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PROFI/542: Jürgen Brähmer nimmt Enzo Maccarinelli die Sicht (SB)




Die Vorentscheidung fiel bereits in der ersten Runde

Vor rund 5.000 Zuschauern in der ausverkauften Rostocker Stadthalle hat Jürgen Brähmer den Titel der WBA im Halbschwergewicht erstmals erfolgreich verteidigt. Der 35jährige bezwang den zwei Jahre jüngeren Waliser Enzo Maccarinelli durch technischen K.o. vor Beginn der sechsten Runde. Damit verbesserte der Schweriner seine Bilanz auf 43 Siege und zwei Niederlagen, während für seinen Gegner nun 38 gewonnene und sieben verlorene Auftritte zu Buche stehen. Für den Waliser dürfte dies die letzte Chance seiner durchwachsenen Karriere gewesen sein, einen bedeutenden Titel zu erringen. Brähmer steht beim Berliner Promoter Sauerland Event unter Vertrag und war früher bereits Champion des Verbands WBO in dieser Gewichtsklasse. Im Dezember 2013 hatte er sich durch einen Sieg über den US-Amerikaner Marcus Oliveira den Gürtel der WBA gesichert.

Nach einem vielversprechenden Auftakt, der einen spannenden Kampf erwarten ließ, fiel die Entscheidung im Grunde genommen bereits kurz vor Ende der ersten Runde. Brähmer traf den Herausforderer wenige Sekunden vor dem Pausengong mit einem Jab sowie einem linken Cross, worauf Maccarinellis rechtes Auge immer mehr zuschwoll. Der weitere Verlauf stellte auch die Zuschauer auf eine harte Probe, da die Schwellung enorme Ausmaße annahm und sich überdies die Kieferpartie des Herausforderers unter den Schlägen des Weltmeisters zu verformen schien.

Obgleich allein schon das Zusehen Schmerzen bereitete, brachen Ringrichter, Ringarzt und der Trainer des Walisers den Titelkampf lange Zeit nicht ab. Der italienische Referee schickte den früheren Champion im Cruisergewicht zweimal zum Ringarzt, der jedoch keine Empfehlung aussprach, den Kampf zu beenden. Wie der erfahrene Bayreuther Arzt Walter Wagner später erklärte. könne man dem Boxer die Chance nicht nehmen, solange er koordiniert schlage und der Meinung sei, er könne sich verteidigen.

Obgleich Maccarinelli schwer beeinträchtigt war, boxte er tapfer weiter und konnte einige Treffer ins Ziel bringen. Mit zunehmender Dauer wurde seine Lage jedoch immer aussichtsloser. In der fünften Runde ging er mit dem Mut der Verzweiflung noch einmal in die Offensive und schlug wild auf den Titelverteidiger ein. Dem Lokalmatador gelang es jedoch, den Größen- und Reichweitenvorteil des Gegners dank seiner Schnelligkeit wettzumachen. Erst in der Pause zur sechsten Runde hatte die Ecke des britischen Herausforderers ein Einsehen und gab den Kampf auf. Damit blieb der zu diesem Zeitpunkt auch nach Punkten führende Brähmer WBA-Champion im Halbschwergewicht.

Der alte und neue Weltmeister zog im anschließenden Interview mit den Worten Bilanz, Maccarinelli sei wie erwartet ein unangenehmer Gegner gewesen. Zudem habe ihm eine Rißwunde über dem rechten Auge zu schaffen gemacht, so der Schweriner. Er habe jedoch gut auf den Herausforderer reagiert und den Zuschauern etwas geboten. [1]

