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PROFI/646: Siegespokal mit Wermutstropfen (SB)



Saul "Canelo" Alvarez hat allzu leichtes Spiel mit Liam Smith

Saul "Canelo" Alvarez ist neuer WBO-Weltmeister im Halbmittelgewicht. Vor 51.240 Zuschauern im AT&T Stadium in Arlington, Texas, dominierte er wie erwartet den überforderten Briten Liam Smith, der ihm körperlich und boxerisch klar unterlegen war. Wie immer in seinen Kämpfen hatte der Mexikaner nach dem offiziellen Wiegen derart viel Gewicht zugelegt, daß ihm der Titelverteidiger kaum etwas anhaben konnte. Zudem boxte der Brite zu langsam und zu verhalten, als daß er "Canelo" in Bedrängnis gebracht oder konditionell erschöpft hätte. So konnte der 26jährige Alvarez fast nach Belieben seine Schläge zu Kopf und Körper variieren, die seinen zwei Jahre älteren Gegner von Beginn an ins Hintertreffen brachten und zunehmend in Mitleidenschaft zogen.

Nach Niederschlägen in der siebten, achten und zuletzt in der neunten Runde endete der ungleiche Kampf vorzeitig, als Smith infolge eines schweren Körpertreffers zu Boden ging. Alvarez ist damit wieder Weltmeister in seiner früheren Gewichtsklasse, in der er Champion zweier Verbände gewesen war. Der wegen seiner rötlichen Haarfarbe "Canelo" (Zimt) genannte Mexikaner baute seine Bilanz auf 48 Siege, eine Niederlage sowie ein Unentschieden aus. Der zuvor unbezwungene Brite mußte sich nach 23 Erfolgen und einem unentschieden beendeten Auftritt erstmals geschlagen geben.

In dem vom Sender HBO im Pay-TV übertragenen Kampf stand Liam Smith bei seiner dritten Titelverteidigung und dem Debüt in den USA im Grunde von Beginn an auf verlorenem Posten. Alvarez schlug schnelle Jabs und bearbeitete den Körper des Briten, ohne nennenswerte Treffer einstecken zu müssen. Sofern der Titelverteidiger inmitten der Kombinationen des Favouriten doch einmal einen Schlag durchbrachte, fehlte es ihm schlichtweg an Wirkung. Von der fünfte Runde an war Smith von einer Rißwunde neben dem rechten Auge gezeichnet, die sich in der Folge verschlimmerte.

Der Brite hielt dennoch tapfer mit und kam nach dem ersten Niederschlag rasch wieder auf die Beine, mußte aber weitere Treffer einstecken. Nach einem linken Haken zum Körper gegen Ende der achten Runde ging Smith erneut zu Boden, steckte aber noch immer nicht auf. Erst in der neunten Runde zwang ihn ein weiterer Körpertreffer endgültig auf die Matte, wo er von Ringrichter Luis Pabon nach 2:28 Minuten des Durchgangs ausgezählt wurde. [1]

Liam Smith, der zuvor acht Gegner in Folge vorzeitig besiegt hatte, räumte nach seiner Niederlage unumwunden ein, daß sein Gegner zu gut und er selber zu langsam gewesen sei. Er habe kaum klare Treffer erzielt, da sein Timing zu schlecht gewesen sei. So habe er insbesondere nicht genug Schläge zum Körper durchgebracht, und die wenigen erfolgreichen habe Alvarez problemlos weggesteckt. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, noch einige Zeit Erfahrungen zu sammeln, um es erst dann mit einem Gegner dieses Kalibers aufzunehmen.

"Canelo" ließ sich von seiner euphorischen Fangemeinde feiern und rief ihr zu, er habe Wort gehalten und sei auf überzeugende Weise wieder Weltmeister geworden. Leider habe er sich in der zweiten Runde an der rechten Hand verletzt und deswegen viel häufiger mit der linken geschlagen. Liam Smith sei ein zäher und mutiger Kämpfer, der sich gut decke und seine Angriffe nicht überstürzt ausführe. Deshalb er ihn systematisch mit Körpertreffern geschwächt und schließlich auf diese Weise besiegt.

