Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

PROFI/520: David Haye schickt Dereck Chisora auf die Bretter (SB)




Attraktives Schwergewichtsboxen vor 30.000 Zuschauern in London

Vor 30.000 Zuschauern im ausverkauften Upton Park, dem Stadion des Fußballklubs West Ham United im Osten Londons, hat David Haye seinen britischen Landsmann und angeblichen Erzfeind Dereck Chisora durch einen spektakulären Knockout in der fünften Runde besiegt. In einem turbulenten Kampf, der die in ihn gesetzten Erwartungen voll und ganz erfüllte, marschierte der 28jährige Chisora in gewohnter Manier nach vorne und versuchte seinen drei Jahre älteren Gegner unter Druck zu setzen. Dieser beschäftigte ihn jedoch mit zahlreichen Schlägen und hielt ihn sich auf diese Weise vom Leib. In der zweiten Runde brachte Haye erstmals eine schwere Rechte ins Ziel, während Chisora im Infight mit seltsamen Hammerschlägen zum Erfolg zu kommen versuchte und dafür vom Ringrichter ermahnt wurde. Auch im dritten Durchgang machte Haye die bessere Figur, wenngleich er bei einem Schlagabtausch von einem linken Haken voll getroffen und ins Stolpern gebracht wurde.

In der vierten Runde wich Chisora erstmals zurück, wobei nicht ersichtlich war, ob er Haye damit eine Falle stellen wollte oder von dessen gefährlichen Schlägen beeindruckt war. Haye setzte seine Offensive auch im fünften Durchgang fort und traf seinen Gegner bereits nach wenigen Sekunden mit der Rechten. Nun verlegte sich Chisora darauf, ihn in die Seile zu drängen, worauf Haye ihn herumdrehte, so daß er nicht mehr schlagen konnte. Dieses Manöver war allerdings für den wesentlich leichteren Haye sehr anstrengend, so daß man ihn heftig atmen sah. Jetzt stürmte Chisora wieder voran und rannte damit in sein Verhängnis. Kurz vor Ende der Runde traf ihn ein perfekter linker Konterhaken, worauf ihn eine Rechte an die Schläfe erstmals in seiner Karriere zu Boden schickte. Er kam zwar noch einmal auf die Beine, doch zwang ihn eine sehenswerte Kombination von fünf Schlägen erneut auf die Bretter. Wieder raffte er sich mühsam auf, doch nahm ihn der Ringrichter kurz vor Ende der Runde aus dem Kampf.

Der frühere Weltmeister im Cruiser- und Schwergewicht, David Haye, bestritt seinen ersten Kampf seit der Niederlage gegen Wladimir Klitschko im Juli 2011. Er verbesserte seine Bilanz auf 26 Siege und zwei Niederlagen, wobei er nicht weniger als 24 Gegner vorzeitig besiegt hat, und empfahl sich mit diesem überzeugenden Auftritt für ein Duell mit WBC-Weltmeister Vitali Klitschko. Hingegen hat Dereck Chisora 15 Auftritte gewonnen, aber bereits vier verloren, davon zuletzt drei in Folge. Ein Sieg hätte ihn zu einem möglichen Kandidaten für Wladimir Klitschko gemacht, doch dürfte diese Option nun endgültig vom Tisch sein.

Wie Haye im anschließenden Interview erklärte, habe Chisora ein außerordentlich robustes Kinn. Er habe mehrere Treffer weggesteckt, die andere Boxer längst zu Boden geschickt hätten. Wenngleich er zuvor wenig Respekt vor Dereck gehabt habe, schließe er jetzt nicht mehr aus, daß dieser es eines Tages zum Champion bringen könne. Haye räumte ein, mehrmals gefährlich getroffen worden zu sein und seines Bestes gegeben zu haben, um in dieser phantastischen Atmosphäre den Sieg davonzutragen. Unermüdlicher Selbstvermarkter, der er ist, schwärmte er von "mächtigen Schlägen und Granatentreffern ab der ersten Runde". So sollte es im Schwergewicht immer sein. Er habe den Boxsport mit seiner unterhaltsamen Darbietung wiederbelebt. Alle Zuschauer seien auf ihre Kosten gekommen und glücklich nach Hause gegangen.

