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KOMMENTAR/029: Gelenkte Wahrnehmung - London hui, Sotschi pfui (SB)



Zwei Meldungen machten dieser Tage die Runde, die vom Grundtenor nicht unterschiedlicher sein könnten. Die eine betrifft den Stand der Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 2012 in London. "Wir sind tief beeindruckt vom Fortschritt seit Mai 2008", lobte Denis Oswald, der Vorsitzende der IOC-Koordinierungskommission, die Olympiabauten in der britischen Hauptstadt im Rahmen seiner Inspektionsreise. Alle Bauwerke würden innerhalb der gesteckten Fristen fertiggestellt werden können. Zwischen den Positivmeldungen dann ein kleiner Schönheitsfleck: Die Spiele werden vier Mal so teuer wie ursprünglich geplant. Aber - und nun darf sich der gemeine Sportkonsument wieder freuen - der Etat von jetzt errechneten 9,3 Milliarden Pfund (knapp 11 Milliarden Euro) werde nicht überschritten werden, versicherten Olympiaministerin Tessa Jowell und Londons Bürgermeister Boris Johnson unisono. London verdiene schon jetzt eine Goldmedaille - für "finanzielles Jonglieren", so Johnson.

Nebenher ist noch von Geldschwierigkeiten die Rede, aber die Kommission um Dennis Oswald gehe davon aus - zumindest soll dies dem IOC von Lord Sebastian Coe, dem Chef des Londoner Organisationskomitees, versichert worden sein -, daß sich die Finanzkrise nicht negativ auf die Olympischen Spiele auswirke. Gleichwohl ist den Pressemeldungen zu entnehmen, daß wegen Geldmangels beim Athletendorf und Pressezentrum abgespeckt wurde und die von der Regierung bereitgestellte Sicherheitsreserve fast schon aufgebraucht sei. Ansonsten aber alles positiv.

Ganz im Gegensatz dazu eine zweite Meldung, die die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi betrifft. Rund um den Schwarzmeer-Kurort will Rußland Olympiabauten aus dem Boden stampfen, für die offiziell knapp zehn Milliarden Euro bereitstehen (das Gesamtbudget wurde inzwischen wegen der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise um 15 Prozent gekürzt). Bei der kürzlichen Bürgermeister-Wahl in Sotschi wurde der Kandidat der Kremlpartei Einiges Rußland, Anatoli Pachomow, mit überwältigender Mehrheit als Stadtoberhaupt bestätigt. Der "Putin-Mann" setzte sich wenig überraschend gegen den Oppositionskandidaten Boris Nemzow durch, der anschließend von Wahlbetrug auf allen Ebenen sprach und den Behörden u.a. vorwarf, sie hätten Arbeiter zur Stimmabgabe für Pachomow gedrängt. Wegen des skurrilen Kandidatenkreises und weil der Bürgermeister mit darauf Einfluß nehmen wird, wie die Olympia-Milliarden bis 2014 verteilt werden, wurde der Wahl in Sotschi überregionale Aufmerksamkeit zuteil. Insbesondere Nemzow genoß dabei die volle Rückendeckung der westlichen Medien, die nach der Wahl selbstgefällig von einem Sieg der "gelenkten Demokratie" in Rußland sprachen (NZZ, 28.4.09) und "Sitzbürgermeister" Pachanow nach Kräften verspotteten: "Kein Sympathieträger, ein vierschrötiger Apparatschik mit dünnen Haaren, dünnen Lippen und cholerischer Aura." (FR-online.de, 28.4.09)

Was aber wollen uns diese beiden Meldungen aus dem Olympia-Business sagen bzw. nicht sagen?

Daß die Kalkulation für die Londoner Spiele, für die ursprünglich rund drei Milliarden Euro angesetzt waren, eine "gigantische Lüge" darstellt, wie die Süddeutsche Zeitung noch im Oktober vergangenen Jahres angesichts der Kostenexplosion reklamierte, ist den Schönwettermeldungen des IOC nicht zu entnehmen. Schon gar nicht ist von offensichtlichen Täuschungsmanövern die Rede, mit denen sich London auf Kosten der Steuerzahler - also auch solcher, die für die teuerste Sportparty der Welt nichts übrig haben - den Zuschlag für die Spiele erschwindelte. Bald schon kam nämlich heraus, daß die Organisatoren bei ihren Berechnungen für das Sportstättenbudget vergessen haben wollen, die Mehrwertsteuer zu berücksichtigen. Prompt stiegen die Zusatzkosten um zirka 1,5 Milliarden Euro. "Zu optimistisch" sei auch die Kalkulation der Inflation im Baugewerbe gewesen; "zu gering" kalkuliert ebenso die Grundstückspreise sowie die Sicherheitskosten. Zudem offenbarte die britische Regierung kürzlich, daß der Bau des Olympiastadions mit 610 Millionen Euro doppelt so teuer wie ursprünglich geplant zu Buche schlage.

