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KOMMENTAR/028: Käuflicher Handballsport - Feigenblatt Korruptionsbekämpfung (SB)



Nicht nur wegen der Polizeistaatsmethoden, auf deren wirkungsvolle Umsetzung der "saubere Sport" im Bereich der repressiven Dopingbekämpfung zielsicher zusteuert, steht der Leistungs- und Spitzensport in der Kritik. Auch die sich häufenden Korruptions-, Bestechungs- oder Manipulationsskandale im Bereich des Funktionärs- und Schiedsrichterwesens lassen erkennen, daß es mit der bürgerlichen Moral nur so weit her ist, wie sich ihre Verfechter beim gegenteiligen Tun nicht erwischen lassen. Nur um ein aktuelles Beispiel aufzunehmen: Scheibchenweise erfolgt gerade die Demontage des sportlich erfolgreichsten (= reichsten) deutschen Handballklubs "THW Kiel GmbH & Co KG", den die notorischen Schönschreiber des Gewerbes bis vor kurzem noch als Vorreiter und leuchtendes Vorbild für die kommerzielle und professionelle Entwicklung der Liga gepriesen hatten. Die jahrelangen Erfolgsgaranten des THW, Manager Uwe Schwenker und Trainer "Noka" Serdarusic, sowie weitere Wirtschafts-Eminenzen im Hintergrund, die zum Teil auch die Handballpresse kontrollieren (Großsponsor und Hallenbesitzer "Kieler Nachrichten" hat vergangenes Jahr zusammen mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag ("Flensburger Tagblatt") die Fachzeitschrift "Handballwoche" übernommen), waren offenbar an weitreichenden Schiedsrichtermanipulationen direkt oder indirekt beteiligt oder verfügten über ein entsprechendes Wissen darüber. Die sporthoheitlichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen befinden sich derweil noch in der Schwebe, werden aber wohl nur die berühmte Spitze des Eisbergs sichtbar machen.

Zudem stehen internationale Handball-Schiedsrichter unter dringendem Verdacht, Spiele für Alkohol, Essen, Frauen oder Geld - "je nachdem, wie empfänglich der Schiedsrichter für solche Geschenke oder zuvorkommende Behandlungen ist", wie der ehemalige Schweizer Referee Michel Falcone im NDR-Fernsehen offenbarte - verschoben zu haben. Erfolgstrainer Serdarusic soll gegenüber einem Sponsor des Konkurrenzvereins Rhein-Neckar Löwen, wo er ein später wieder aufgelöstes Engagement einging, u.a. ausgeplaudert haben, daß 22 von 25 internationalen Schiedsrichterpaaren käuflich seien.

Daß sich der Deutsche Handballbund (DHB) trotz der schwersten Krise des professionellen Handballsports auffällig still verhält, hat u.a. seinen Grund darin, daß er vergangenes Jahr selbst wegen massiver Korruptionsvorwürfe rund um die WM-Bewerbung für das Jahr 2005 in die Schlagzeilen geriet. Präsident Ulrich Strombach war auf dem Ordentlichen Bundestag trotz des frappierenden Umstandes wiedergewählt worden, daß er und seine Stellvertreter Bredemeier und Gremmel dem russischen Handball-Verband 50.000 US-Dollar für den Rückzug seiner WM-Bewerbung versprochen hatte, die dann auch über ein Dreiecksgeschäft mit dem Handball-Weltverband (IHF) in Raten beglichen wurden. Der Chef des Weltverbandes Hassan Moustapha wiederum stand und steht selbst schwer unter Beschuß wegen diverser Machenschaften, u.a. wegen des Manipulationsskandals im japanischen Toyota im September 2007, als er eigenhändig die deutschen Schiedsrichter Lemme/Ullrich, die im Rahmen der Olympiaqualifikation die Partie zwischen Kuwait und Südkorea ursprünglich leiten sollten, absetzte. Ein jordanisches Schiedsrichtergespann pfiff daraufhin mit 38 lupenreinen Fehlentscheidungen den 28:20-Sieg Kuwaits herbei. Die Manipulation war so offenkundig, daß erstmals in der olympischen Geschichte die asiatische Olympia-Qualifikation der Männer wiederholt werden mußte.

