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KOMMENTAR/107: Handball-WM in Schweden - "Kehrmaschinen" statt "Panzer"? (SB)



Die deutschen Elitehandballer scheinen aus dem Krieg zurückgekehrt zu sein - nicht als Helden aus einer siegreichen Schlacht, sondern als geprügelte "Schandballer" (bild.de), die bei der Weltmeisterschaft in Schweden ihr "Waterloo" (spiegel.de) erlebten. Dieselben Sportjournalisten, die noch vor vier Jahren die Weltmeister im eigenen Land hochleben ließen und das "Wintermärchen" echoten, exklamieren nun, da Deutschland auf Platz 11 landete und damit die direkte Teilnahme an einem Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele 2012 verpaßte, den "sportlichen Totalschaden" (fr-online). Nach ihrem "desolaten", "blamablen" und zutiefst "enttäuschten" Auftritt in Schweden sei die Nationalmannschaft ein "Trümmerhaufen". Als die DHB-Auswahl auch noch gegen Norwegen unterlag (25:35), war für die Süddeutsche Zeitung der "Tiefpunkt unter dem Tiefpunkt erreicht". Nach den Tagen der "Demütigung" (SZ) zogen leichtfertige Chronisten schockschwere Bilanz. Es war die "schlechteste WM-Plazierung einer deutschen Mannschaft seit 73 Jahren", schrieben die meisten Online-Publikationen, obwohl Handballkennern natürlich klar ist, daß eine deutsche Mannschaft schon 1989 WM-C-klassig gespielt und 1997 die Teilnahme an der WM-Endrunde verpaßt hatte.

Bereits nach ihrem "unerklärlichen Leistungseinbruch" in der zweiten Halbzeit gegen den Olympiadritten Spanien (24:26) bei der WM-Vorrunde in Kristianstad waren die deutschen Spieler wegen ihrer "Schwächen" und "Fehler" heftig gescholten worden. Als dann der EM-Zehnte gegen den amtierenden Olympiasieger, Welt- und Europameister Frankreich die vorauszusehende schwere 23:30-Niederlage hinnehmen mußte, fühlte sich nicht nur die national gestimmte Volksseele an der Ehre gepackt, sondern auch der Bundestrainer. Als die DHB-Auswahl Gefahr lief, von den haushoch überlegenen Franzosen "abgeschlachtet" zu werden, wie es im Sportjargon heißt, nahm er eine Auszeit und brüllte: "Das geht hier auch um die Ehre! Keiner scheißt den anderen an! So geht das nicht!"

Laut Süddeutscher Zeitung [1] habe Heiner Brand vor allem eines vermißt: "gesunde Brutalität" - natürlich im sportlich fairen Sinne, wie die Trainer dann immer zu sagen pflegen. Als Vertreter seiner Generation, die mit "gesunder, männlicher Härte" auf dem Handballfeld großgeworden ist, forderte Heiner Brand mehr "körperliche Präsenz" von seinen Mannen: "Die müssen dahin gehen, wo es wehtut. Dann bekommen sie eben mal was auf die Nase, aber dann habe ich zwei Minuten und einen Siebenmeter." [2] Solche und ähnliche Aussagen waren von den Medienvertretern in Schweden zuhauf zitiert worden.

Wer sich durch die martialische Wortwahl an die Kriegsberichterstattung erinnert fühlt, liegt keineswegs falsch. Die Sportsprache bedient sich vieler Analogien aus dem Militärischen, um kämpferische Präferenzen, körperliche und spielerische Dominanzen, männliche Selbstbehauptung und soziale Rangordnungen ins Bild zu setzen. Wenn eine überlegene Mannschaft ihren Gegner "abschießt" oder "überrennt", wenn wie beim Militär verletzte (verwundete) oder leistungsschwache (untaugliche) Spieler ersetzt oder aussortiert werden, wenn "Ausfälle" kompensiert und "(Substanz-)Verluste" weggesteckt werden, wenn der mannschaftliche Erfolg davon abhängt, wieviel hochkarätiges und unverbrauchtes "Spielermaterial" dem Trainer zur Verfügung steht, dann ist der menschliche Materialkrieg und seine militärische Rationalität und Organisationsform auch auf dem Spielfeld präsent. Wenn wie in vielen Mannschaftssportarten dann auch noch von "Kampfgeist", "Opferbereitschaft", "bedingungslosem Einsatz" oder "unbedingtem Siegeswillen" die Rede ist, wird der Konnex zwischen sportlichen und soldatischen Tugenden vollends offenbar.

