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KOMMENTAR/054: WADA-Code 2009 - FIFA will Hexenjagd mit biologischem Paß fortführen (SB)



"Wir dürfen im Kampf gegen Doping keine Hexenjagd betreiben. Wir sind Pioniere und vielleicht der Verband, der am meisten gegen Doping unternimmt. Aber wir brauchen eine Privatsphäre für unsere Spieler", hatte Joseph Blatter, seines Zeichens Präsident des Fußball-Weltverbandes (FIFA) und Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), noch im März auf dem UEFA-Kongreß in Kopenhagen insistiert. Was viele Funktionäre und Athleten ebenfalls denken, aber in der moralisch hochverseuchten Medienöffentlichkeit nicht mehr auszusprechen wagen, um nicht mit dem D-Wort kontaminiert zu werden, hatte der fest im Sattel sitzende Chef des reichsten und mächtigsten Sportverbandes der Welt noch beim Namen genannt: Hexenjagd ...

In einem Interview mit der FAZ (9.5.09, online) legte der Schweizer Jurist noch einmal nach und sprach bezüglich der WADA von einem Konstruktions- bzw. Entwicklungsfehler. Es sei falsch gewesen, daß bei der Gründung der WADA die Gründerväter zur einen Hälfte aus dem Sport und zur anderen Hälfte aus der Politik gekommen wären. Der Sport hätte das allein bewerkstelligen müssen. "Die Wada wurde als Servicegesellschaft für alle Sportarten ins Leben gerufen; besonders für diejenigen, die aus finanziellen Gründen die Doping-Kontrollen nicht selbst ausführen können. Unter ihrem ersten Vorsitzenden Richard Pound ist die Wada dann zu einer Polizeiorganisation geworden. Und das ist falsch."

Damit war das nächste Stichwort gefallen: Polizeiorganisation ... Bekanntlich wurde die WADA 1999 auf starkem Druck europäischer Sport- und Innenminister, die sich vor dem Hintergrund einer hysterisierten Öffentlichkeit im Anti-Doping-Kampf profilieren wollten, sowie auf Betreiben der IOC-Funktionäre, die sich von Vorwürfen der Untätigkeit sowie eigener Korruptheit auf dem Rücken der Athleten zu entlasten suchten, gegründet. Richard Pound, ein gewiefter Wirtschaftsanwalt aus Kanada, der in der Samaranch-Ära die Milliardengeschäfte bei der olympischen Vermarktung einfädelte, ehe er den Thron der WADA bestieg und für seine Stadt Montreal mit der höchsten Garantiesumme den WADA-Sitz "kaufte", wußte die Klaviatur des Doping-Begriffs als universell einsetzbares Instrument für Anpassungs- und Unterwerfungsverhalten bestens zu bedienen. Im Schulterschluß mit Politik, Wissenschaft und Justiz baute er die WADA zu einem Repressionsapparat aus, der auch den Unwuchten globalgesellschaftlicher Suprematie standhalten konnte und sich in verschiedenen Anerkennungsschritten weltweit konsolidierte.

Einst heilige Schwüre der Eltern, daß man seine Kinder niemals einem totalitäre Züge tragenden Überwachungssystem überantworten wolle, wurden von Sportrechtlern, -forensikern und -funktionären, die sich mit Hingabe der effizienten Kontrolle, Überwachung und Sanktionierung von Athleten widmen, konsequent ausgehebelt. Der "gläserne Bürger", der selbst in der heutigen Big-Brother-Gesellschaft noch mulmige Gefühle und begründete Vorbehalte weckt, wurde im organisierten Sport, der von der bürgerlich-liberalen Mehrheit durchweg positiv affirmiert und als omnipotenter Heilsbringer für unterschiedlichste Zivilisationskrankheiten wertgeschätzt wird, zum systematischen Erziehungsprogramm.