"Im Gegensatz zu Kämpfen dieser großen Superschwergewichtler, die viel Wert auf Verteidigung legen und ab und an mal einen Jab raushauen", habe er einen aufregenden Kampf geliefert. Er wäre sehr überrascht, sollte Vitali Klitschko es wagen, mit ihm in den Ring zu steigen, hielt sich Haye diese Möglichkeit warm. Wahrscheinlich werde der Ukrainer aber zuerst "gegen diese Flasche" boxen und dann in die Politik gehen. "Wenn er aber eine Herausforderung will, bin ich bereit. Wenn er sich traut, liefere ich ihm einen Megafight. Wenn nicht, werde ich das auch überleben und bin mit einem Paukenschlag abgetreten", so Haye.

Dereck Chisora enthielt sich aller markigen Sprüche und dankte dem luxemburgischen Verband, unter dessen Lizenz der Kampf veranstaltet worden war. Haye habe ihn mit einem schweren Treffer erwischt und zum ersten Mal in seiner Karriere zu Boden geschickt. So sei Boxen eben, doch er werde zurückkommen. Von der angeblichen Todfeindschaft, mit der man erfolgreich für den Kampf geworben hatte, war hinterher nichts mehr zu spüren. "Ich nehme es nicht persönlich. Ich hatte viel Spaß, die englischen Fans hatten viel Spaß", gab sich Chisora versöhnlich. "Aller Schaden, den wir in München angerichtet haben, ist wieder repariert", pflichtete ihm Haye bei. "Die beiden haben ihre Differenzen geklärt und all den Blödsinn, der in Deutschland passiert ist, begraben", unterstrich auch Promoter Frank Warren.

Hayes Trainer Adam Booth berichtete, daß sein Schützling auf einen echten Kampf ausgewesen sei und sich intensiv darauf vorbereitet habe. David habe jede Menge Dampf in den Fäusten und strecke jeden Gegner nieder, der ihm ein Ziel biete. Seine Schnelligkeit sei ein unschätzbarer Vorteil. Vitali Klitschko werde nicht jünger und habe seine politische Karriere im Auge. Zudem sei ungewiß, ob der Ukrainer überhaupt gegen jemanden antrete, der so schnell sei und derart hart schlagen könne wie Haye.

Zu einem Duell zwischen Vitali Klitschko und David Haye könnte es erst im nächsten Jahr kommen, da der WBC-Champion seinen Titel am 8. September in Moskau gegen den Deutsch-Libanesen Manuel Charr verteidigt. Auf den Vorwurf, er suche zu schwache Herausforderer aus, braucht der bald 41jährige sicher nicht lange zu warten. Der relativ unbekannte Kölner wollte die Chance nutzen, sich ins Gespräch zu bringen, und platzte in die Londoner Pressekonferenz. Dort forderte er Haye zum Kampf, nachdem er Vitali "zerstört" habe. Der Brite nahm diesen Auftritt gelassen, schließlich hatte er sich einst selbst auf ähnliche Art und Weise ins Gespräch gebracht.

Dem Vernehmen nach kassierte Dereck Chisora mit etwa zwei Millionen Euro die Börse seines Lebens. David Haye soll sogar noch etwas mehr verdient haben. Frank Warren, der den Kampf vermarktete, verfolgte neben den unmittelbaren Einkünften noch einen anderen Plan. Er will seinem hauseigenen Fernsehsender Boxnation, in dem bislang vor allem ausländische Kämpfe gezeigt wurden, einen Schub geben.

15. Juli 2012