Weil heute eine allzu offene Kriegsmetaphorik in der Sportberichterstattung verpönt ist - und in ihrer aggressivsten Form auch weitgehend verschwunden -, greifen Reporter und Journalisten häufig auf zivilgesellschaftliche Analogien zurück, um körperliche und kämpferische Überlegenheit auszudrücken. Wo die Angreifer einst wie "Panzer" den Gegner überrollten oder seine "Festung sturmreif schossen", kommen heute "Planierraupen" zum Einsatz. So stilisierte die SZ den französischen Nationalspieler Nikola Karabatic als einen Mann, der "seinen Weg mit der Kraft einer Planierraupe bahnt". Auf seinem Rücken habe der DHB-Spieler Holger Glandorf (1,95 m/92 kg) "wie eine Stabheuschrecke auf einem Braunkohlebagger, der sich unbeirrt durchs Gelände fräst", gewirkt. Auch Heiner Brand war von der überlegenen Körperlichkeit der Franzosen beeindruckt. Der Weltmeister von 1978 sei selbst seinerzeit ein "gefürchtet körperlicher Abwehrspieler" gewesen, schreibt die SZ, "der die Gegner hartnäckig wie eine Stechmücke umschwirrte, mit der Penetranz eines Staubsaugervertreters belagerte und schließlich mit der Kraft einer Schrottpresse und der Gründlichkeit einer Kehrmaschine aus der Gefahrenzone beförderte". [1]

Ganz ohne Kriegsanalogien will es aber auch die Südddeutsche Zeitung nicht machen. Schließlich führt die Bundeswehr im Rahmen der NATO nun schon im zehnten Jahr Krieg in Afghanistan. So reflektiert die SZ die Kriegspropaganda in ihrer Handball-Berichterstattung folgendermaßen: "Während die Franzosen wirken wie eine Spezialeinheit, die zum Schutz des amerikanischen Präsidenten beim Besuch in Osama Bin Ladens Höhlenfestung abgestellt wurde, vermitteln die deutschen Spieler im Vergleich den Eindruck einer Volleyball-Mannschaft, die sich wundert, wo bitteschön hier eigentlich das Netz ist (bis auf den tüchtigen Abwehrmann Oliver Roggisch natürlich, der die Höhlenfestung im Alleingang auseinandernähme, wenn er nicht gerade mal wieder eine Zwei-Minuten-Strafe verbüßte)." [1]

Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die militärische Indienstnahme des Sports auf ein sprachliches Problem zu reduzieren. Gerade anhand der noch recht jungen Mannschaftssportart Handball läßt sich beispielhaft veranschaulichen, wie aus einem vergleichsweise harmlosen Ballspiel ohne allzugroße Härte ganz bewußt ein politischen und militärischen Zwecken dienendes "Kampfspiel" mit soldatisch-männlichen Härteidealen gemacht wurde, das nicht von ungefähr unter der nationalsozialistischen Sportführung seine Blütezeit erlebte.

Ursprünglich war das Handballspiel in Deutschland ein Frauenspiel, das unter der Federführung des damaligen Frauenturnwarts in Berlin, Max Heiser (1879-1921), konzipiert wurde und bei dem "jedes körperliche Angehen, jeder Angriff auf den Gegner" verboten war. Heisers "Torball" wurde in den Jahren 1915 bis 1917 auf einem Spielfeld von 50 Meter Länge und 20 Meter Breite ausschließlich von Frauen und Mädchen gespielt, bis im Oktober 1917 der Frauenausschuß des Berliner Turnraths die Umbenennung in Handball beschloß. Dennoch kann Max Heiser nicht als Gründer des modernen Handballs angesehen werden. Zu weit wich seine Spielidee und Intention vom bewußt herausgestellten Kampfcharakter des neuen deutschen Volksspiels ab, das während des 1. Weltkrieges entwickelt und, wie Handballhistoriker zu berichten wissen, zur Kanalisierung der von der Front zurückkehrenden Soldaten sowie als (heimlicher) Wehr-Ersatz diente, da zur damaligen Zeit die Militärbestimmungen des Versailler Vertrages die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland verboten.

