen neuen Rekord, da sich etwa zwei Millionen Menschen mehr einschalteten als beim bislang quotenträchtigsten Kampf Vitali Klitschko gegen Shannon Briggs (13,45 Millionen). Das große Interesse hing zweifellos mit dem Vermarktungstalent des Briten zusammen. Den Rekord für eine deutsche Boxübertragung hält allerdings nach wie vor Axel Schulz, der 1995 bei seinem Titelkampf gegen Francois Botha 18,03 Millionen Zuschauer vor die Fernsehgeräte lockte.

3. Juli 2011