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PROFI/641: Präzisionsarbeit neutralisiert Außenseiter (SB)



Andre Ward gewinnt jede einzelne Runde gegen Alexander Brand

In einem Kampf des Halbschwergewichts hat Andre Ward vor mehr als 8600 Zuschauern in Oakland den Kolumbianer Alexander Brand einstimmig nach Punkten besiegt und dabei jede einzelne Runde gewonnen (120:108, 120:108, 120:108). Wenngleich die Niederlage des krassen Außenseiters von vornherein feststand, gab der siegreiche Lokalmatador doch eine überzeugende Kostprobe seines außergewöhnlichen Könnens. Während Ward damit in 30 Auftritten ungeschlagen ist, werden für den an Nummer sechs der WBC-Rangliste geführten Brand nun 25 Siege und zwei Niederlagen notiert.

Der 32jährige Kalifornier erinnerte bei seiner dominanten Vorstellung gegen den sieben Jahre älteren Kontrahenten an seine überragende Verfassung beim Gewinn des Super-Six-Turniers, das er als Weltmeister zweier Verbände im Supermittelgewicht und führender Akteur dieses Limits abgeschlossen hatte. Er traf den Gegner immer wieder mit seinem harten Jab, schlug mit der Rechten zum Körper, wechselte in der fünften Runde die Auslage und verwirrte Brand derart, daß dieser Luftlöcher schlug, dabei ins Stolpern geriet und restlos überfordert wirkte. Dabei entfaltete Ward eine beträchtliche Schlagwirkung, die den Kontrahenten nach einem wuchtigen linken Haken im vierten Durchgang veranlaßte, in der Folge weitere schwere Treffer zu vermeiden. Brand legte es nicht mehr darauf an, wenigstens die eine oder andere Runde für sich zu entscheiden, sondern wollte offensichtlich nur noch die restlichen Durchgänge bis zum Ende überstehen. Er wich zurück oder klammerte, so daß Ward keinen Niederschlag herbeiführen konnte. Zudem bestätigte sich seine robuste Konstitution, da er alles wegsteckte, was ihn dennoch traf.

Wenngleich Alexander Brand in diesem Kampf nicht nur körperlich unterlegen war, sondern auch boxerisch in keiner Weise mithalten konnte, ist er deswegen kein Kanonenfutter. Er schlägt mit enormer Wucht und hätte an diesem Abend manchen anderen Kontrahenten auf die Bretter geschickt. Ward wich seinen Schlägen jedoch auf engstem Raum aus und deckte sich ansonsten so undurchdringlich, daß er die Offensive seines Gegner vollständig neutralisierte. Zugleich arbeitete der Favorit beharrlich an einem vorzeitigen Erfolg, der ihm jedoch nicht gelingen wollte. Wenngleich im Vorfeld von einer regelrechten Fehlbesetzung die Rede gewesen war, muß man diese Einschätzung dahingehend revidieren, daß Ward eine glänzende Vorstellung gab, bei der wohl auch die allermeisten anderen Kontrahenten schlecht ausgesehen hätten.

Laut der Statistik von CompuBox hatte Ward 190 von 490 Schlägen ins Ziel gebracht (39 Prozent), während Brand lediglich 45 Treffer bei 285 Versuchen gelangen (16 Prozent). Diese ungewöhnlich schlechte Ausbeute des Außenseiters hing nicht zuletzt damit zusammen, daß er häufig wild um sich schlug, um seinen Gegner fernzuhalten, nicht aber um zu treffen. In der zweiten und vierten Runde erzielte er lediglich zwei Treffer, in der elften sogar nur einen. Auch diese Zahlen unterstreichen die absolute Überlegenheit des Lokalmatadors.

Wie Andre Ward hinterher erklärte, sei dieser Gegner sehr schwer auf die Bretter zu schicken. Beschließe ein erfahrener Boxer wie der Kolumbianer, dies um jeden Preis zu vermeiden, komme man kaum noch in einer günstigen Konstellation an ihn heran. Dabei habe er durchaus versucht, Brand unter Druck zu setzen, und auf diese Weise alle Runden gewonnen, ohne freilich den erhofften Niederschlag herbeizuführen. Der Außenseiter hatte sich in der Tat in seiner unbedingten Defensive als ein sehr gewitzter Boxer erwiesen, da er kaum jemals denselben Fehler zweimal machte. Hatte ihn Ward getroffen, wechselte er sofort seine Bewegungsweise, lehnte sich weit zurück oder schlug aus ungewöhnlichen Vektoren. Auf diese Weise vermied er es, Zug um Zug in die Enge getrieben und gestellt zu werden.

