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PROFI/635: Makellos für eine siegestrunkene Fangemeinde (SB)



Anthony Joshua dominiert enttäuschenden Dominic Breazeale

Anthony Joshua hat den IBF-Titel im Schwergewicht in der Londoner O2 Arena erfolgreich gegen Dominic Breazeale verteidigt, der sich in der siebten Runde geschlagen geben mußte. Während der 26jährige Brite damit in 17 Kämpfen unbezwungen ist, die er ausnahmslos vorzeitig gewonnen hat, mußte der an Nummer dreizehn der IBF-Rangliste geführte US-Amerikaner nach 17 Siegen die erste Niederlage hinnehmen.

Für den 30 Jahre alten Herausforderer wurde es bereits in der zweiten Runde eng, als ihn der Champion mit einem rechten Uppercut traf. Breazeale taumelte auf weichen Beinen im Ring umher und konnte von Glück reden, daß Joshua bis zur Pause nicht mehr genug Zeit blieb, um entscheidend nachzusetzen. Wenngleich es dem US-Amerikaner gelang, halbwegs erholt zum dritten Durchgang anzutreten, sah es auch in der Folge schlecht für ihn aus. Als Joshua ihn in die Seile trieb, revanchierte er sich jedoch mit einigen Treffern, die den Briten zurückweichen ließen.

In der vierten Runde begann Breazeales rechtes Auge zuzuschwellen, da ihn der Weltmeister immer wieder mit seinem Jab und linken Haken malträtierte. Kurz vor der Pause kam Joshua noch einmal mit einem wuchtigen linken Haken durch. Zwar verkraftete der Herausforderer auch diesen Treffer, doch zeichnete sich immer deutlicher ab, daß er auf diese Weise nicht mehr lange durchhalten würde. Breazeale verlegte sich im folgenden Durchgang darauf, kaum noch zu schlagen, als sei er ausschließlich darauf bedacht, nur nicht getroffen zu werden. Von seiner einzigen Chance, womöglich mit der Rechten einen Glückstreffer zu landen, machte er keinen Gebrauch, so daß ihn Joshua fast nach Belieben mit harten Jabs und wuchtigen Schlägen der Rechten bearbeiten konnte.

Dieses Bild setzte sich bis zur siebten Runde fort, in der Joshua seinen Gegner abermals an den Seilen festsetzte und ihn dort mit einer Serie von Schlägen bearbeitete, bis er zu Boden ging. Als der Herausforderer wieder auf die Beine gekommen war, versetzte er ihm weitere schwere Treffer, worauf Breazeale ein zweites Mal niederstürzte. Wenngleich der US-Amerikaner den Ringrichter wegschob, als sich dieser um ihn kümmern wollte, und noch einmal aufzustehen versuchte, war er doch zu angeschlagen, um den Kampf fortsetzen zu können. Daraufhin entschied der Referee Howard John Foster völlig zu Recht nach genau 1:01 Minuten der siebten Runde auf Abbruch.

Wenngleich der Ausgang des Kampfs keinesfalls überraschend war, mutete doch erstaunlich an, wie gut Anthony Joshua mit dem Jab gearbeitet hatte. Er kontrollierte den etwas größeren Gegner derart, daß dieser nur selten dazu kam, seinerseits wirksame Schläge anzubringen. Daß der Brite schlichtweg schneller als der Herausforderer schlug, zeichnete sich bereits in den ersten drei Runden ab, als Breazeale noch mitzuboxen versuchte. Da der Champion fast immer früher traf, zwang er den US-Amerikaner derart in die Reaktion, daß dieser zu keinem Zeitpunkt die Initiative ergreifen konnte. Wenngleich Joshuas Schläge durchaus im Ansatz zu erkennen waren, mied Breazeale zunehmend den Abtausch, statt beherzt mitzukämpfen.

