Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/130: Maulkörbe, Abmahnungen, Pressezensur - Armutszeugnisse im Fußball- und Handballgewerbe (SB)



Profi- und SpitzensportlerInnen laufen immer mehr Gefahr, daß die Bewunderung, die ihnen (noch) von Teilen der Bevölkerung entgegengebracht wird, in pure Verachtung umschlägt. Nicht, weil sie sportlich weniger Respektables leisten würden, sondern weil die Bedingungen, Regeln und Maßgaben, die ihnen von den Funktionsträgern des Sports diktiert werden, immer rigidere Formen von Unterwürfigkeit und Entmündigung annehmen. Die generelle Bereitschaft von Profi- und SpitzensportlerInnen, sich dies aus opportunistischen Karrieregründen gefallen zu lassen und ihren Funktionären nach dem Mund zu reden, könnte irgendwann ein Maß erreicht haben, das selbst dem gutgläubigsten und wohlmeinendsten Sportkonsumenten sauer aufstößt. Wer möchte schon Maulkorbträgern zujubeln - müßte sich da der Fan nicht selbst wie ein Kriecher vorkommen?

Die beiden stärksten und geschäftigsten Mannschaftssportarten in Deutschland, Fußball und Handball, lieferten dieser Tage beredte Beispiele für professionelles Kriechertum. Bayerns Fußballstar Philipp Lahm hatte anläßlich der Vorab-Veröffentlichung seines Buches "Der feine Unterschied" einige als "Interna" bezeichnete Banalitäten aus dem Alltag des Profispielers zum besten gegeben. Daraufhin ging einigen emotional leicht entflammbaren "Persönlichkeiten" des Fußballs die Hutkrempe hoch, und sie verurteilten Lahms Schilderungen in aller Schärfe. Es lohnt nicht die Mühe, alle Aufreger - nachzulesen in der täglichen Jubel- und Prangerpresse - im einzelnen aufzuführen. Obwohl Lahm sich nach nahezu einhelligem Urteil der Medien nichts geleistet hat, was für einen handfesten Skandal getaugt hätte, für die Betroffenen wirklich verletzend gewesen wäre, nicht schon an anderer Stelle gesagt oder von früheren Autobiographen, die die Verhältnisse im Fußballgewerbe kritisierten, mit viel drastischeren Worten und Beispielen beschrieben worden wäre, sah sich der Vorzeige-Kapitän des FC Bayern München und der DFB-Auswahl dennoch zum öffentlichen Kotau veranlaßt. Das läßt tief blicken, wie die Gesetze des Gewerbes wirklich funktionieren: Wer sich nichts hat zuschulden kommen lassen, muß sich dennoch für "sachliche Kritik" in aller Öffentlichkeit entschuldigen - vorbeugend, damit niemand auf den Einfall kommt, wirklich einmal aus dem Nähkästchen zu plaudern.

Wie man vermeintlich mündigen Profis den Mund verbietet und gleichzeitig den Schein wahrt, man trete für den mündigen Spieler ein, dafür gab DFB-Teammanager Oliver Bierhoff beredten Anschauungsunterricht: "Wir wollen zwar mündige Spieler, die auch mal klar ihre Meinung sagen. Im konkreten Fall hat Philipp allerdings die Grenzen überschritten. Es war aber nach Bewertung des gesamten Buches für uns zu keinem Zeitpunkt ein Thema, Philipp als Kapitän abzusetzen, wie das schon von einigen spekuliert wurde." Wie die DFB-Hauspresse am 25. August verlauten ließ, sei auch der Bundestrainer der Ansicht, daß durch die Vorab-Veröffentlichungen des Buches ein Gesamtbild entstanden sei, das zu Irritationen geführt habe. Dazu Joachim Löw: "Es gibt einige Passagen in dem Buch, die mir nicht gefallen, weil hier ein Spieler einige Trainer, die lange und erfolgreich gearbeitet haben, öffentlich beurteilt." [1]

Für den vermeintlichen Frevel, jemanden nicht etwa kritisiert, sondern lediglich "öffentlich beurteilt" oder bei einigen für "Irritationen" gesorgt zu haben, leistete Philipp Lahm artig Abbitte. Nach einem Gespräch mit der DFB-Teamleitung erklärte Lahm drei Tage vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich: "Der Trainer hat gestern klargestellt, daß er es nicht will, daß aktuelle Spieler über andere oder ehemalige Trainer urteilen. Deswegen werde ich sicher nicht mehr über Trainer urteilen. Wenn es der Trainer so will, dann habe ich mich daran zu halten. Und das werde ich auch tun, das ist doch klar." [2]

Wie weit wollen denn die Musterprofis die eigene Selbstverleugnung noch treiben? Obwohl sogar Löw (der im übrigen in Lahms Buch über den Klee gelobt wird) auf der Pressekonferenz des DFB erklärte, Lahm habe keine Interna rausgegeben und nur Bekanntes wiedergegeben, bezeichnete es der servile Nationalspieler als "Fehler", daß er Trainer "sachlich kritisiert" habe - "weil man das als aktiver Spieler eben nicht tut".