Aus diesem Grunde ist der wahre Vater des (Feld)Handballs in Carl Schelenz (1890-1956) zu sehen, der 1919 daran ging, das ehemalige Torballspiel für Männer und Jugend auszubauen. Als Spitzensportler, der von 1916 bis 1918 dreimal den Titel des deutschen Leichtathletikmeisters im Hoch- und Weitsprung errungen hatte, verlangte er in den Lehrgängen von seinen Schülern absolute Disziplin, wenn er stundenlang unter vollem Einsatz immer wieder die gleichen Spielzüge üben ließ. Erst als Schelenz den Grundgedanken des damaligen Fußballs in Heisers Torball einfließen ließ, war der moderne Handball geboren. Das "Ball aus der Hand schlagen" und der körperliche Einsatz von vorne im Kampf um den Ball wurden gestattet, wodurch das Spiel den anvisierten Kampfcharakter annahm. Schelenz' ausdrückliches Ziel bestand auch darin, ein urdeutsches Spiel zu entwickeln, das nicht nur Weltgeltung erlangen, sondern im Wettstreit mit dem englischen Fußball und seinen Ablegern als Sieger hervorgehen sollte. Als Kind seiner Zeit legte der Kriegsveteran jene Werte und Tugenden zugrunde, wie sie das Militär als effektivste Form der Disziplinierung von Soldaten und zur Sicherstellung des Kriegsglücks anwandte. Dies ist insofern von zentraler Bedeutung, als hier bereits auf bewährte Traditionen der Gehorsamsschulung, des Drills und der Leistungssteigerung aufgebaut wurde, welche später im modernen Hochleistungssport ihr Äquivalent in der geradezu verinnerlichten Selbstoptimierung für den Erfolg finden sollten - körperliche Verletzungen und Langzeitschäden inklusive.

Im modernen Spitzenhandball bedarf es allerdings nicht mehr des Kasernenhofstils vergangener Tage. Das hängt einerseits mit der Professionalisierung und Kommerzialisierung des Handballs zusammen, die den Aktiven ganz andere sozioökonomische Zwänge auferlegt als den damaligen Freizeit- und Amateurspielern, andererseits wurden unter dem Einfluß veränderter pädagogischer und sportwissenschaftlicher Konzepte (Selbstverantwortung und -disziplinierung) andere Akzeptanzhaltungen und Anreize für die Spieler erzeugt, die Härten ihrer sportlichen Leidenschaft als quasi naturgegeben und mit "professioneller Einstellung" hinzunehmen.

In seiner rund 90jährigen Geschichte hat der deutsche (und internationale) Handball zweifellos viele sportpolitische, regel- und marketingtechnische Metamorphosen durchlaufen. Sowohl die mediale Rezeption und Inszenierung des Elitehandballs (Berliner Kurier: "Handball-Land ist abgebrand") als auch Adaption und Auslegung durch seine Interpreten (Oliver Roggisch: "Vielleicht war es ganz gut, dass uns die Presse mal den Arsch versohlt hat.") und Lehrer (Heiner Brand wünscht sich zweikampfstarke und furchtlose Spieler, die auch mal sagen, "hier sind wir, das machen wir, und wenn da eine Lücke ist, gehe ich rein. Egal, ob mir einer auf die Nase haut". [3]) zeigen einmal mehr, daß "Körperlichkeit", "Kampf" und "Härte" weiterhin die Kardinaltugenden sind, mit denen Handballkriege gewonnen werden sollen. Der Nachschub robusten deutschen Spielermaterials sei allerdings, so der einhellige Tenor der Sport(kriegs)berichterstattung, momentan ins Stocken geraten. "Der französische Individualismus hat über das 'mannschaftlich geschlossene' Kollektivspiel anderer Nationen, allen voran Deutschland, gesiegt", hatte schon 2008 die Handballpresse analysiert, nachdem Frankreich Olympiasieger geworden war. Um kraftvolle "Kehrmaschinen" französischer Baureihe hervorbringen zu können, muß der Deutsche Handballbund wohl noch einmal seine "Rahmentrainingskonzeption" nachjustieren, die die körperliche und handballspezifische Ausbildung sämtlicher Kinder und Jugendlichen im mitgliederstärksten Handballverband der Welt vorgibt. Wie die militärische Rekrutenausbildung bedarf auch die sportliche Talentezucht einer generalstabsmäßigen Planung, damit am Ende wieder deutsche Siegertypen "Wintermärchen" erzählen.

Anmerkungen:

[1] www.sueddeutsche.de. Handball-WM: Deutschland - Frankreich. Planlos und schockiert. 19.01.2011. Von Christian Zaschke, Kristianstad.

[2] www.sueddeutsche.de. dpa. Brand will harte Kerle - "Muss mal wehtun". 20.01.2011.

[3] www.fr-online.de. Autor: Jörg Hanau. 20.01.2011.

1. Februar 2011