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KOMMENTAR/020: WADA-Code 2009 - Kriegserklärung an die Athleten (SB)



Wenn der Leistungs- und Spitzensport, wie seine Funktionsträger oft und gerne behaupten, ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann müßte jedem Bürger, dem etwas an seiner Freiheit liegt, angst und bange werden angesichts der alptraumhaften Entwicklung, die der organisierte Sport, und zwar mit voller Rückendeckung der gesellschaftlichen Eliten in Politik, Wissenschaft, Medizin und Rechtsprechung, nimmt.

Ähnlich wie die Inquisition im Mittelalter felsenfest davon überzeugt war, bei der Verfolgung und Drangsalierung von Häretikern, Ketzern und Hexen alles richtig und rechtens zu machen, sind auch die Funktionsträger des repressiven Anti-Doping-Kampfes, der die Rechte der Athleten Zug um Zug einschränkt und in geradezu perpetuierender Weise immer mehr und neuartigere Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen gebiert, von ihrer heiligen Mission "sauberer Sport" überzeugt. Von daher sollte es die Athleten, denen aus eigener Betroffenheit langsam zu dämmern beginnt, daß der seit dem 1. Januar 2009 gültige Code der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) nicht nur in massiver Weise ihre Grundrechte verletzt, sondern ein in der Geschichte des Sports beispielloses Überwachungsregime aus der Taufe hebt, nicht wundern, wenn ihre Kritik bei den WADA-Funktionären auf taube Ohren stößt. Dasselbe gilt für die Anti-Doping-Journaille, die bekanntermaßen zwischen Skandal- und Polizeiberichterstattung schwankt und lieber nach Kontroll-Lücken fahndet, als sich der Nöte der Athleten auf eine Weise anzunehmen, die nicht in der Perfektionierung repressiver Verhältnisse resultiert.

Indes, was sich jetzt angesichts des aufkeimenden Widerstands von Athleten gegen den WADA-Code vor aller Augen und Ohren abspielt, ist das ewig gleiche Spiel sozialer Beschwichtigung und Widerspruchsregulation, wie es für eine "offene Gesellschaft", die sich längst auf dem Abweg einer auf Verdachts- und Präventionsbasis präjudizierenden Überwachungsgesellschaft befindet, typisch ist. Nachdem das Willkürkonstrukt des Doping-Legalismus' in der Öffentlichkeit nicht mehr kritisch hinterfragt wird, haben es die politischen Sachwalter und Definitionsmächte des organisierten Sports leicht, die Athleten am Schopf ihrer grundsätzlichen Bereitschaft zu packen, sich von fremden Instanzen nach Bedarf kontrollieren und sanktionieren zu lassen. "Der Zweck ist positiv. Aber es wird teilweise massiv ins Privatleben eingegriffen", brachte Fußballstar Michael Ballack die Ambivalenzhaltung so vieler Sportler, die sich zwar gegen das neue Meldesystem der WADA auflehnen, aber dennoch die Notwendigkeit umfassender Kontrollauflagen zu erkennen vermeinen, auf den Punkt. Eines Meldesystems, das der Vorsitzende der Medizinischen Kommission des Fußball-Weltverbandes (Fifa), Michel D'Hooge, in einem AP-Interview nicht von ungefähr mit der "Inquisition" verglich - wohlgemerkt ohne die totalitäre Programmatik des Anti-Doping-Kampfes in der Medienöffentlichkeit beim Namen zu nennen. Denn ansonsten liefe auch er Gefahr, mit der Teilhaberschaft seines eigenen Berufsstandes an den inquisitorischen Verhältnissen in einen unversöhnlichen Konflikt zu geraten, der auf ordnungs- und gesellschaftspolitischer Ebene längst zu Lasten des unter Generalverdacht gestellten Athleten - und damit aller Bürger - entschieden wurde.

Auch UEFA-Präsident Michel Platini sprach sich zwar nach außen hin "komplett gegen die Idee" aus, daß Fußballer 365 Tage im Jahr für Doping-Tests zur Verfügung stehen müßten. Doch schaut man sich seine Aussagen genauer an, dann hält er es durchaus für akzeptabel, wenn die Profi-Kicker totalüberwacht werden - nur eben nicht im Urlaub.

