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KOMMENTAR/091: Arrestierte Fechterin Imke Duplitzer spricht Klartext (SB)



Zu den seltenen Ausnahmen unter erfolgreichen Spitzensportlerinnen, die noch die Widersprüche des freiheitsberaubenden Anti-Doping-Kampfes öffentlich beim Namen zu nennen wagen, gehört Imke Duplitzer. Die frischgebackene Europameisterin im Degenfechten schrieb für die taz [1] unter dem Titel "Das ist wie Arrest" eine keineswegs spaßig gemeinte Kurzgeschichte über "eine neue Beziehung", "eine Art Zwangsehe", die sie mit "Adam S." von der Antidoping-Agentur verbinde.

"Adam S." steht für das staatenübergreifende elektronische Datenerfassungssystem ADAMS (Anti-Doping Administration & Management System) der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), das in Umfang und Qualität alles sprengt, was es bislang an quasibehördlichen Einrichtungen zur verdachtsunabhängigen Kontrolle und Überwachung einer spezifischen Bevölkerungsgruppe gibt, die sich nur dadurch "potentiell schuldig" gemacht hat, daß sie Leistungssport betreibt.

Die "Weltpolizei des Spitzensports", wie die Neue Zürcher Zeitung die WADA einmal bezeichnete, betreibt zusammen mit ihren nationalen Ablegern (NADA) eine Art elektronische Fußfessel für Sportlerinnen und Sportler, welche über das Internet kontrolliert wird. Unter Androhung von Sanktionen, die Auswirkungen bis hin zu sozialen Rufmordkampagnen und beruflicher Existenzvernichtung haben können, müssen die unter Generalverdacht stehenden Athleten eigenverantwortlich dafür Sorge tragen, daß sie online ihre Aufenthaltsorte ("Whereabouts") in die Kontrollregister eintragen. Der äußere Zwang ist affirmativ gesteuert, d.h. der Gestaltungsraum des Gefängnisses ist nach außen gekehrt, die Athleten unterwerfen sich "freiwillig" dem Kontrollzwang. Da ja alles "zum Wohle des Sports" sei, wie auch Duplitzer mit wachsenden Zweifeln anmerkt, identifizieren sich die Sportler mit den "positiven" Zielen, Werten und Moralvorhaltungen ihrer Wärter und übernehmen somit deren Aufgaben. Was sich die Potentaten repressiver Sozialkontrolle in ihren kühnsten Big-Brother-Träumen nicht vorzustellen wagten, ist im Sport bittere Realität geworden. Da ungeachtet dessen der Spitzensport seine "Vorbildfunktion" behalten hat, kann sich jeder leicht ausrechnen, was das für die vermeintlich "offene Gesellschaft" bedeutet und was für ein Wertewandel hier inzwischen stattgefunden hat. "Ich lebe in einer Demokratie, doch bin ich durch meinen Beruf in einem totalitären System gefangen", bilanziert Imke Duplitzer nüchtern. Statt Auflehnung dominiert bei den betroffenen Athleten Zurückhaltung, Resignation oder regressive An- und Überanpassung, denn die von den Antidopingjägern erzeugte Angst wirkt einschüchternd und disziplinierend. Es bedarf keiner Hellsicht, daß aus der Masse der kontrollaffin konditionierten "gläsernen Athleten" später einmal gut angepaßte Bürger werden. Dies ist ganz sicher kein unerwarteter "Nebeneffekt" der staatlich forcierten Dopingbekämpfung, denn die soziokulturellen Auswirkungen kann sich jeder an fünf Fingern abzählen, wenn er sich nicht dem Suff in den öffentlichen Skandalschenkstuben hingibt (siehe aktuell die Berichterstattung über die Tour de France).

Jeweils für drei Monate im voraus müssen Athleten einer bestimmten Verdachtsgruppe, obwohl sie oftmals selbst nicht einmal wissen, wann sie sich zukünftig wo befinden, für jeden Tag mindestens Angaben zu ihrem Wohn- bzw. Übernachtungsort machen. "Ein solcher täglicher Wohnort ist in ADAMS zwingend für jeden Tag anzugeben", sagt die deutsche NADA, die pro Quartal rund 1.500 Mails an die Athleten verschickt, um sie daran zu erinnern, ihre Whereabouts-Meldungen fristgerecht abzugeben. Zudem müssen die Daten jeweils den tatsächlichen Gegebenheiten zeitnah angepaßt und stetig aktualisiert werden.