Der alte Trainerspruch, ein Spieler hat nicht zu denken, sondern nur zu funktionieren, ist damit um eine Variante reicher geworden: Ein Spieler hat seine Trainer oder Funktionäre auch nicht öffentlich zu beurteilen oder sachlich zu kritisieren. Offensichtlich funktioniert der professionelle, von der Öffentlichkeit lebende Fußball nur, wenn die sprachentmündigten Spieler lediglich Belangloses, Geschöntes oder dem Image von Verein/Verband Förderliches in die Medien tragen.

Diesbezüglich hatte Philipp Lahm eigentlich seine Lektion längst gelernt. Als er im November 2009 in einem Interview der Süddeutschen Zeitung fußballimmanente Kritik am FC Bayern, Trainer van Gaal und seinen Mitspielern geäußert hatte, bekam der Abwehrspieler von der Klubführung umgehend eine Rekordgeldstrafe aufgebrummt. Wie der FCB damals klarstellte, sei es "ein absolutes Tabu, in der Öffentlichkeit Kritik gegen den Klub, den Trainer und Mitspieler zu äußern". Außerdem müßten Interviews "ausschließlich beim Club angefragt und organisiert und zum Autorisieren für den Spieler vorgelegt werden. Dies ist im Lizenzvertrag festgelegt und von jedem Spieler bestätigt". Bayerns Manager Uli Hoeneß zürnte seinerzeit: "Das Interview wird er noch bedauern." Lahm, der zweistellige Millionenbeträge pro Jahr verdienen soll, entschuldigte sich für seine Äußerungen bei der Klubführung und akzeptierte die Geldstrafe. Sein jüngster Kniefall vor den Fußballautoritäten belegt, daß ihm das Bedauern in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Die von den Fans angehimmelten oder verehrten Profis sind also genaugenommen Maulkorbhelden, die nur das sagen, was ihnen erlaubt oder vom Verein/Verband autorisiert ist. Das Vorverdaute wird dann in den TV-, Hörfunk- und Printmedien wiedergekäut, auf heroische oder skandalwertige Restbestände untersucht, emotional angeschwitzt und als leichte Unterhaltungskost von den Massenkonsumenten weiterverdaut.

Die Kontrolle der öffentlichen Meinung und Berichterstattung ist allerdings nicht nur auf die Spieler beschränkt, sondern auch auf das Medium selbst. "Zugangsbeschränkung, Zeitkorridor und Zitatkontrolle heißen die Hilfsmittel. Man kann das altmodisch aber auch anders nennen: Zensur", klagte sogar die DFB-nahe, den Sportmainstream bedienende FAZ [3] über die verknappten und kontrollierten Zugänge für Medien. "Selbst das Training von Löw zu beobachten, ist kaum mehr möglich. Spätestens nach einer Viertelstunde müssen Journalisten das Gelände verlassen." Auch Gespräche mit Spielern, die nicht als Interview verwertet werden, unterlägen mittlerweile der Kontrolle. Interviews und Zitate aus Gesprächen jenseits der Mixed Zone und Pressekonferenz würden ohnehin kontrolliert, monierte die FAZ.

Zur Kanalisierung und Vervielfältigung des Infotainments hat der DFB schon vor Jahren das sogenannte Presse-Pooling eingeführt: Journalisten verschiedener Zeitungen müssen sich im Vorwege zu Pools zusammenschließen und sich intern darauf einigen, mit welchen Nationalspielern sie reden wollen. Erteilt die DFB-Presseabteilung die Genehmigung, wählt der Pool einen Delegierten, der dann das Interview führen darf - zusammen mit Abgesandten aus anderen Presse-Pools. Gesprächsaufnahmen oder Transkripts werden dann den Kollegen zur Verfügung gestellt, was zu einer landesweiten Vereinheitlichung der Berichterstattung führt. Exklusivinterviews bekommen ohnehin nur die großen Zeitungen oder "verläßlichen" Journalisten, sprich die Hofberichterstatter.

Damit nicht genug. Im Schlagschatten des "großen Bruders" Fußball hat der professionelle Handballsport einen Maulkorb eingeführt, der Kritik an Schiedsrichtern, zumindest gegenüber den Medien, unterbinden soll. Seit dieser Saison verbieten die neuen Durchführungsbestimmungen der Handball Bundesliga (HBL) den Spielern und Offiziellen, sich bis 48 Stunden nach einer Partie zur Leistung von "Schiedsrichter, Zeitnehmer und Sekretär und den Technischen Delegierten zu äußern". Zuwiderhandlungen können mit bis zu 5.000 Euro Strafe geahndet werden. Im Basketball gibt es bereits eine ähnliche Regelung. Als willkommener Anlaß für das Redeverbot diente ein Auftritt des CDU-Abgeordneten Frank Steffels im März. Der Präsident des Hauptstadt-Erstligisten Füchse Berlin hatte nach dem Pokalviertelfinale der Füchse gegen den THW Kiel dem Schiedsrichter-Gespann Fleisch/Rieber Parteilichkeit vorgeworfen.