Wie der schwer gezeichnete Maccarinelli mehr als eine Stunde nach seinem Auftritt einräumte, habe ihn der Ringarzt gefragt, ob er noch etwas sehen könne. Er habe mit Ja geantwortet, obgleich er auf der rechten Seite überhaupt nichts mehr sehen konnte. Auch sein Trainer Gary Lockett offenbarte unfreiwillig, daß die Gesundheit seines Schützlings erst an zweiter Stelle gestanden hatte und der mögliche Titelgewinn wichtiger war. Enzo habe noch eine Chance gehabt, das Blatt zu wenden. Die meisten Leute hätten doch vorher gesagt, daß dies die allerletzte Gelegenheit sei, Weltmeister zu werden. Diese Chance wollte er seinem Boxer nicht nehmen. Er habe ihn daher nach dem vierten Durchgang mitgeteilt, daß er ihm noch eine Runde gebe. Sollte es ihm nicht gelingen, Brähmer in diesen drei Minuten zu besiegen, werde er den Kampf aufgeben, so Lockett. [2]

Promoter Kalle Sauerland war mit seinem Schützling zufrieden und erklärte, man habe gesehen, warum Brähmer Weltmeister ist. Da viele Zuschauer und Experten der Auffassung waren, daß der Kampf zu spät abgebrochen worden sei, wurden Parallelen zu einstigen großen Duellen bemüht. So kämpfte Dariusz Michalczewski 2002 gegen den Jamaikaner Richard Hall mit zwei zugeschwollen Augen. Nach seinem Einwand, er könne jetzt gar nichts mehr sehen, hatte Trainer Fritz Sdunek seinem Schützling in der Ringpause befohlen: "Dann geh jetzt und hau ihn um!" Michalczewski leistete dieser Aufforderung Folge und setzte sich durch.

Auch Graciano Rocchigiani gelang 1991 gegen den Niederländer Alex Blanchard noch ein K.o.-Sieg mit geschlossenem Auge. Ob diese gezielt ausgewählten Beispiele aus der Vergangenheit den späten Abbruch in Rostock rechtfertigen, darf jedoch bezweifelt werden. Beim Eishockey oder Rugby gebe es mehr Verletzte als im Boxen, da dies ein kontrollierter Sport sei, versuchte Kalle Sauerland, der einsetzenden Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Jürgen Brähmer ist zwar regulärer WBA-Weltmeister, doch über ihm steht der Kasache Beibut Schumenow, den dieser Verband als Superchampion führt. Der Schweriner wird daher international nicht den maßgeblichen Titelträgern im Halbschwergewicht zugerechnet. Mit seinem Erfolg in Rostock hat er immerhin die überzogene Kritik aus dem Feld geschlagen, er sei nur ein Weltmeister auf dem Papier und werde gegen Maccarinelli untergehen. Kalle Sauerland machte geltend, daß Brähmer nach Amateurschule, Technik, Präzision und Schlagwirkung der beste Halbschwergewichtler der Welt sei.

Er würde gerne Bernard Hopkins gegen Brähmer in Deutschland sehen, da dies ein Traumkampf wäre, so der Promoter. Der US-Amerikaner ist IBF-Champion, mit 49 Jahren der älteste Weltmeister aller Zeiten und gilt als Legende des Boxsports. Allerdings hat er von seinen 64 Kämpfen nur drei im Ausland bestritten, davon zwei im benachbarten Kanada. Um ihn nach Deutschland zu locken, wäre eine Börse erforderlich, die der Berliner Promoter samt seinem Fernsehpartner ARD schlichtweg nicht aufbringen kann. Zudem sollte man nicht aus den Augen verlieren, daß ein Gegner wie Enzo Maccarinelli nicht in derselben Liga wie Bernard Hopkins (IBF), Sergej Kowaljow (WBO), Adonis Stevenson (WBC) und Beibut Schumenow (WBA) boxt.


Fußnoten:

[1] http://www.boxen.com/news-archiv/newsdetails/article/braehmer-siegt-durch-abbruch/23.html

[2] http://www.morgenpost.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/article126618435/Braehmers-WM-Titel-wichtiger-als-Maccarinellis-Auge.html

6. April 2014