Spontane Urlaube oder Fahrten mit Freunden ohne festes Ziel sind dadurch nicht mehr möglich. Über alles muß genaustens Rechenschaft abgelegt werden, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. "Ins Auto setzen, losfahren und sehn, was das Wochenende bringt", so Duplitzer, diese Zeiten seien vorbei. "Man hat zu bedenken, dass das System immer informiert werden muss, wenn sich Pläne spontan ändern. Die Frage 'Weiß das System wirklich, wo ich bin?' ist zum ständigen Begleiter geworden, und mindestens einmal am Tag trete ich mit Adam S. in Kontakt, weil meine Pläne sich geändert haben", schreibt die Fechterin. "Die Angst, nicht erreichbar zu sein, Verwarnungen oder gar Berufsverbot zu erhalten ist omnipräsent. Die elektronische Sippenhaft ist legal. George Orwell hätte seine reine Freude."

Das Überwachungssystem verlangt von den Athleten zudem, regelmäßige Tätigkeiten (z.B. Training, Schule, Arbeit, Ausbildung) in die Kalenderstruktur von ADAMS einzufügen und näher zu beschreiben (z.B. wetterabhängige Trainingszeiten, Hinweise auf Schichtarbeit oder Außendienst, Semesterferien, Hinweise auf fremde Namen an den Klingelschildern etc.). Mit Beginn des Jahres 2009 wurden die im WADA-Code verankerten Meldeauflagen nochmals verschärft. Seitdem müssen Spitzensportler ein Zeitfenster von 60 Minuten sowie einen festen Aufenthaltsort angeben, an dem sie für Kontrolleure definitiv erreichbar sind. "Ich hatte quasi Arrest", so Imke Duplitzer, die auch darüber berichtet, daß Freunde von ihr mit Unverständnis auf ihre neue Lebenssituation reagierten: "Sie verstanden nicht, dass ich nachts um 11 von Kontrolleuren belagert wurde und mein gesamtes Privatleben auf einem Server hinterlegen musste."

Perfekt wäre das Kontrollgefängnis des sauberen Sports, wenn es keine Rollenverteilung mehr zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten gäbe, weil die Funktionen in eins fallen. Die NADA feilt bereits daran. Zwar sei die Arbeit der seit acht Jahren bestehenden Dopingagentur im öffentlichen Bewußtsein noch nicht richtig angekommen, wie NADA-Vertreter im Mai auf der letzten Jahrespressekonferenz erklärten, aber immerhin hätten viele Athleten die Vorgaben der Dopingfahnder mittlerweile akzeptiert. Man verstehe sich "nicht als Gegner der Athleten, sondern als Partner", so NADA-Vorstandschef Armin Baumert mit Kreide in der Stimme. Das werde mittlerweile von den meisten Aktiven verstanden. [2]

Stimmt das? Befinden sich die Athleten bereits in einer Situation vergleichbar einem Lamm, das angesichts höchster Gefahr dem Wolf die Schnauze zu lecken beginnt, in der Hoffnung davonzukommen? Sollten die Athleten tatsächlich nur verstanden haben, was sie verstehen sollen, oder dämmert den Athleten allmählich, daß ihnen ihre Kontrollhörigkeit immer weitreichendere Anpassungsleistungen aufzwingt, ohne daß sich an ihrem Dilemma etwas änderte?