Das Kuriose an der neuen Regel: Sie gilt nur für Akteure, die direkt am Spiel beteiligt sind. Alle anderen dürfen weiterhin die Schiedsrichter kritisieren. Während Spieler und Offizielle - also die Insider, die noch den größten Durchblick haben, was wirklich auf dem Spielfeld abgelaufen ist - künftig den Mund halten sollen, darf auf den Tribünen und Reporterplätzen munter weiter geschlaumeiert werden. Offiziellen Stellungnahmen zufolge erhofft sich die Liga weniger emotionsgeladene Kritik nach einem Spiel durch die Betroffenen. DHB-Schiedsrichterwart Peter Rauchfuß verteidigt die Novelle mit den Worten: "Es gilt, die wenigen Unvernünftigen zu reglementieren." Tatsächlich jedoch werden durch das Redeverbot alle Beteiligten reglementiert.

Offensichtlich will die Handball-Bundesliga ihr Image aufpolieren, nachdem in der Vergangenheit zu häufig über die großen Ermessensspielräume der Unparteiischen berichtet wurde, wiederholt Fälle von Schiedsrichterbestechungen ruchbar geworden waren und sich auch der Gerichtsprozeß gegen Ex-THW-Manager Uwe Schwenker und Ex-Trainer Zvonimir Serdarusic hinschleppt. Beiden wird seit März 2009 vorgeworfen, durch Schiedsrichter-Bestechung das Champions-League-Finalrückspiel von 2007 gegen die SG Flensburg-Handewitt verschoben zu haben.

Wie im Fußball wollen auch die Handballfunktionäre einen möglichst reibungslosen Sportbetrieb haben, der unter ihrer Rezeptions- und Kommunikationsherrschaft abläuft. Die deutsche Handballspielervereinigung GOAL ließ indessen der HBL über einen Anwalt mitteilen, daß man die Neuregelung als Eingriff in die Meinungsfreiheit betrachte. Sie verlangt eine Rücknahme des neuen Passus. Vollkommen zu Recht wies ein GOAL-Vertreter darauf hin, daß die Profis ja auch nach dem Spiel bewertet würden.

Die Fußballprofis sollten sich am Protest von GOAL ein Beispiel nehmen. Warum werden die Leistungen der Spieler bewertet, beurteilt, kommentiert und kritisiert, nicht aber umgekehrt die der Trainer und Offiziellen? Könnte es vielleicht sein, daß die über Regelgewalt durchgesetzten Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnisse im Profisport nicht in Frage gestellt werden sollen?

Seit dieser Saison werden die Fußballprofis mit Hilfe eines Tracking-Systems durch das Münchner Unternehmen Impire AG überwacht und ausgezählt. Während Hofberichter die verwissenschaftlichte Beschleunigung des Konkurrenzsystems schönreden und das Blaue vom gläsernen Datenhimmel herunter erzählen [4], schreiten Trainer nach der Entlarvung und Bezichtigung von "lauffaulen" Profis bereits zur Tat. Dank "objektiver Analysen" durch den DFL-Datenerfasser können die Cheftrainer nun reinen Gewissens verschärfte Straftrainings gegen Profis mit zu wenig Kilometerleistung oder Zweikampferfolgen aussprechen. Und nicht nur das. Wie der Kicker berichtete [5], soll Wolfsburgs Trainer Felix Magath wegen "Lauffaulheit" eine arbeitsrechtlich umstrittene Geldstrafe gegen die VfL-Profis Patrick Helmes und Mario Mandzukic von jeweils 10.000 Euro verhängt haben. Nach dpa-Angaben (5.9.11) habe sich Magath nach dem Vorfall bedeckt gehalten: "Das sind Interna, darüber spreche ich nicht." Allmählich sollte auch den größten Ignoranten klargeworden sein, warum Interna im Profigewerbe nicht nach außen dringen und Spieler ihre Trainer, die Spitznamen wie "Quälix" tragen, nicht öffentlich beurteilen dürfen.

Anmerkungen:

[1] www.dfb.de. "Löw und Bierhoff führen Gespräch mit Lahm und Spielerrat". 25.08.2011.

[2] tv.dfb.de/index.php?view=3666. Pressekonferenz mit Joachim Löw und Philipp Lahm. 30.08.2011.

[3] www.faz.net. "Zensurbehörde Bundesliga". Von Michael Horeni. 21.09.2010.

[4] Siehe Bericht von Daniel Theweleit "Der gläserne Fussballspieler" bei DRadio Wissen am 05.09.2011.

[5] www.kicker.de. "Magath macht Spielern mit Geldstrafen Beine". 05.09.2011.

6. September 2011