Das u.a. vom früheren Weltklasseläufer Franz-Josef Kemper angeregte Meldesystem mit Satelliten-Ortung für Athleten ("Ich bin überzeugt, daß es in fünf Jahren ein solches GPS für Sportler geben wird und sie 24 Stunden geortet werden können.") oder ein Hautimplantat mit Peilsender wurde noch nicht umgesetzt - was aber nichts heißt, denn es gibt ja bereits Sportuhren mit GPS-Empfänger und PC-Anbindung. Unter Vorspiegelung, die Freiheitsrechte der Athleten nicht allzusehr einschränken zu wollen, schuf die WADA statt dessen eine Art elektronische Fußfessel, die über das Internet gesteuert wird. Seit 2009 müssen Athleten eigenverantwortlich und haarklein ihre Aufenthaltsorte ("Whereabouts") in das "ADAMS"-Meldesystem einspeisen, Rechenschaftslücken versetzt Kontrolleure in Alarmzustand und können mit dem Entzug der sportlichen Legalität bestraft werden.

Eine Vorstufe der umfänglichen Online-Kontrolle war der sogenannte Athletenpaß, den die WADA allen Kadersportlern der Welt 2002 aufs Auge drücken wollte. Dieser Paß, der sämtliche Dopingkontrollen von Athleten samt dazugehörender Internet-Dokumentation beinhalten sollte, wurde damals von Richard Pound sogar noch als zwangloser Akt verkauft: "Die Freiwilligkeit ist sogar die größte Stärke des Programms. Mit dieser Initiative wollen Sportler beweisen, daß sie an die Werte im Sport glauben." Was die Freiwilligkeit betrifft, sprach Pound schon im nächsten Satz seinen eigenen Worten Hohn: "Ich glaube, das Programm wird eine Eigendynamik entfalten wegen des Gruppendrucks innerhalb der Athletengemeinschaft."

Das Programm erwies sich als Fehlschlag. Weder sozialer und moralischer Gruppendruck noch die im Leistungssport um sich greifende Kultur der vorauseilenden Anpassung an neueste Kontroll- und Verhaltensauflagen zur Dokumentation der eigenen Sauberkeit (vorbildlich!) reichten aus, daß sich alle Sportler "freiwillig" dem Paßsystem unterwarfen. Deshalb griffen die Funktionäre zum Holzhammer, führten die bekannten Totschlagargumente des "sauberen Sports" ins Feld und verpaßten den Athleten 2004 den WADA-Code, der zu Jahresbeginn noch einmal verschärft wurde. Neben drastischen Meldeauflagen für willkürlich zu "Hochrisikosportlern" erklärten Verdachtsgruppen, die eine schikanöse Sonderbehandlung erfahren, wurde auch eine neue Blutprofil-Regel eingeführt.

"Mit dem neuen WADA-Code wird möglich, eine Sperre auch dann auszusprechen, wenn nur die Tatsache der Manipulation bewiesen wird. Das dafür verwendete Mittel oder die dafür angewandte Methode spielt dann keine Rolle mehr", erläuterte DOSB-Präsident Thomas Bach, der als Vizepräsident des IOC (Spezialgebiet Recht) und Chef der Kammer für Einsprüche gegen Verbandsstrafen beim Internationalen Sportgerichtshof CAS zu den juristischen Drahtziehern des athletenfeindlichen WADA-Codes zählt. Die Blutprofil-Regel der WADA erlaubt es, Sportler bei Auffälligkeiten im Blutprofil ohne positiven Dopingbefund, lediglich auf der Basis von Indizien, Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik mit Berufsverboten zu belegen. Mit diesem wissenschaftlichen und rechtlichen Akzeptanzschritt, der von den davon profitierenden Berufsgruppen aus der Anti-Doping-Wirtschaft marktschreierisch begrüßt wird, wird der Athletenkörper einer noch viel weitreichenderen naturwissenschaftlich-technischen Analyse- und Deutungskompetenz überantwortet als bisher schon. Zugleich werden mit diesem Schachzug Urteile von Experten, die den mit religiöser Inbrunst vorgetragenen Fahndungs- und Verfolgungswillen des "sauberen Sports" mit immer komplizierteren Nachweisverfahren und komplexeren Gutachten zu Diensten sind, zunehmend unangreifbarer. Was die Inquisition des Mittelalters aufgrund technischer Beschränkungen noch nicht vermochte, nämlich Sünde, Ketzerei und Häresie aufgrund von unbestreitbar signifikanten Körpermerkmalen zu bestrafen, wird nun, codifiziert über chemische Signaturen und physiologische Parameter, gerichtsfest gemacht. Die stillschweigende Übereinkunft der Sportjustiz, daß aufgrund der "strict liability-Regel" (strenger Verschuldensgrundsatz, der Sportler für alles, was in ihrem Körper vorgefunden wird, haftbar macht) manchmal eben auch der Kopf eines unschuldigen Athleten rollen könnte, selbst wenn er für den positiven Dopingbefund gar nichts kann, wird mit Hilfe indirekter Nachweisverfahren, die Indizien zu Tatsachenbeweisen extrapolieren, auf eine für den Sportler und Laien kaum noch zu durchschauenden, geschweige denn zu entkräftenden Ebene verabsolutierter Schuldzuweisung gehoben. Als Präzedenzfall gilt hier die Causa der deutschen Eisschnelläuferin Claudia Pechstein, deren weiteres Schicksal - stellvertretend für alle unter Generalverdacht gestellten Sportlerinnen und Sportler - in wenigen Tagen vom CAS besiegelt wird. Es spricht Bände, daß IOC-Präsident Jacques Rogge diesen Fall als "Lackmus-Test, ob das Langzeit-Profil von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinde bestätigt wird", bezeichnete, so als ob er die nicht grundlos widerstreitenden Experten zum Interessenskonsens für eine (auch finanziell) lukrative Dopingjagd rufen wollte.