Aus diesem Grund fiel der Kampf insgesamt gesehen enttäuschend aus, zumal der Herausforderer angekündigt hatte, er werde sich keinesfalls wie sein Landsmann Charles Martin, der im April den Titel an Joshua verloren hatte, passiv in die Enge treiben lassen. Wenngleich Martin bereits in der zweiten Runde geschlagen am Boden lag und Breazeale bis zur siebten durchhielt, war der Kampfverlauf doch recht ähnlich. Auch die Vorhersage, er werde kämpfen wie ein in die Enge getriebenes Tier, sollte Joshua den Schlagabtausch mit ihm wagen, erwies sich als leeres Versprechen Breazeales. Statt dessen boxte er so, als wolle er lediglich möglichst lange auf den Beinen bleiben, nicht aber wie ein Herausforderer, der alles daransetzt, um seine Titelchance zu nutzen.

Angesichts dieses Auftritts wird Dominic Breazeale so schnell keine zweite Gelegenheit mehr bekommen, sich mit einem Weltmeister zu messen. Im vergangenen Jahr hatte er sich nur umstritten gegen Fred Kassi durchgesetzt, in dem viele Zuschauer den eigentlichen Sieger sahen. Als er dann auf den 43jährigen Amir Mansour traf, landete er in der dritten Runde auf den Brettern. Hätte sich Mansour nicht eine Kieferverletzung zugezogen, die zum Abbruch in der fünften Runde führte, wäre es wohl um Breazeale geschehen gewesen.

Nach diesem Erfolg gegen einen erschreckend schwachen Herausforderer dürfte Anthony Joshua und seinem Promoter Eddie Hearn wohl daran gelegen sein, beim nächsten Auftritt im November endlich einen hochklassigen Kontrahenten zu präsentieren. Tyson Fury kommt dafür nicht mehr in Frage, da er die Anfang Juli geplante Revanche gegen Wladimir Klitschko wegen einer Verletzung im Fußgelenk abgesagt hat. Wie böse Zungen behaupten, sei der eigentliche Grund die schlechte körperliche Verfassung des Champions. Zudem wurde unterdessen bekannt, daß Fury bereits Anfang 2015 unter Dopingverdacht gestanden hatte, weshalb die Klärung dieser Vorwürfe noch für Turbulenzen sorgen dürfte. Jedenfalls wird es frühestens im Herbst zum Rückkampf gegen Klitschko kommen, so daß ein Duell der beiden britischen Weltmeister derzeit Thema mehr ist.

WBC-Champion Deontay Wilder, der Joshuas Auftritt als Analyst eines US-Senders vor Ort verfolgt hatte, zeigte sich an einem Kampf mit dem IBF-Weltmeister interessiert. Sein Promoter Lou Dibella will jedoch mit dieser Option warten, bis sich der Brite einen Namen beim US-Publikum gemacht hat. Joshuas Titelverteidigung gegen Breazeale war der erste von mehreren Auftritten, die Joshua mit dem Sender Showtime vertraglich vereinbart hat, der für die Übertragung in den USA sorgt.

Eine denkbare Möglichkeit wäre der 37jährige Bermane Stiverne, der dem US-Publikum wohlbekannt ist. Allerdings wäre der frühere WBC-Champion eine sehr harte Nuß, da er über ausgezeichnete Nehmerqualitäten verfügt und Chris Arreola zweimal vorzeitig besiegt hat. Stiverne hat zwar den Titel an Wilder verloren, aber erst kürzlich gegen Derric Rossy die Oberhand behalten. Im Unterschied zu Charles Martin und Dominic Breazeale würde der Kanadier nicht nur zurückschlagen, sondern dabei auch eine Wirkung entfalten, die vorerst wohl noch zu gefährlich für den jungen Briten wäre. [1]

Vor heimischem Publikum ist Anthony Joshua angesichts seiner ungebrochenen Siegesserie außerordentlich populär, zumal ihm seine Fangemeinde die Schwäche vieler seiner Gegner nachsieht, solange er sie nur recht bald auf die Bretter schickt. Wenngleich dieser Ablauf längst völlig vorhersehbar geworden ist, wird es die britische Zuschauerschaft nicht müde, ihn ein ums andere Mal auf diese Weise siegen zu sehen. Länger als drei Runden hatte zuvor nur sein Landsmann Dillian Whyte überstanden, der sich dabei zu Joshuas Glück eine Schulterverletzung zuzog, die in der Folge eine Operation erforderlich machte.