Was in der einstigen Weltfinanzmetropole stattfindet, ist natürlich keine "gelenkte Demokratie", obwohl den Bürgern zur Kompensation der Kosten eine lokale Olympiasteuer aufgebrummt wurde, sondern "freie Marktwirtschaft". Londons Stadtoberhaupt wird auch nicht "Sitzbürgermeister" genannt, obwohl er nichts anderes als gute Miene zum bösen Spiel der Regierung macht, mehr und mehr öffentliche Gelder in zweifelhafte Olympiaprachtbauten zu stecken, deren teilweiser Umbau nach den Spielen nur sehr bedingt der Allgemeinheit zugute kommt. Während die hiesige Presse dem wiedergewählten Bürgermeister in Sotschi prophezeit, er werde "sich vor allem um saubere Bürgersteige kümmern. Und bei offiziellen Anlässen wird er mit artigem, aber schmalem Grinsen danebenstehen und möglichst wenig sagen" (FR-online), gelten Organisationschef Lord Coe oder Olympiaministerin Jowell trotz ihres daueroptimistischen Schönredens nicht etwa als Volksverdummer, sondern als professionelle Mediatoren.

Mag ja sein, daß mit Anatoli Pachomow ein "farbloser Bürokrat und Kandidat der Staatspartei Einiges Russland" die Wahl gewann, wie die Neue Zürcher Zeitung anführte. Wessen Kandidat sein Hauptgegner Boris Nemzow war, läßt sich indessen aus dem herauslesen, was die westliche Berichterstattung in beredter Weise lieber verschwieg. Allenfalls liefern die Gazetten den vagen Hinweis, daß Nemzow in den 90er Jahren stellvertretender russischer Regierungs-Chef unter Präsident Boris Jelzin war. Folglich gehörte Nemzow in der Partei Union der rechten Kräfte zu jenen russischen Politikern, die wirtschaftsliberale Reformen durchsetzten, im großen Stil Privatisierungen betrieben und der Öffnung des Landes für aggressive ausländische Kapitalinteressen zuarbeiteten. Bevor Rußland vollständig in die Zangen westlicher Heuschrecken geraten konnte, machte der an die Macht gekommende Wladimir Putin dem Treiben mit autokratischen Maßnahmen ein Ende. Nemzow gehörte stets zu den erklärten Gegnern Putins und unterstützte aktiv die sogenannte Orangene Revolution 2004 in der Ukraine, wo er unter dem pro-westlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko Wirtschaftsberater wurde. Die "bunten Revolutionen" in ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten bzw. Sowjetrepubliken stehen im Bannkreis geostrategischer Interessenspolitik durch die EU und USA, welche mit diplomatischen, finanziellen und/oder subversiven Mitteln massiven Einfluß auf die politische Entwicklung in den Länder genommen haben.

Diese Art "gelenkter Demokratie" ist allerdings nicht gemeint, wenn die Medien anläßlich der Bürgermeisterwahl in Sotschi von "inszeniertem Pluralismus" in Rußland sprechen. Daß eine antiautokratische Entwicklung in der Russischen Föderation immer wieder durch äußere Einflußnahmen des Westens korrumpiert wird, gehört ebenfalls nicht zu den hierzulande großflächig verbreiteten Erkenntnissen wie auch eine Aufklärung darüber fehlt, welche Wahlkampfposition Boris Nemzow in der 300.000-Einwohnerstadt Sotschi eigentlich bezogen hatte. Lediglich der Tagesspiegel meldete in einem Nebensatz, Nemzow fordere, "Russland müsse Teile der Wettkämpfe in anderen Städten austragen oder die Spiele gänzlich zurückgeben". Diese Botschaft haben die Einwohner Sotschis, die sich viel von den Milliarden-Investitionen in ihrer Region versprechen, sehr wohl verstanden - entsprechend das eindeutige Wahlergebnis.

3. Mai 2009