Langzeit- oder Blutprofile sind auch Bestandteil des sogenannten Blutpasses, der sämtliche Blut- und Urinkontrollen jedes Sportlers erfaßt sowie anhand bestimmter Parameter auffällige Werte und Schwankungen als indirekte Hinweise auf Doping interpretiert. Der Blutpaß war erstmals 2008 vom Radsportweltverband UCI unter Mithilfe der WADA eingeführt worden und wird auch vom Welt-Skiverband FIS protegiert. Genaugenommen handelt es sich hierbei um eine Vorform des bereits angekündigten biometrischen Passes, der von jedem Sportler ein individuelles Langzeit-Profil, eine Art chemischen Fingerabdruck erstellen soll. Geht es bislang "nur" um die Validierung von Blutparametern, sollen bald auch Steroidprofile und endokrinologische Marker folgen. Überdies wurde kürzlich die Erhebung von urinären Proteinprofilen mit dem Mondversprechen, den Mißbrauch von Steroiden, Wachstumshormonen und Gendoping (!) besser ermitteln zu können, ins Gespräch gebracht. Was die meinungsmachenden Wissenschaftler naturgemäß als "großen Fortschritt" in der Dopingbekämpfung preisen, läuft auf eine Stärkung des indirekten Indiziennachweises und seiner grundsätzlich unsicheren Deutungsmuster hinaus.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn FIFA-Chef Joseph Blatter, dessen Verband u.a. die ständige Verfügbarkeit der Aktiven für Kontrollen nach dem neuen WADA-Code ablehnt, nun hofft, Meinungsverschiedenheiten mit der WADA-Polizeibehörde durch die Einführung eines "biologischen Passes" (1) im Fußball ausräumen zu können, dann verlagert er die von ihm kritisierte Hexenjagd lediglich auf die kontrollmedizinische Ebene, wo Sportler keine Menschen mehr sind, sondern auf biologische Kennziffern und Normenkonstrukte herabgewürdigte Verdachts- und Versuchsobjekte. Daran ändert auch nichts, daß er die Arbeit und Zuverlässigkeit der WADA-Labors bzw. -Testergebnisse in Frage stellt. Denn darin besteht ja gerade die Spezialität der Anti-Doping-Analytik, daß sie "höchsten Standards" genügend, wie IOC-Chef Rogge in Erwiderung auf Blatters Kritik die WADA-Labore verteidigte, das Hexenhammerverfahren wasserdicht macht.

Anmerkung

(1) Während einer TV-Diskussion in der Schweiz am 28. Oktober, kurz vor einem Treffen mit WADA-Chef John Fahey in Zürich, kündigte Joseph Blatter die zu prüfende Einführung eines von den Medien als Blutpaß bezeichneten "biologischen Passes" an. "Mit dem Pass könnten wir den Athleten vielleicht mehr Freiheiten einräumen", so Blatter (sid), der nicht nur die strengen Meldeauflagen der WADA, sondern auch die Länge der verhängten Sperren kritisiert. Nach Meinung Blatters sollten die Spieler nur während ihres Aufenthalts bei ihrer jeweiligen Mannschaft zu Tests herangezogen werden. Dies wird auch von vielen Aktiven gefordert.

2. November 2009