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KOMMENTAR/061: Wettbetrug - neue Schiene repressiver Sozialkontrolle? (SB)



Wieder einmal scheint die gutbürgerliche Ordnung eingestürzt zu sein. Schon das Gaunerstück um den Fußball-Schiedsrichter Robert Hoyzer vor knapp fünf Jahren löste in Deutschland ein Beben aus, das geeignet war, bei einigen Oberfunktionären "das Urvertrauen in die Schiedsrichter" zu erschüttern. Und nun das: Mindestens 32 Spiele von der zweiten Bundesliga abwärts bis in die Juniorenklassen sollen in Deutschland manipuliert worden sein. Mehrere europäische Ländern sind betroffen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Bochum haben Wettbetrüger rund 200 Spiele manipuliert. Etwa 200 Menschen - darunter Trainer, Spieler, Funktionäre und Schiedsrichter - stehen unter Verdacht. "Das ist nur die Spitze des Eisbergs", sagte ein Ermittler. Einmal mehr fallen die Systembewahrer und Regelhüter aus allen Wolken, mimen Fassungs- und Ahnungslosigkeit und stilisieren den Manipulationsskandal zum "Verbrechen an der Gesellschaft", das es entsprechend hart zu sühnen gelte, wie Theo Zwanziger erklärte. Als sich der DFB-Präsident dann aber wieder etwas einkriegte und in einem Interview sagte, er verstehe die ganze Aufregung nicht, übernahm "Der Spiegel" geschwind den Ball und skandalisierte den "Schlingerkurs" des DFB bei der Aufklärungsarbeit. Das rhetorische Paßspiel zwischen den Fußballführern und ihren kritischen Hofschreibern funktioniert offenbar blind.

Daß die Wettmafia nur der illegale Teil des rasant wachsenden Wettgeschäftes ist, wird spätestens dann deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wer die eigentlichen Profiteure der Wettmaschinerie sind. Experten schätzen den Wettmarkt weltweit auf über 200 Milliarden Euro Umsatz ein, etwa zwei Drittel davon entfallen auf den Fußball. An den Gewinnmargen will allerdings nicht nur die organisierte Kriminalität partizipieren, sondern vor allem und möglichst im exklusiven Sinne der Staat, Unternehmen, Funktionäre und Sportler. Während nun die Schattenwirtschaft zum eigentlichen Übel stilisiert wird, macht der internationale Fußballkapitalismus, der die Ware Sport zu höchsten Preisen verscherbelt und durch die nahezu ungehemmte Kommerzialisierung des Wettkampfes überhaupt erst den galoppierenden Wett- und Glücksspielmarkt möglich gemacht hat, den Reibach und inszeniert sich noch dazu als großer Saubermann. Genaugenommen nutzt der professionelle Fußball die Schmuddelkinder der Branche, um seinen mit höchsten Zuwachsraten glänzenden Wirtschaftszweig globalgesellschaftlich zu etablieren und abzusichern.

Durch das Internet und die globalisierte Angebotsstruktur des Wett- und Glückspielmarktes sind dem Staat bislang noch Grenzen bei der juristischen Regulation und ökonomischen Abschöpfung des Wettmarktes gesetzt. Die Bekämpfung von Spielsucht und Betrug sind indessen die Hebel, mit denen der Staat sein Wettmonopol, das auf mehreren juristischen Ebenen wie auch auf der politischen Ebene stark umstritten ist, zu legitimieren sucht.

Jahrzehntelang war der Sportwettmarkt in der Bundesrepublik stark beschränkt. Nach dem Mauerfall hatten jedoch vier private Buchmacher in der DDR eine Lizenz erworben und konnten Lücken ausnutzen. Hinzu kamen Anbieter, die Wetten an Buchmacher im EU-Ausland vermittelten. Seit 2000 mischt auch der staatliche Anbieter Oddset, zugleich Sponsor der Fußball-WM 2006, im lukrativen Geschäft der Sportwetten mit. Nicht nur Erwachsene, sondern vor allem Kinder und Jugendliche wurden für die Wettspiele mit Geldeinsatz regelrecht angefixt. Eine repräsentative Studie der Universität Bielefeld im Jahre 2002 ergab, daß das sogenannte Rubbel-Lotto mit 36 Prozent an der Spitze der Beliebtheitsskala von 13 bis 19jährigen lag, die Oddset-Sportwette, die erst 2000 in Deutschland eingeführt wurde, dagegen nur eine Verbreitung von 18 Prozent hatte. Seit 2004 ist Jugendlichen unter 18 Jahren die Teilnahme an solchen Sportwetten nicht mehr erlaubt, in der Praxis wird aber dennoch auf allen Kanälen kräftig gewettet.

