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KOMMENTAR/167: Potsdam vs. Frankfurt - Vermännlichung des Frauenfußballs schreitet voran (SB)




Willkommen in der Männerdomäne Sport. Nun hat auch der Frauenfußball die Schlagzeilen, nach denen er sich im Kampf um Gleichberechtigung innerhalb der vorherrschenden Leistungs- und Erfolgsnormen so sehnt. "Drei Verletzte, ein später Siegtreffer und jede Menge Pöbeleien" titelte die Süddeutsche Zeitung [1] nach dem Bundesliga-Spitzenspiel zwischen den "Erzrivalen" Turbine Potsdam und 1. FFC Frankfurt (1:2) am vergangenen Sonntag. Die Deutsche Presse-Agentur wußte gar von einem "Verletzungsdrama im 'Hassgipfel'" [2] zu berichten.

Nach Darstellung der SZ begann der "Eklat" in der 88. Minute beim Stand von 1:1. Die Potsdamerinnen Stefanie Mirlach und Alexandra Singer erlitten bei einem Zusammenprall schwere Kopfverletzungen. Erstere zog sich eine schwere Gehirnerschütterung und eine Platzwunde zu, ihre Mitspielerin ein Schädel-Hirntrauma und eine zwölf Zentimeter lange Platzwunde an der Stirn. Nach der minutenlangen Spielunterbrechung und dem Abtransport der Spielerinnen ins Krankenhaus (unter dem stehenden Applaus des Publikums) hätten die neun übrig gebliebenen Potsdamerinnen auf einen "Nicht-Angriffspakt" gehofft, schreibt die SZ. Doch Frankfurt habe druckvoll weitergespielt und den Siegtreffer gewollt. Den erzielte Nationalspielerin Fatmire Bajramaj dann tatsächlich noch in der Nachspielzeit. Sie besiegelte damit die erste Saisonniederlage der ohnehin von zahlreichen Verletzungsausfällen geschwächten Turbine-Damen. Das Hochgefühl der Torschützin sollte jedoch nicht lange währen. Bajramaj wurde wenig später von der Turbine-Spielführerin Tabea Kemme gefoult. Einige Medien sprechen von einem "Frust-Foul". Die Gefoulte erlitt dabei einen Riß des vorderen Kreuzbandes im rechten Knie und mußte ebenfalls ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ihr stehen nun mindestens acht Monate quälende Rehabilitation bevor. Insgesamt also ein gelungenes Spitzenspiel: Zweikampfhärte, Fouls, Verletzte, Dramatik, Emotionen, Schlagzeilen.

Potsdams Meistertrainer Bernd Schröder machte der Schiedsrichterin später zum Vorwurf, daß sie die Partie in der 88. Minute nach den schweren Kopfverletzungen der Spielerinnen nicht beendet habe: "Man weiß doch um die Psyche von Frauen. Wenn sie Blut sehen, dann geht nichts mehr", so Schröder vieldeutig. Vermutlich meinte er, daß Frauen etwas anders ticken als Männer, wenn sie Blut sehen. Hier ist die Vermännlichung des Frauenfußballs also noch nicht hundertprozentig geglückt. Mann stelle sich vor, das gleiche würde Soldatinnen passieren, die ebenfalls um gleichberechtigte Teilhabe an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr kämpfen. Wer soll dann cool und professionell die staatlichen Gewaltaufträge ausführen, wenn das Blut zu fließen beginnt? Und was heißt schon "Nicht-Angriffspakt", wo doch im Sport wie im Krieg am Ende allein der Erfolg zählt? Seit wann sind denn Verletzte oder Verwundete ein Argument dafür, beinharten Konkurrenzkampf und gesunde Leistungsorientierung grundsätzlich in Frage zu stellen? Nach Auskunft der SZ wurde die Kritik Schröders von seinem Leib-und-Magen-Gegner Siegfried Dietrich, Manager in Frankfurt, empört zurückgewiesen: "Die Schiedsrichterin darf doch nicht einfach abpfeifen. Das geht nur, wenn Spieler oder Zuschauer in Gefahr sind."