Hatte Ward schon im Supermittelgewicht enorme Probleme gehabt, überhaupt einen angemessenen Gegner zu finden, so scheint sich das tendenziell auch im Halbschwergewicht fortzusetzen. Dem Vernehmen nach hatten drei andere Kandidaten abgewunken, so daß man schließlich auf Alexander Brand verfallen war. Allerdings war dessen Börse von 30.000 Dollar gegenüber den 850.000 Dollar für Ward derart gering, daß Spekulationen die Runde machten, die Absagen könnten in erster Linie auf den Geiz des Promoters Roc Nation Sports zurückzuführen sein. Ob Brand diese geringen Einkünfte zu einem zurückhaltenden Auftritt bewogen haben, weiß man natürlich nicht. Wenn der Kolumbianer seinen Promoter, den Trainer, die Betreuer, alle sonstigen Unkosten und schließlich die Steuern bezahlt hat, bleibt ihm kaum etwas von seiner Börse übrig. Weniger als er dürfte kein anderer Boxer verdient haben, der jemals im Hauptkampf einer von HBO übertragenen Veranstaltung aufgetreten ist. [1]

Mit seinem Erfolg hat Andre Ward den Weg für den Prestigekampf gegen Sergej Kowaljow am 19. November freigemacht, der aller Voraussicht nach in der T-Mobile Arena in Las Vegas ausgetragen wird. Der 33 Jahre alte Russe hatte bereits am 11. Juli seinerseits die Weichen gestellt, als er sich in Ekaterinburg bei seiner achten erfolgreichen Titelverteidigung einstimmig nach Punkten gegen Isaac Chilemba durchsetzte. Man sprach damals von einer vergleichsweise schwachen Vorstellung des ungeschlagenen Weltmeisters, für den 30 Siege sowie ein Unentschieden zu Buche standen. Allerdings hatte er es mit einem hervorragenden Herausforderer zu tun, der einen Niederschlag überstand und heftige Gegenwehr leistete.

Kowaljow, der den Auftritt seines Rivalen in der Oracle Arena als aufmerksamer Beobachter verfolgt hatte, stieg hinterher zu Ward in den Ring, um ihm zu gratulieren. Dann kündigten die beiden im Interview mit Max Kellerman von HBO offiziell ihren Kampf im November an. Wie Ward dazu erklärte, freue er sich sehr auf diese Gelegenheit, Kowaljow im Spätherbst wiederzusehen und unangefochtener Champion im Halbschwergewicht zu werden. Auch der Russe versicherte, daß er uneingeschränkt bereit für ihr Duell sei, dem er guten Mutes entgegensehe.

Ward hatte sich vor dem Kampf gegen Brand aller Äußerungen zu Kowaljow enthalten und durchweg betont, daß er sich stets auf den nächsten Gegner konzentriere und niemanden unterschätze. Nun sprach er voller Respekt von dem Russen, was in einer Szene ungewöhnlich ist, in der oftmals ein rüder und verächtlicher Ton vorherrscht, der auf die Überhöhung des eigenen Könnens und die Herabwürdigung des kommenden Kontrahenten abzielt. Wie Andre Ward demgegenüber anmahnte, verdiene Kowaljow höchsten Respekt, wenn man berücksichtige, wie der Weltmeister in seine Position gelangt sei. Weder habe er Protektion erfahren noch hätten ihm die Medien einen Schub verliehen. Der Russe sei ein Champion, der noch immer unter Wert gehandelt werde. Wer den Kampf im November gewinne, habe wohl Anspruch darauf, als bester Boxer aller Gewichtsklassen gewürdigt zu werden. [2]

Sergej Kowaljow ist Weltmeister der WBA, WBO und IBF im Halbschwergewicht und wird derzeit als führender Akteur dieses Limits angesehen. Letzteres galt früher für Ward im Supermittelgewicht und würde sich auch in der höheren Gewichtsklasse fortsetzen, sollte er gegen den Russen die Oberhand behalten. Beide gehören zweifellos zum engsten Kreis der Kandidaten, wenn es um die beliebte Frage geht, wer nach Floyd Mayweathers Abschied an der Spitze der Branche stehe. Experten räumen diesen Rang allerdings Roman Gonzalez aus Nicaragua ein, dem in 45 Kämpfen ungeschlagene WBC-Champion im Fliegengewicht, gefolgt von dem Mittelgewichtler Gennadi Golowkin, der in 36 Kämpfen unbesiegt ist. Der 34jährige Kasache hat 16 Titelverteidigungen erfolgreich absolviert und insbesondere 22 vorzeitige Siege in Folge eingefahren. Er mußte 2008 zum letzten Mal über die volle Distanz gehen, um sich durchzusetzen. Zu nennen ist natürlich auch Saul "Canelo" Alvarez im Mittel- oder Halbmittelgewicht, den sein Promoter Golden Boy mit aller Macht ganz nach vorn zu schieben versucht.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/08/ward-dominates-brand/#more-214596

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17236127/andre-ward-defeats-alexander-brand-unanimous-decision-tune-sergey-kovalev

7. August 2016


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