Seit Anfang des Jahres sind auch die Fußballer, die dem A-Kader ihres Landes angehören, gezwungen, per Internet-Meldesystem drei Monate im voraus bei den Nationalen Anti-Doping-Agenturen ihren Aufenthaltsort für jeden Tag anzugeben. Die stundengenaue Angabe, die praktisch einem Hausarrest gleichkommt (*), bleibt ihnen erspart, was durchaus ein kluger Schachzug der WADA war, denn dieses Schein-Privileg führt dazu, daß sich die mächtige Fußballobby, die die Kommunikationshoheit in der Sportmedienwelt innehat, mit scharfer Kritik an der Ein-Stunden-Regel zurückhält, weil die Stars davon ja (noch) nicht betroffen sind.

Anders beispielsweise die Leichtathleten. "Es ist eine dramatische Einschränkung der persönlichen Freiheit", sagte Stabhochspringer Danny Ecker, der zu den derzeit rund 500 deutschen Spitzensportlern gehört, die für jeden Tag eine Stunde festlegen müssen, während der sie für Tests zur Verfügung stehen, gegenüber dpa. "Man fühlt sich wie ein Krimineller, der auf Bewährung auf freiem Fuß ist." Der Leverkusener schrieb seine Kritik in einer Mail an den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), wo er sicherlich an der falschen Adresse ist. Der dortige Präsident Dr. Clemens Prokop, Amtsgerichtsdirektor in Kelheim, zählt nämlich - übrigens wie sein früherer Doktorvater Prof. Ulrich Haas, der den neuen WADA-Code mit ausgearbeitet hat - zu den maßgeblichen Wegbereitern sportrechtlich abgesicherter Anti-Doping-Hatz. Auch denkt Ecker bislang lediglich über eine konzertierte Aktion gegen das sogenannte ADAMS 2.0, das "Anti-Doping Administration & Management System" der WADA, in das die Athleten u.a. ihre Aufenthaltsorte ("Whereabouts") permanent einpflegen müssen, nach. Dem Beispiel von 65 Sportlern aus Belgien, die gemeinschaftlich gegen das WADA-Anmeldesystem klagen, weil es gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Schutz der Privatsphäre verstoße, wollen die deutschen Leichtathleten jedenfalls nicht folgen.

An die Schaltstellen der Macht kann Ecker seine Protestmail ebenfalls nicht schicken, denn entgegen der offiziell verbreiteten Legende, wonach die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) lange gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Innenministerium (BMI) gegen die Einführung der Ein-Stunden-Regel gekämpft hätte (Spiegel-online), haben die Verantwortlichen auf ihren PR-Kanälen keinesfalls auch nur annähernd so kräftig gegen die neue Regel Sturm geblasen, wie sie ansonsten für einen "sauberen Sport" ins Horn zu stoßen pflegen.

Man muß schon genau hinhören, was die vermeintlichen Kritiker des WADA Codes tatsächlich sagen. So reagierte DLV-Chefbundestrainer Herbert Czingon auf die Mail von Danny Ecker mit "absolutem Verständnis". "Was wir unseren Athleten zumuten, ist für sie eine ungeheure Einschränkung der Lebensqualität", sagte Czingon in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau (11.2.09), und er bestätigte, daß der Ecker-Vorstoß keineswegs ein Einzelfall sei: "Ich kenne kaum einen Athleten, der dies nicht auch so sieht." Interessant ist aber, was der Cheftrainer laut FR noch sagte: Er habe etwas Furcht, daß da "ein Zorn aufkommt, der nicht zu bändigen" sei. "Das ist gefährlich, weil die Regel Fakt ist und in Deutschland viel Wert darauf gelegt wird, ein gutes Kontrollsystem zu haben."

Zorn ist gut, doch entschiedene und grundlegende Kritik, die sich nicht von den bekannten Totschlagargumenten ("Wer nichts zu verbergen hat...", "Wollt ihr Betrüger?", "Wollt ihr Sport ohne Regeln? etc.) und Dilemma-Vorhalten ("Der saubere Sport ist notwendig, aber er fordert auch Opfer an persönlicher Freiheit" etc.) bändigen oder einwickeln läßt, ist besser! Hier handelt es sich beileibe nicht mehr um Spaß, Spiel oder Sport, sondern um einen Frontalangriff auf die "persönliche Freiheit", wie die Degenfechterin Imke Duplitzer im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" bemerkte. Für sie komme der WADA-Erlaß einer Kriegserklärung gleich.

Die Chance, daß das WADA-Meldesystem juristisch gekippt wird, schätzt der Münchner Sportrechtsexperte Dirk-Reiner Martens laut SZ (10.2.09) als nicht groß ein. Wie so viele Anti-Doping-Hardliner hoffen auch die juristischen Ziehväter des WADA-Codes darauf, daß die Athletenproteste im Sande verlaufen und sich die Sportler - wie so oft - an die neuen Regeln gewöhnen. Der Rechtsprofessor Ulrich Haas, der die Klage der belgischen Sportler für überzogen hält, laut Spiegel-Online-Bericht (9.2.09) allerdings einräumt, daß da "Pulver drin" liege, würden die Sportler vor den Gerichten ihres Landes recht bekommen, scheint sich der langsam mahlenden Mühlen seines Berufsstandes gewiß zu sein. Der Klageweg durch die Instanzen, so glaubt Haas nach Spiegel-Angaben, dürfte sechs bis acht Jahre dauern.