Das Topspiel, das mit 4.120 Zuschauern für Frauen-Bundesligaverhältnisse (Liga-Schnitt rund 800) ausgesprochen gut besucht war, soll außerdem von vielen Pöbeleien und Anfeindungen aus dem Publikum heraus begleitet gewesen sein. Verhältnisse also wie in der Männer-Bundesliga, dem Hort mustergültiger Leistungseinstellung, sozialen Miteinanders und integrativer Wertevermittlung - jedenfalls in den Sonntagsreden seiner Sinnstifter und Profiteure.

Um professionellere Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen, steckt der Deutsche Fußballbund (DFB) nicht erst seit der Weltmeisterschaft 2011 im eigenen Land sehr viel Geld und PR in den Frauenfußball. Die Inszenierung des Elitefußballs soll möglichst geschlechtsneutral über die Bühne gehen - Männer wie Frauen sollen gleichermaßen über die Leistungsmaßstab balbiert werden. Auch hierfür bot das "Haßduell" zwischen Potsdam und Frankfurt vorbildlichen Anschauungsunterricht. Während die Berichterstattung über Frauensport normalerweise hochgradig sexualisiert ist (rund 90 Prozent der Sportjournalisten sind männlich) und die mediale Inszenierung weiblicher Sportarten immer unverhohlener die männlichen Erwartungen zu bedienen sucht, verzichteten die Sportredaktionen diesmal darauf, die schwerverletzte Frankfurter Torjägerin Fatmire Bajramaj als "Glamour-Girl" oder "meistfotografierte Fußballerin Deutschlands" zu apostrophieren, wie dies noch anläßlich der WM 2011 der Fall war. Wegen ihres guten Aussehens und ihrer scheinemanzipierten Attitüden ("Ich bin gerne eine selbstbewusste Tussi." [3]) sowie ihres interessanten Migrations-Hintergrunds, der sich vorzüglich für die Integrationskampagnen des DFB eignet, war die im früheren Jugoslawien geborene Stürmerin zur Werbeikone mit dem größten Vermarktungspotential im deutschen Frauenfußball aufgestiegen. Doch nun mußte die Sportsoldatin auf dem Spielfeld ihren Blutzoll in Form eines gerissenen Kreuzbandes entrichten - das von Männern wohlwollend goutierte Härte-Äquivalent zu den Weiblichkeitsbeweisen, die Sportlerinnen ebenfalls noch ableisten müssen, um sich als Produkt gut vermarkten und als Frau sexuell attraktiv präsentieren zu können. Die auch von Sportwissenschaftlern oft zu hörende Kritik, daß Sportlerinnen in den Medien zunehmend als Schönheits- und Sexsymbole dargestellt würden, obwohl sie doch eigentlich nur an ihren sportlichen Leistungen zu messen wären, unterstellt einen fundamentalen Unterschied zwischen körperlicher Leistungsschau auf der einen Seite und ästhetisierter oder sexualisierter Körperschau auf der anderen - siehe die fließenden Übergänge zwischen Kunstturnen und Rhythmischer Sportgymnastik bis hin zu Tennis, Synchron-Schwimmen und Beachvolleyball. In dem einen wie im anderen Fall tragen die Sportlerinnen ihre Haut zu Markte, zum Teil mit erheblichen physischen und psychischen Verletzungen und Abnutzungserscheinungen. Die Kulturleistung des professionellen Fußballs besteht darin, daß die Spielerinnen während ihrer befristeten Zeit als Leistungsträgerinnen glauben, sie könnten diesen Preis bezahlen, um sich auf lustvolle Weise von dem zu befreien, was ihnen die Hochleistungsgesellschaft als permanente Last und Bringschuld auferlegt.

Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/sport/eklat-in-der-frauen-bundesliga-drei-verletzte-ein-spaeter-siegtreffer-und-jede-menge-poebeleien-1.1484184. 01.10.2012.

[2] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/fussball_nt/article109568441/Notstand-bei-Turbine-nach-Hass-Duell.html. 01.10.2012.

[3] Der große Kick für das Glamourgirl. Von Jürgen Ahäuser. 20.06.2011.
http://www.fr-online.de/frauen-fussball-wm-2011/frauen-wm-2011-der-grosse-kick-fuer-das-glamourgirl,8487620,8574956.html

4. Oktober 2012