Daß Promoter Oscar de la Hoya seinem prominentesten Akteur einen handhabbaren Gegner beschafft hatte, war schon im Vorfeld kein Geheimnis. Smith konnte sich 2015 durch einen Sieg über John Thompson den Gürtel sichern und hatte den Titel gegen Jimmy Kelly und Predrag Radosevic verteidigt. Er ist selbst in England kein großer Star und war in den USA gänzlich unbekannt. Auf diese Weise gingen "Canelo" und die Golden Boy Promotions stärkeren Akteuren im Halbmittelgewicht wie Jermall und Jermell Charlo oder Erislandy Lara aus dem Weg. [2]

Ob dieses Ausweichmanöver in finanzieller Hinsicht erfolgreich war, wird sich erweisen, sobald die Zahlen des Bezahlfernsehens vorliegen, das den Löwenanteil zum Umsatz beisteuert. Termin und Veranstaltungsort waren insofern optimal, als der bei seinen Landsleuten höchst populäre "Canelo" am Wochenende des mexikanischen Unabhängigkeitstages in der Arena der Dallas Cowboys auftrat, wo ihm eine riesige Kulisse sicher war.

Was jedoch die Zuschauerschaft im allgemeinen betrifft, herrscht eher Enttäuschung vor, daß Saul Alvarez nicht gegen Gennadi Golowkin angetreten ist. Nach seinem Sieg über Amir Khan im Mai hatte "Canelo" versichert, er fürchte niemanden und wünsche sich den Kasachen als nächsten Gegner. Und Oscar de Hoya kündigte damals vor versammelter Presse an, er werde sofort Golowkins Promoter Tom Loeffler anrufen, um ihm ein Angebot zu machen. Welch abermalige Farce diese Ausflüchte waren, zeigte sich wenig später, als Alvarez den WBC-Titel niederlegte, um nicht gegen den Pflichtherausforderer Golowkin antreten zu müssen.

Saul Alvarez wird am 10. Dezember wahrscheinlich im Madison Square Garden seinen nächsten Auftritt geben, der angeblich im Mittelgewicht stattfinden soll. Er setze volles Vertrauen in seinen Promoter und sei der weltbeste Boxer, auch wenn das vielen Leuten nicht gefalle, rühmte sich "Canelo" einer Ausnahmestellung, die ihm schlichtweg nicht zusteht, solange er die gefährlichsten Gegner meidet und sich in seinen Kämpfen durchweg klare Gewichtsvorteile verschafft. Da er noch relativ jung ist, gelingt es ihm bislang ohne ersichtliche Schadensfolgen, vor dem Wiegen genügend abzukochen und hinterher extrem zu rehydrieren.

Da er bei seinen Auftritten deutlich über dem Mittelgewicht liegen dürfte, ist die Ausrede lächerlich, er sei bislang ein natürlicher Halbmittelgewichtler und werde erst dann gegen Golowkin antreten, wenn er in dieses höhere Limit körperlich hineingewachsen sei. Oscar de la Hoya will sein Zugpferd nicht vor den Bus werfen und schiebt den seit langem geforderten Kampf Zug um Zug hinaus. Gennadi Golowkin sah bei seinem Sieg über den Briten Kell Brook in London leichter als Saul Alvarez in Arlington aus, wobei das Team des Mexikaners aus naheliegenden Gründen Stillschweigen wahrt, was dessen tatsächliches Kampfgewicht angeht.

Unterdessen kündigt sich das nächste durchsichtige Ablenkungsmanöver an. Oscar de la Hoya hat Golowkin angeblich eine Börse angeboten oder will dies einer anderen Version zufolge erst noch tun, die doppelt so hoch wie die bislang lukrativsten Einkünfte des Kasachen ist. Dann werde man ja sehen, ob dieser wirklich bereit sei, sich mit "Canelo" zu messen. Der Pferdefuß dieser Offerte liegt auf der Hand: Golowkin würde zwar mehr als bislang verdienen, jedoch nur einen Bruchteil der enormen Summe bekommen, die dieser spektakuläre Kampf zu generieren verspricht. Im Grunde kann das Lager des Kasachen ein solches Angebot nicht akzeptieren, will es sich nicht in finanzieller Hinsicht über den Tisch ziehen lassen. Daraus wird man im Team des Mexikaners den unzulässigen Schluß ziehen, daß Golowkin abgesagt habe, weil er Alvarez fürchte, und den Schwarzen Peter in dieser endlosen Kontroverse in Händen halte.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17575307/canelo-alvarez-defeats-liam-smith-ninth-round-knockout-att-stadium

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/09/saul-canelo-alvarez-vs-liam-smith-results/#more-217549

18. September 2016


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