Auch das bis vor kurzem noch angesehenste deutsche Schiedsrichterpaar Frank Lemme und Bernd Ullrich, die nach dem Final-Rückspiel im Europacup der Pokalsieger 2006 zwischen Medwedi Tschechow und BM Valladolid am russischen Flughafen mit 50.000 Dollar im Gepäck erwischt worden waren, nachdem es im Vorfeld der Partie bereits einen Bestechungsversuch gegeben haben soll, den Lemme/Ullrich nicht bei der Europäischen Handball-Föderation (aus Furcht vor unangenehmen Konsequenzen) angezeigt hatten, wirft auf die Schiedsrichtergilde kein gutes Licht. Selbst wenn es stimmen sollte, wie die Magdeburger behaupten, daß ihnen das Geld - möglicherweise von einem konkurrierenden Hallenbetreiber, der dem Handball schaden wollte - untergeschoben wurde, so verweisen weitere ruchbar gewordene Fälle von versuchter Spielemanipulationen im europäischen Handball darauf, daß ein manipulations- und korruptionsfreier Wettkampfsport auf Funktionärs- und Schiedsrichterebene ein ebensolches Phantasma darstellt wie ein "dopingfreier" auf seiten der Spieler und Athleten.

Wollte man nun, ganz im Stile des repressiven Anti-Doping-Kampfes, den Funktionseliten des organisierten Sports mit der gleichen Knute wie den Athleten zu Leibe rücken, dann wäre es nur "gerecht", ein Überwachungsregime zu errichten, das Spitzenfunktionäre 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr unter totale Rechenschaftspflicht setzt. Wer mit verdächtigen Geldsummen oder Aktenvermerken hantiert, die er den auch zur Nachtzeit anrückenden Kontrolleuren (Wirtschaftsprüfern) nicht augenblicklich testieren kann, wird mit langjährigem Berufsverbot belegt. Wer zwar alles ordnungsgemäß testieren könnte, aber nicht zur festgelegten Zeit an einem bestimmten Ort angetroffen wird, wird ebenfalls sanktioniert ("Where-about-Regel"). Top-Managern, -Funktionären oder -Schiedsrichtern, die auf einer Privatsphäre beharren oder eine Urlaubszeit für sich in Anspruch nehmen, die sie unbehelligt von Kontrollen mit ihren Familien verbringen möchten, wird unterstellt, Lücken auszunutzen und damit den Anti-Korruptions-Kampf zu torpedieren...

Dieses fiktive Szenario mag sich vielleicht albern oder überzogen anhören, doch für die Top-Athleten, die mit ähnlichen Rechtfertigungsmustern an die Kandare gelegt werden, ist das bittere Realität. Selbst im Grundgesetz verankerte Rechte wie die "freie Entfaltung der Persönlichkeit" und der sich daraus ableitende Schutz der Privat- und Intimssphäre werden zur Marginalie, wenn die Anti-Doping-Inquisition auf den Tisch haut und ihre funktionalistische, systemerhaltende Moral ins Feld führt. Diese ist wiederum das Ergebnis einer staatlichen Spitzensportförderung, die den "autonomen Sport" über die goldenen Zügel der Finanzen zu einem "glaubwürdigen", d.h. progressiv-repressiven, Anti-Doping-Kampf zwingt. Gleichzeitig verfolgt der Staat unverhohlen Medaillenziele, die das Bundesinnenministerium in inhaltlich geheimgehaltenen Zielvereinbarungen mit dem DOSB sowie den olympischen Sportfachverbänden festlegt.

Als Mittler staatsautoritärer und systemstabilisierender Interessen können darum die Funktionseliten des Sports wegen etwaiger Korruptions- und Manipulationsvorwürfe auch niemals so hart angefaßt werden wie die Sportler und Spieler, die im verschleißträchtigen Hochleistungssport eher austauschbare denn systemerhaltene Funktionen innehaben.