Seit seinem Olympiasieg 2012 in London, in dem nicht wenige Experten ein Geschenk an Joshua sahen, hat sich der mit Vorschußlorbeeren überhäufte Brite dank Eddie Hearns sorgsamer Auswahl relativ ungefährlicher Gegner unaufhaltsam seinen Weg an die Spitze gebahnt. Ihm blieb dabei Zeit, sich sukzessive soweit zu verbessern, wie es gerade erforderlich war. Der Titelgewinn kam früher als erwartet, da mit Charles Martin ein vergleichsweise schwacher Weltmeister zur Verfügung stand. Der US-Amerikaner hatte sich den vakanten IBF-Gürtel gesichert, als sein Gegner wegen einer schweren Knieverletzung frühzeitig aufgeben mußte.

Früher oder später stehen Anthony Joshua jedoch größere Anforderungen ins Haus, als er sie bislang zu bewältigen hatte. Da Fury und Klitschko erst im Herbst aufeinandertreffen, während Wilder den WBC-Titel am 16. Juli gegen Chris Arreola verteidigt, trifft der Brite in diesem Jahr absehbar auf keinen anderen Weltmeister, um die Titel zusammenzuführen. Daher spricht einiges dafür, daß Eddie Hearn einen Kampf gegen David Haye ins Auge faßt, der mehrfach großes Interesse daran bekundet hat. Dieses Duell der beiden britischen Schwergewichtler ließe sich ausgezeichnet vermarkten, und da der ehemalige WBA-Weltmeister nach einer Pause von vier Jahren erst wieder dabei ist, mit schnellen Siegen über schwache Gegner Tritt zu fassen, könnte er ein ideales Opfer für Joshua abgeben. Der "Hayemaker" schlägt zwar gewaltige Schwinger, ist aber Joshua körperlich unterlegen und längst nicht mehr in der Verfassung früherer Tage. Im November gegen ihn anzutreten, ehe er womöglich doch noch einmal an die Leistungen auf dem Höhepunkt seiner Karriere anzuknüpfen vermag, könnte für Anthony Joshua eine weitere vorzügliche Gelegenheit sein, sich zu profilieren, ohne ein allzu großes Risiko einzugehen. [2]

Obgleich sich der Brite offensichtlich verbessert hat, bleiben doch einige Schwächen, die er so gut wie möglich beheben muß, um es mit Kontrahenten wie Deontay Wilder oder dem Kubaner Luis Ortiz aufzunehmen. Joshua hat sich einen Muskelpanzer im Schulterbereich zugelegt, den er wohl nie wieder loswird. Er boxt daher steif und relativ statisch, ohne Kopf und Oberkörper zu bewegen, was ihn zu einem leichten Ziel macht. Die Beinarbeit ist kaum der Rede wert, und seine überschaubaren Eins-zwei-Kombinationen reichen zwar völlig aus, um einen langsamen Gegner wie Breazeale zu dominieren, aber eher nicht für einen beweglichen und gefährlich schlagenden Kontrahenten. Hinzu kommen Konditionsprobleme, wie man sie bei einem Akteur seiner überaus muskulösen Statur durchaus erwarten kann, der vom Erscheinungsbild her an einen Bodybuilder erinnert. Zwar kam er gegen Dillian Whyte und Dominic Breazeale jeweils sieben Runden lang klar, doch rang er in beiden Fällen gehörig nach Luft. Das könnte sich rächen, sobald er auf einen hochklassigen Gegner trifft, der ihm alles abverlangt. [3]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/anthony-joshua-vs-dominic-breazeale-results/#more-212555

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/16516942/anthony-joshua-knocks-stubborn-dominic-breazeale-retain-world-title

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/06/just-good-anthony-joshua/#more-212561

26. Juni 2016


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