Der indirekte Dopingnachweis auf Indizienbasis (siehe Blutpaßprogramm der WADA), bei dem mittels statistischer Verfahren die Wahrscheinlichkeit einer Manipulation berechnet wird, wird dazu führen, daß bei Abweichungen von den Normwerten Sportler und ihr Lebensumfeld mit Hausdurchsuchungen und geheimen Telefonüberwachungen zu rechnen haben. Die NADA liefert bereits Verdachtshinweise an eine bayerische Sonderstaatsanwaltschaft. Kürzlich forderte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper ein flächendeckendes System von Anti-Doping-Staatsanwaltschaften in der gesamten Bundesrepublik. ADAMS sowie weitere Datenbanken, in denen die Urin- und Blutwerte von Sportlern gespeichert sind, werden damit zu regelrechten Verdachtsschleudern, von denen auch viele unbescholtene Athleten sowie ihre "potentiellen Hintermänner", sprich ihre Familien und Freunde, getroffen werden. Das alles ist jetzt schon absehbar. Das repressive Anti-Doping-System und seine innere Entfaltungslogik kennt keine Menschlichkeit. Es kennt nur die Qualifizierung der administrativen Verfügungsgewalt. Der Sport wird nicht "sauberer", die Kontrollen nicht "effektiver", die Chancen nicht "gleicher", die Schlupflöcher nicht "weniger" - all diese märchenhaften Versprechungen und sprachlichen Verwirrspiele gilt es zu bestreiten. NADA oder WADA sind auch nicht die "Partner" der Athleten, sondern ihre Wärter, Wächter und Bestrafer. Es geht nicht um den "Schutz" der Athleten, sondern um ihre Funktion. Die Antidoping-Propaganda und ihre massenmediale Verbrämung steckt voller Euphemismen, die keiner näheren Überprüfung standhalten. Um das zu durchschauen, brauchen Athleten kein juristisches oder sozialwissenschaftliches Vollstudium, keine Ausbildung als Chemielaboranten und schon gar nicht Funktionäre, die ihnen sagen, wo es langgeht. Ihr eigener Widerstandsgeist, gepaart mit kritischem Nachdenken, reicht aus.

Die Funktionäre der nationalen Anti-Doping-Agenturen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz läuten bereits die "zweite Dekade" der Dopingbekämpfung ein [3]. Um internationale Chancengleichheit zu suggerieren, sollen in allen Ländern der Welt gleiche Standards für "Testregime" und "Kontrollregime" durchgesetzt werden. An der Begriffswahl der NADA-Vertreter ist bereits zu erkennen, wie hier die Worte der Drangsalierten in die Sprache der Herrschenden transformiert werden, um Affirmation herzustellen. Soweit dem Schattenblick bekannt, hat ein offizielles Organ der Dopingbekämpfung im deutschsprachigen Raum die Tests und Kontrollen für Sportler bislang noch nie als "Regime" bezeichnet, steht dieser Terminus im allgemeinen Sprachgebrauch doch abwertend für eine "(von einer bestimmten Ideologie geprägten) Regierung[sform], Herrschaft", wie das Herkunftswörterbuch des Dudens erklärt. Der Begriff Regime ist normalerweise negativ konnotiert und wird eher mit diktatorischen Systemen, die den Regierten etwas gegen ihren Willen aufherrschen, in Verbindung gebracht. Wenn sich nun die NADA der Sicht der Leidtragenden bemächtigt und Begriffe besetzt, um ihre Interessen durchzusetzen, dann versucht sie auch über die Sprache, den Athleten die Möglichkeiten zu nehmen, sich streitbar und kritisch gegenüber dem "Anti-Doping-Regime" zu artikulieren. Sprachraub heißt auch Denkraub.

"Es wird Zeit, dass politische Akteure im Leistungssport umdenken. Das Ziel: mündige Athleten. Denn nur, wer eigenverantwortliches Handeln lebt, lernt, zu Doping Nein zu sagen", lautet das abschließende Credo von Imke Duplitzer. Dem wäre hinzuzufügen, daß die gegenwärtige Entwicklung in die andere Richtung zeigt: Fortschreitende Entmündigung der Athleten und internationalisierte Kontrollknechtschaft.

Anmerkungen:

[1] www.taz.de. Duplitzer über Antidoping-Agentur. "Das ist wie Arrest". 19.07.2010

[2] www.spiegel.de. Nada-Bilanz. Stochern im Doping-Nebel. Von Peter Ahrens. 07.05.2010

[3] www.nada-bonn.de. Überlegungen zur Stärkung der WADA, zur Verbesserung der Dopingbekämpfung und des Testregimes und zur Gleichbehandlung der Athletinnen und Athleten. Bern, Bonn und Wien, im April 2010

26. Juli 2010