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KOMMENTAR/049: WADA-Code 2009 - Spanien stopft "Schwachstelle" zu Lasten von Freiheitsrechten (SB)



Kein Zweifel, die alle vier Jahre stattfindenden Olympischen Sommer- bzw. Winterspiele sind nicht nur zugkräftige Motoren der Sport- und Freizeitindustrie, sondern auch Legitimationsproduzenten für staatliche Propaganda und Herrschaftspolitik. Darüber hinaus dienen sie zur Rechtfertigung massiver Bautätigkeiten für zumeist staatlich finanzierte Infrastrukturmaßnahmen sowie für mehr oder minder gut verdeckte Subventionen, die im neoliberalen Marktgeschehen ansonsten nur schwer begründbar wären, zumal unter den Argusaugen der EU-Wettbewerbskommission. Aktuelles Beispiel ist die Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2018, die vom Deutschen Bundestag als "nationales Anliegen" deklariert wird, sich bei genauerem Hinsehen aber als bewußt intransparent gehaltener "Blankoscheck" (Grünen-Sportsprecher Winfried Hermann) für vom Land und den Kommunen zu leistende Unterstützungszahlungen entpuppen könnte. Obwohl im Hintergrund schon kräftig die Strippen gezogen werden, ist noch nicht einmal klar, wieviel Steuergelder der Staat in dem Olympiaprojekt verbrennen wird, da die Zahlen verdeckt gehalten werden. Klar ist nur, daß die Städte, die sich für die Austragung der Olympischen Spiele bewerben, bereits im Vorfeld über offizielle und inoffizielle Kanäle Millionen-Summen investieren, um die größte Sportshowveranstaltung der Welt an Land ziehen zu können.

In wenigen Tagen (2. Oktober) entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Kopenhagen darüber, wer Ausrichter-Stadt der Sommerspiele 2016 wird. Vier Kandidaten stehen zur Wahl: Tokio (Japan), Rio de Janeiro (Brasilien), Chicago (USA) und Madrid (Spanien).

Um ihre Chancen zu erhöhen, sind den Kandidatenstädten nahezu alle Mittel recht - Bestechungen, Drohungen, Erpressungen und Schlimmeres haben ihren festen Platz in der Olympiageschichte. Madrid wartet nun mit einer neuen Variante auf. Um seine Bewerbung zu stärken, wurde ein Gesetz, das eigentlich die Rechte der Athleten und ihrer Familien schützen sollte, aus wettbewerbspolitischen Gründen auf dem Olympiaaltar geopfert. So hat Spanien wenige Wochen vor der Kandidatenkür im Eilverfahren sein Anti-Doping-Gesetz geändert. Dopingtests seien künftig auch wieder in der Zeit von 23.00 bis 6.00 Uhr möglich, heißt es in einer wachsweichen Erklärung.

Erst im April hatte die Madrider Regierung im Einklang mit EU-Recht ein "Königliches Dekret" verabschiedet, welches nächtliche Kontrollen in Spanien in der Zeit von 23 bis 8 Uhr untersagte. Damit sollte nicht nur die Nachtruhe und die Privatsphäre von Sportlern, sondern auch die ihrer Familien, Kinder und Angehörigen - letztere Auswirkungen nächtlicher Kontrollen auf das soziale Umfeld der Athleten werden in den hiesigen Medien in der Regel verschwiegen - geschützt werden. Das nächtliche Kontrollverbot von Spanien galt allerdings nicht für Wettkämpfe. Zudem hatte Spanien verfügt, daß sich Athleten bei einer Abwesenheit vom gemeldeten Wohnort nicht innerhalb von 24 Stunden abmelden müssen, sondern daß hierfür eine Dreitagesfrist ausreicht.

Nicht nur die Iberer, auch die Europäische Union hatte sich gegen die Anfang des Jahres verschärften Meldevorschriften gestellt. Die für den Datenschutz zuständige Arbeitsgruppe "Artikel 29" hatte noch im Mai den WADA-Code 2009 abgelehnt, da die Meldepflichten gegen die Datenschutzbestimmungen und Freiheitsrechte der EU verstießen. Zudem hatten belgische Sportler mit Unterstützung von Sportlergewerkschaften gegen das sogenannte Whereabout-System der WADA eine Klage eingereicht, da es gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Schutz der Privatsphäre) verstoße.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) verlangt u.a. in ihren Melderegeln, daß Spitzensportler 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag für Dopingkontrollen zur Verfügung stehen müssen - was nichts anderes heißt, als daß Spitzensportler jederzeit und allerorten aus dem Bett geklingelt werden können.

Nun läßt Madrid lapidar verlauten, mit der Änderung habe die Regierung die "Empfehlungen" der WADA umgesetzt. Tatsächlich gehen hier Erpressungsbemühungen seitens der WADA und des IOC mit den Begehrlichkeiten Spaniens, das Rattenrennen der Kandidatenstädte zu gewinnen, eine unheilige Allianz ein.

Während die deutschen Medien nach dem Erlaß des Kontrollverbotsgesetzes Spanien "weltweit als eine der Doping-Hochburgen" (Deutschlandfunk) hinzustellen versuchten, hatte die WADA das Land vor Auswirkungen auf die Olympiabewerbung 2016 gewarnt. Kein geringerer als WADA-Generaldirektor David Howman schwang die Drohkeule. "Wenn man Olympische Spiele veranstalten will, kann man kein Gesetz haben, in dem festgelegt wird, daß Doping-Kontrollen nicht 24 Stunden am Tag durchgeführt werden dürfen", sagte der neuseeländische Jurist nach einem dpa-Bericht. Auch das IOC hatte die spanische Gesetzgebung in ihrem Prüfbericht zu den Kandidatenstädten bemängelt.

Das Einknicken Spaniens macht einmal mehr deutlich, daß der freiheitseinschränkende Anti-Doping-Kampf seine Berechtigung nicht etwa aus sachlich-rationalen, sondern aus opportunistischen Gründen schöpft. Spaniens "größte Schwachstelle der Olympia-Kandidatur", wie es allenthalben heißt, ist zugleich der blinde Fleck in einer Sportberichterstattung, welche die Freiheitsrechte der Athleten so wenig interessiert wie sie abweichende und kontroverse Meinungen zum obrigkeitlichen Diktat des "sauberen Sports" ignoriert.

28. September 2009