Die deutsche Basketball-Spielervereinigung SP.IN hat unterdessen beim Datenschutzbeauftragten in Bonn wegen der umstrittenen neuen Meldebestimmungen der WADA Beschwerde eingereicht. Auch hegt sie ernsthafte Bedenken bezüglich der Art und Weise, wie WADA bzw. NADA die persönlichen Daten der Sportler behandeln. Dies entspreche nicht den nationalen und europäischen Datenschutzgesetzen. "Die EU-Arbeitsgruppe für Datenschutz hat infrage gestellt, ob die Einverständniserklärungen zur Nutzung der persönlichen Daten, die Athleten gegenüber der WADA abgeben, rechtsverbindlich sind, da dies nicht freiwillig, sondern unter der Androhung von Sanktionen geschieht", erklärte SP.IN-Rechtsanwalt Jürgen Leister weiter.

Aus dem Umstand, daß die Europäische Kommission jetzt den WADA-Code daraufhin untersucht, ob er sich mit den Bürgerrechten und dem Arbeitsrecht der EU verträgt, schließt die niederländische Europaabgeordnete Emine Bozkurt (*), "daß der Code nicht mit dem EU-Recht übereinstimmt, sonst würde es keine Untersuchung geben". Nach Angaben des Deutschlandfunks (22.2.09) sieht die Europapolitikerin auch auf nationaler politischer Ebene Unterstützung für ihren Kampf. Es sei interessant, daß "die niederländische Sportministerin beim letzten Treffen der europäischen Sportminister klar gesagt hat, daß der Welt-Anti-Doping-Code gegen EU-Recht verstößt. Und sie hat die europäischen Sportorganisationen und -verbände aufgerufen, dem neuen Code nicht zu folgen."

Ob das aber ausreicht, die WADA-Verantwortlichen, die ja längst durch die bloße Existenz des WADA-Codes vollendete Tatsachen geschaffen haben und sich breiter politischer Rückendeckung erfreuen, in Bedrängnis zu bringen? Spricht es nicht eine deutliche Sprache, daß jetzt Befürchtungen von Athleten, es werde bald die elektronische Fußfessel kommen, in der Presse lächerlich gemacht werden? Daß konformistischen Athleten wie der Mountainbikerin Sabine Spitz, die seit jeher den Sicherheitspolitikern aus dem Gebetsbuch spricht ("Wer nichts zu vertuschen hat, läßt sich uneingeschränkt kontrollieren."), die Bühne bereitet wird? Daß Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals höchstpersönlich die Arbeit der NADA über den grünen Klee lobte, ohne mit einen Wort auf die Athleten-Proteste einzugehen? Und last but not least die WADA-Verantwortlichen durch Europa tingeln, um die Wut der Sportler mit Aussagen, die einer Verhöhnung der Athletenkritik gleichkommen, zu beschwichtigen?

Für wie blöd hält die "Inquisition" eigentlich die Sportler, wenn sie die Preisgabe der Privatsphäre durch das WADA-Meldesystem auf eine Stufe stellt mit den Athleten-Internetseiten oder der Registrierung z.B. bei Facebook? Glaubt der WADA-Generaldirektor David Howman, der in einem Interview des Tagesspiegel (22.2.09) selbstgefällig resümierte, "wenn man das alles berücksichtigt, muss man sagen, dass wir noch keine Grenze überschritten haben", ernstlich, daß die Athleten nicht Zwang und Freiwilligkeit unterscheiden könnten? Und sollten sich die Sportler glücklich darüber schätzen, daß solch ein Gutmensch wie Howman den Vorschlag von Athleten, sich einen Ortungschip in den Körper einzupflanzen, mit den Worten ablehnt, "das wäre ein noch ein viel tieferer Eingriff in die Privatsphäre als die Regel, die wir haben"? Nachsatz des Juristen: "Aber wir sind immer offen für Vorschläge." Wollen die Athleten wirklich das Werk ihrer Peiniger betreiben?

(*) Siehe auch Schattenblick-KOMMENTAR/015: WADA-Code 2009 stellt Spitzensportler unter Hausarrest (SB)

27. Februar 2009