Die zielgerichtet entfachte Wettleidenschaft in der Bevölkerung, die mit der ebenso zielgerichteten Emotionalisierung des Massensports korrespondiert, kommt also nicht nur aus dem Internet-Ausland, das die attraktivsten und aberwitzigsten Wettangebote offeriert, sondern wurde und wird mit allen Schikanen auch unter staatlicher Kontrolle betrieben. Und zwar parallel zum massiven Abbau sozialer Sicherungssyteme. Der sozialpolitische Zusammenhang ist so offenkundig, daß er eigentlich gar nicht erwähnt werden müßte: Glücksspiele dienen nicht der Entwicklung und Durchsetzung sozialrevolutionärer Ideen, sondern ihrer Eindämmung und Eliminierung. Ein Volk von Hungerleidern und Habenichtsen, das vom großen Gewinnlos träumt und allwöchentlich den Spielen und damit verbundenen Sportwetten nachfiebert, könnte nicht besser im Sinne der vorherrschenden Ausbeutungsordnung funktionieren. Wer wettet, stellt nicht das politische und ökonomische System in Frage, sondern möchte, daß es funktioniert: Sport, Oddset, staatliche Regulation oder Liberalisierung des Wettmarktes - einerlei, Hauptsache Zocken.

Dem allgemeinen Wunsch nach manipulationsfreiem Wetten - was ein Widerspruch in sich ist, denn überall dort, wo es um hohe Einsätze und hohe Gewinne geht, wird auch betrogen und manipuliert - kommen Politiker gerne nach. So forderte Winfried Hermann von den Grünen ein Gesetz gegen "Sportbetrug", das zur Abschreckung nicht nur Gefängnisstrafen für Doping-, sondern auch Wettbetrüger beinhaltet. "Dem Staat sind die Hände gebunden. Sie könnten morgen einen Schiedsrichter bestechen, damit der für ihren Lieblingsverein pfeift, aber passieren würde Ihnen strafrechtlich nichts. Das ist eine große Lücke, die wir füllen müssen", sagte Hermann der "Stuttgarter Zeitung".

Folgen den Hexenjagden im staatlich forcierten Antidopingkampf also bald auch Treibjagden auf verdächtige Wettmanipulateure quer durch alle Ligen und Sportarten? Wird dem "Dopingsünder" zur Bereicherung des Ensembles sozialer Feindbilder bald auch der "Wettbetrüger" folgen? Werden sich demnächst Trainer im Gefängnis wiederfinden, weil sie ihrer Mannschaft zur Kräfteschonung mehr oder weniger deutlich eine "taktische Niederlage" angewiesen haben, die sich dann aber in Korrelation mit Daten zum Beispiel der Firma betradar.com, die in Zusammenarbeit mit Sportverbänden sowie legalen Buchmachern und Wettanbietern ein Verdachts- und Frühwarnsystem gegen Wettmanipulationen betreibt, zu einem Indiziengeflecht verbinden, das mit gerichtsfester Wahrscheinlichkeit Wettbetrug nahelegt?

In Reaktion auf den europäischen Wettskandal hatte der Weltfußballverband FIFA kürzlich nicht nur das vom DFB genutzte, aber kolossal versagende Betradar mit zwei weiteren internationalen Frühwarnsystemen zusammengeschlossen, sondern auch die enge Kooperation mit der internationalen Polizeiorganisation INTERPOL angekündigt. "Es wird eine internationale Task Force im Kampf gegen Wettmanipulationen aus der Taufe gehoben", erklärte FIFA-Chef Joseph Blatter, der den armen, unschuldigen Fußball einmal mehr als "Geisel illegaler Aktivitäten" hinzustellen versuchte. Da weniger die Fußballmillionäre als vielmehr die kleinen Krauter in den unterklassigen Vereinen anfällig für Wett- und Spielmanipulationen sein sollen, stellt sich die Frage, ob künftig weite Bevölkerungskreise damit rechnen müssen, bei ungewöhnlichem und auffälligem Wettverhalten (die einzige Variante, die hohe Gewinne verspricht!) im Fahndungsnetz von INTERPOL hängen zu bleiben und unbemerkt observiert und telefonisch überwacht zu werden.

21. Dezember 2009