Dies steht keinesfalls im Widerspruch zu gesellschaftlichen Entwicklungen, verstärkt gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität vorzugehen. Beispielhaft sei hier die Nichtregierungsorganisation "Transparency International" (TI) genannt, die zur Legitimierung der kapitalistischen Marktwirtschaft eine wichtige Feigenblattfunktion erfüllt. Als der professionelle Handballsport zum Dauerbrenner in den Schlagzeilen wurde, brachte sich bald schon Sylvia Schenk, Vorsitzende von TI Deutschland, ins Gespräch. Die frühere Radsportpräsidentin und glühende Anti-Doping-Kämpferin bot dem Handball Beratung und Hilfestellung bei strukturellen Fragen durch ihre Anti-Korruptionsorganisation an. "Wir können einen Katalog für Mindestmaßnahmen zur Prävention von Korruption im Sport zur Hand geben. Dieser muss aber auf die konkrete Situation des jeweiligen Sportverbandes heruntergebrochen werden", sagte Schenk, auf deren Dienste der Deutsche Handball-Bund oder gar der THW Kiel momentan sicherlich verzichten werden.

Der insgeheime Zweck dieser modernen Moralinstitution besteht darin, niemals grundsätzlich das ausbeuterische System von Sport und Wirtschaft in Frage zu stellen, sondern auf dem Wege konsensualer Politik Koalitionen zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaften zu bilden, die bestens geeignet sind, die fundamentalen gesellschaftlichen Widersprüche bis zur Unkenntlichkeit zu vernebeln und durch herrschaftskonforme Benimmregeln zu ersetzen. Bezeichnenderweise finanziert sich TI Deutschland laut Spiegel-Angaben zu mehr als einem Drittel aus Spendeneinnahmen von Unternehmen. Viele Großkonzerne haben nämlich längst die Möglichkeit erkannt, sich durch die Mitgliedschaft bei TI, welche mit strengen Verhaltensauflagen verbunden ist, das Gütesiegel einer "sauberen" Unternehmensführung zu erwerben. Diesen Mechanismus wußte übrigens auch der Deutsche Telekom-Konzern im Radsport für sich auszunutzen, der den offiziellen Anti-Doping-Kampf finanziell unterstützte, bis die Herde der schwarzen Schafe aus am Ende dann greinenden und sich gegenseitig denunzierenden Radprofis sowie Sport-Medizinern aufflog. Zwar gehört Telekom nicht Transparency International an, doch am Beispiel des Bonner Unternehmens (siehe auch Lidl oder Deutsche Bahn) kann man trefflich studieren, wohin der scheinbar so integre Anti-Korruptions-Kampf führt: Hunderte von Mitarbeitern des Unternehmens, darunter Gewerkschaftler und Journalisten, wurden ausspioniert und die gewonnenen Daten zweckentfremdet. Organisationen wie Transparency International würden dann Vorwände erfinden, die vornehmlich geeignet sind, Mitarbeiter im Geiste der präventiven Korruptionsbekämpfung auf legale Weise ausforschen und unter Generalverdacht stellen zu können.

Von den politischen Parteien kann man ebenfalls lernen: Der berühmte Flick-Skandal, der größte Korruptionsskandal der Bonner Republik, in den CDU/CSU, FDP und SPD verwickelt waren, resultierte schließlich darin, daß die Herrschenden im Parteiengesetz höhere staatliche Zuschüsse an die Parteien festschrieben. Bleibt noch zu erwähnen, daß auch die Europäische Handball-Föderation kürzlich die Vergütungen der Top-Schiedsrichter erhöht hat - von 400 auf 1000 Euro pro Champions League-Spiel. Wie niedlich, das erspart die Axt an die Wurzeln des kommerziellen Wettbewerbssystems im Sport zu legen, dem Korruption so wesenseigen ist wie dem Kapitalismus Profitstreben und legalisierter Raub.

27. April 2009