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PROFI/518: Fehlurteil raubt Manny Pacquiao Sieg und Titel (SB)




Punktrichter schenken Timothy Bradley knappen Erfolg

Auf den Philippinen standen zahllose Menschen bei der öffentlichen Übertragung des Auftritts ihres Nationalhelden unter Schock, viele verliehen ihrer Empörung Ausdruck, andere brachen erschüttert in Tränen aus. Vor 16.000 konsternierten Zuschauern im MGM Grand Garden der Spielerstadt Las Vegas hatte der US-Amerikaner Timothy Bradley auf Grund eines klaren Fehlurteils Manny Pacquiao knapp mit 2:1-Punktrichterwertungen besiegt und damit als Weltmeister der WBO im Weltergewicht entthront. "Das ist völlig verrückt", erklärte Promoter Bob Arum, bei dem beide Akteure unter Vertrag stehen. "Die Punktrichter wußten nicht, was sie tun. Damit zerstören sie das Boxen." Der als weltbester Kämpfer aller Gewichtsklassen geltende 33 Jahre alte Philippiner mußte seine erste Niederlage seit sieben Jahren und 15 gewonnenen Kämpfe in Folge hinnehmen. Während seine Bilanz nun 54 Siege, vier Niederlagen und zwei Unentschieden aufweist, blieb Bradley auch im 29. Profikampf ungeschlagen.

Pacquiao hatte druckvoll begonnen und boxte geschickt aus der Distanz. Während nach drei Runden mehr als die Hälfte seiner Schläge ihr Ziel gefunden hatten, konnte Bradley seine Taktik nicht durchsetzen und rannte immer wieder in die Fäuste seines Gegners. Bis zur sechsten Runde gab es keinen Grund, dem US-Amerikaner auch nur einen Durchgang gutzuschreiben. Endlich schien er einzusehen, daß er mit seiner offensiven Vorgehensweise nur ins offene Messer lief, und gestaltete zwei Runden erheblich besser als zuvor. Danach zog jedoch der Philippiner wieder an und schien den Sieg sicher nach Hause zu boxen. Zwar suchte Bradley in der siebten Runde erneut den Schlagabtausch, doch sollte ihm das schlecht bekommen, da Pacquiao wiederum härter traf. Das Selbstvertrauen des Herausforderers schien erschüttert, und in seiner Ecke kam leichte Panik auf. Nachdem der neunte Durchgang ausgeglichen verlaufen war, brachte sich der 28 Jahre alte Herausforderer in der folgenden Runde erstmals so klar zur Geltung, daß sie eindeutig zu seinen Gunsten endete. Im elften Durchgang war es jedoch wieder Pacquiao, der seinen Gegner durch den Ring trieb und einen Niederschlag anstrebte. In der letzten Runde lief es dann wieder recht gut für Bradley, der sich selten treffen ließ.

Manny Pacquiao, der frühere Weltmeister in acht Gewichtsklassen, lag laut Statistik des übertragenden Fernsehsenders HBO jedoch eindeutig in Front. Demnach brachte der Philippiner insgesamt 253 Schläge und damit fast 100 mehr als Bradley ins Ziel, wobei er auch die gefährlicheren Treffer plazieren konnte. Seinen 190 "Power Punches" standen 109 des Herausforderers gegenüber. Der erfahrene ehemalige Punktrichter Harold Lederman hatte als Experte für HBO den Kampf inoffiziell 119:109 für den Titelverteidiger gewertet. In krassem Gegensatz dazu sahen jedoch zwei Punktrichter den US-Amerikaner mit 115:113 in Führung, während der dritte mit 115:113 für Pacquiao stimmte. Es dürfte wohl kaum einen Beobachter am Ring gegeben haben, der mit dem Urteil einverstanden war. Das tobende Publikum machte seiner Empörung lautstark Luft, und Promoter Bob Arum kündigte sofort eine Revanche an.

Manny Pacquiao erklärte tief enttäuscht, er habe gar nicht auf das Urteil gehört, weil er überzeugt gewesen sei, bei allen Punktrichtern gewonnen zu haben. Er könne sich nicht erinnern, auch nur von einem einzigen harten Schlag Bradleys getroffen worden zu sein, und halte sich nach wie vor für den eigentlichen Sieger dieses Kampfs. Er strebe auf jeden Fall eine Revanche an, zu der es wohl auch kommen wird. Sein Trainer Freddie Roach sprach entrüstet von einem klaren Fehlurteil, da er seinen Boxer mit 10:2 Runden vorne gesehen habe.

Selbst Timothy Bradley schien zunächst nicht recht zu wissen wie ihm geschah. Er habe alles versucht, diesen Gegner jedoch nicht besiegen können, räumte er in seiner ersten spontanen Einschätzung im Grunde eine Niederlage ein. Erst einige Zeit später erklärte er dann, er habe sich schon gedacht, daß der Sieg an ihn gehen würde. Pacquiao sei nicht so gut gewesen, wie alle behaupteten. Von der Power des Champions habe er jedenfalls nichts gespürt.

"Ich respektiere das Urteil der Punktrichter, das ist Teil des Sports", hielt sich Pacquiao mit Kritik an der nicht nachvollziehbaren Wertung zurück. Er habe heute sein Bestes gegeben, das offensichtlich nicht gut genug gewesen sei, sagte der Philippiner und gratulierte seinem Gegner. Er konnte sich indessen mit einer garantierten Börse von 26 Millionen Dollar und der Aussicht auf einen Rückkampf trösten, der vertraglich vereinbart war. Auf Grund dieser überraschenden Niederlage dürfte es in diesem Jahr nicht mehr zum langersehnten Kampf der Superlative gegen seinen Erzrivalen und WBC-Champion Floyd Mayweather kommen, der gegenwärtig eine 90tägige Haftstrafe absitzt.

Wenngleich Bob Arum versicherte, er habe sich noch nie in seinem Leben derart für den Boxsport geschämt, wurden kritische Stimmen laut, die einen geschickten Schachzug nicht ausschließen wollten. Durch die Niederlage Pacquiaos gewinnt der vereinbarte Rückkampf, der bereits für den 10. November terminiert ist, enorm an Bedeutung, wobei der Promoter den Gesamterlös unter seiner Kontrolle hat. Auszuschließen ist daher nicht, daß Arum den fünf Jahre jüngeren Bradley favorisiert, weil der Philippiner seine Karriere in absehbarer Zeit beenden dürfte, der ungeschlagene US-Amerikaner jedoch als Boxer der Zukunft gilt.

10. Juni 2012