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PROFI/519: Wladimir Klitschkos Physis überfordert Tony Thompson (SB)




US-Amerikaner unterliegt dem Weltmeister in der sechsten Runde

Die seit geraumer Zeit erfolgreich praktizierte Strategie der Klitschkos, in die Jahre gekommene Konkurrenten dank ihrer überlegenen Physis in die Schranken zu weisen und den noch nicht gereiften Nachwuchs frühzeitig abzuernten, hat einmal mehr zum absehbaren Resultat geführt. Wladimir Klitschko konnte seine vier Titel im Schwergewicht in souveräner Manier verteidigen. Vor 22.000 Boxfans im Berner Stade de Suisse und 8,36 Millionen Fernsehzuschauern bei RTL besiegte der 36jährige Superchampion der Verbände WBA und WBO sowie Weltmeister der IBF und IBO den vier Jahre älteren Pflichtherausforderer Tony Thompson aus den USA durch technischen K.o. in der sechsten Runde. Die Kontrahenten hatten einander am 12. Juli 2008 in Hamburg schon einmal im Ring gegenübergestanden. Damals gewann der Ukrainer durch einen spektakulären K.o. in der elften Runde. In Bern blieb der jüngere Klitschko in seinem 13. Titelkampf seit 2006 ungeschlagen und verbesserte seine Bilanz auf 58 Siege und drei Niederlagen. Für den US-Amerikaner stehen nun 36 gewonnene und drei verlorene Kämpfe zu Buche.

Da Thompson in der Rechtsauslage boxt, brauchte Klitschko in der ersten Runde einige Zeit, um die richtige Distanz zu finden. Sein Jab kam nicht allzu häufig, und die Kontrahenten standen einander wiederholt auf den Füßen. Im zweiten Durchgang ging der Weltmeister dann deutlich aggressiver zur Sache und kam mit seiner Rechten immer besser durch. Nach einem Treffer, dem ein Gerangel folgte, ging Thompson zum ersten Mal zu Boden, doch wurde die Aktion nicht als Niederschlag gewertet. Seine beste Szene hatte der US-Amerikaner in der dritten Runde, als er mit einem linken Konter traf. Davon abgesehen machte der Herausforderer jedoch zu wenig, um Klitschko und die Punktrichter zu beeindrucken.

Nach einem ausgeglichenen vierten Durchgang, in dem sich der Ukrainer mit einer guten Kombination in Szene setzte und Thompson seinerseits energischer kämpfte, brachte Klitschko in der fünften Runde einen rechten Volltreffer ins Ziel. Der Herausforderer ging schwer zu Boden, kam nur mit Mühe wieder auf die Beine und überstand klammernd die verbleibende halbe Minute. Im sechsten Durchgang versuchte Thompson nur noch durchzuhalten, bis der Champion mit einer rechten Geraden und einem linken Haken erneut Wirkung erzielte. Klitschko setzte sofort nach, worauf sein Gegner in der Ringecke zusammensackte und zunächst auf dem Boden liegenblieb. Er raffte sich zwar noch einmal auf, doch war er offensichtlich nicht mehr in der Lage, sich zu verteidigen, so daß ihn Ringrichter Sam Williams aus den USA nach genau 2:56 Minuten aus dem Kampf nahm.

Im anschließenden Interview zog Wladimir Klitschko das Fazit, daß er zufrieden mit dem Ergebnis sei, doch boxerisch noch einige Dinge besser machen könne. Es sei nicht leicht, das richtige Timing zu finden, da sich Thompson kaum treffen lasse. Dennoch sei es diesmal viel einfacher gewesen, da er die Kontrolle übernommen habe, so der Ukrainer: "Ich wußte, daß ich schneller, stärker, besser bin. Tony wollte es unbedingt, aber es war nicht seine Nacht."

Tony Thompsons Resümee fiel zwangsläufig recht deprimiert aus. Klitschko habe ihn voll getroffen, doch inzwischen gehe es ihm wieder gut. Unterschätzt habe er den Weltmeister nicht, wohl aber vielleicht etwas zu viel Respekt gezeigt. Er habe sich sehr gut auf diesen Kampf vorbereitet und einen taktischen Plan verfolgt. Womöglich sei er aber inzwischen über den Zenit seines Könnens hinaus. Zwar sei er nach wie vor davon überzeugt, alle anderen schlagen zu können. Wenn man jedoch den Champion nicht besiegen könne, mache es eigentlich keinen Sinn mehr.

Trainer Emanuel Steward, der an diesem Tag seinen 68. Geburtstag feierte, attestierte seinem Schützling eine souveräne Leistung. Dieser habe gezeigt, was erforderlich war, und die Aufgabe gut gelöst, den schwer zu treffenden Herausforderer zu erwischen. Wladimir habe dank seiner überragenden Physis gewonnen. Er selbst habe im Laufe der Jahre fünf Schwergewichtsweltmeister trainiert. Wladimir wäre für jeden Champion der Geschichte eine Gefahr gewesen. Gemessen an seiner Bilanz gehöre er zu den Besten aller Zeiten.

Den WBC-Titel verteidigt der vier Jahre ältere Vitali Klitschko am 8. September in Moskau gegen den Kölner Manuel Charr. Sollte er danach wegen seiner politischen Ambitionen die Boxhandschuhe an den Nagel hängen, könnte Wladimir um den letzten verbliebenen Titel kämpfen. Er freue sich unheimlich, mit seinem Bruder die Schwergewichtsszene zu beherrschen, sagte der jüngere Klitschko. "Ich mag gar nicht daran denken, daß das irgendwann enden wird." Nicht erst seit gestern zeichnet sich ab, daß den Klitschkos angemessene Gegner ausgegangen sind. Thompson kam nur deshalb ein zweites Mal ins Spiel, weil er sich nach der ersten Niederlage gegen den Champion mit fünf Siegen in Folge zum Pflichtherausforderer der IBF hochgekämpft hatte.

Sollte sich am kommenden Samstag Dereck Chisora in London gegen David Haye durchsetzen, wäre der Brite eine Option für Klitschkos nächsten Auftritt. Allerdings sind sowohl Chisora (Vitali) als auch Haye (Wladimir) bereits an den Klitschkos gescheitert. Für das kommende Jahr arbeitete Manager Bernd Bönte an Duellen gegen die bislang unbesiegten Briten David Price und Tyson Fury. Ein Angebot, erstmals seit vier Jahren wieder im New Yorker Madison Square Garden aufzutreten, schlugen Klitschko und Bönte aus. Für den Weltmeister gibt es in Europa viel mehr Geld zu verdienen, zumal kein gefährlicher US-amerikanischer Herausforderer in Sicht ist.

An Kämpfen gegen den Amerikaner Chris Arreola oder den Russen Alexander Powetkin fehle das Interesse der Sender und Austragungsstätten, so Bönte. Im Gespräch sind hingegen Seth Mitchell und Johnathon Banks aus den USA, vor allem aber der in 27 Kämpfen ungeschlagene Pole Mariusz Wach. Da die polnischen Fernsehsender großes Interesse an diesem Duell haben, ist nicht auszuschließen, daß der Weltmeister seine Titel in Polen gegen den 32jährigen "Wikinger" verteidigt. Fest steht bislang nur, daß Wladimir Klitschko im November oder Dezember wieder in den Ring steigen soll. Der Kampf werde mit Sicherheit in Europa stattfinden, er müsse aber nicht zwangsläufig in Deutschland über die Bühne gehen, schließt Bernd Bönte ein erneutes Gastspiel im benachbarten Ausland in Erwägung.

8. Juli 2012