Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/181: Feigenblatt WM - Win-win für Profiteure (SB)


Hungerlöhne, Sklaverei und Unterdrückung - hoher Blutzoll für Fußball-Weltmeisterschaften



Die Frage, ob westliche Demokratien käuflich sind, zeugt sicherlich von ähnlicher Naivität wie die Frage, ob der Sport käuflich ist. Im Fall von Katar kommt jedoch beides auf so offenkundige Weise zusammen, daß man geneigt sein könnte, sich achselzuckend abzuwenden, um sich nicht mit dem Naheliegenden konfrontieren zu müssen. Entsprechend kurz war das Rauschen, als die Meldung durch den Blätterwald fegte, unser Wirtschaftspartner Katar sei ein "Sklavenhändler-Staat", der für die Errichtung seiner feudalen Sportstätten, Prachtanlagen und Infrastrukturen reihenweise Bauarbeiter sterben läßt. Wie die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes ITUC, Sharan Burrow, prognostizierte, "werden wahrscheinlich mehr Arbeiter sterben als die 736 Fußballer, die bei der WM auf dem Rasen stehen". [1]

Die erdgas- und erdölreiche Golfdiktatur, die sich mit ihrer üppigen Scheckbuchdiplomatie in Europa und anderen Teilen der Welt - auch auf dem Felde des Sports - politische Protektion, Marktmacht und Medieneinfluß erkauft, ist bekanntlich Austragungsland der Fußball-Weltmeisterschaft 2022, für die gewaltige Milliarden-Summen in Bau- und Infrastrukturprojekte gesteckt werden, von denen auch deutsche Unternehmen kräftig profitieren. Hatte das europäische Fußballbusiness bislang allenfalls seine Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, ob man es den Profispielern zumuten könne, eine Fußball-WM bei der extremen Sommerhitze in Katar zu spielen, weshalb auch über eine Verlegung der Veranstaltung in den Winter diskutiert wird, da fahren nun Gewerkschaftsvertreter dieser Ablenkungsdebatte mit der Horrormeldung in die Parade, für die FIFA-WM 2022 würden pro Woche vier Bauarbeiter sterben.

"Es gab 1000 Situationen im vergangenen Jahr, bei denen Arbeiter verletzt oder getötet wurden", sagte Tim Noonan, Kommunikationschef des ITUC, dem auch der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB angehört. "Im Moment sterben im Schnitt vier Nepalesen pro Woche. Meistens wird keine Autopsie durchgeführt. Die Toten werden in Särge gelegt und nach Hause geschickt." [2]

Die Arbeitsbedingungen in Katar - betroffen sind vor allem Arbeitsmigranten, die laut Human Rights Watch 94 Prozent des gesamten Arbeitskräftepotentials stellen - sind derart miserabel, daß der internationale Gewerkschaftsverband weitere Protestkampagnen starten will, sollten sich die Zustände, die nur als "moderne Sklaverei" bezeichnet werden können, nicht zeitnah ändern. Nach Angaben von ITUC-Vertretern hätten die Arbeitgeber fast völlige Kontrolle über die Arbeitnehmer. Sie alleine entschieden, ob der Job gewechselt oder das Land verlassen werde dürfte. Auch seien oftmals versprochene Leistungen und Gehaltszahlungen nicht eingehalten worden. Da die ausländischen Arbeiter keiner Gewerkschaft beitreten dürften, seien sie zudem bei ausbleibenden Zahlungen oder ungerechtfertigten Lohnabzügen nahezu rechtlos. Die Arbeitsmigranten - insgesamt 1,2 Millionen vor allem aus Süd- und Südostasien - müßten zudem in schmutzigen, überfüllten Arbeitslagern leben, die Zimmer seien beengt und bei 50 Grad Celsius oft ohne funktionierende Klimaanlage. Die meisten würden lediglich mit einen Hungerlohn von 78 Cent pro Stunde abgespeist und könnten Katar nicht verlassen, weil man ihnen die Pässe abgenommen habe. Nicht nur aufgrund der hohen körperlichen Belastungen mit Arbeitsschichten von teilweise weit über 10 Stunden pro Tag, sondern auch wegen der niedrigen Sicherheitsstandards, die zu schrecklichen Unfällen führten, befänden sich die Bauarbeiter in Lebensgefahr.

Als eine der wenigen überregionalen Zeitungen, die sich des brisanten Themas länger als für die tägliche Schlagzeilenproduktion annahmen, berichtete Neues Deutschland (online) - nicht gerade für eine kritische Sportberichterstattung bekannt, die mit der Verherrlichung des leistungssportlichen Sklavenkörpers auf Kriegsfuß stünde - ausführlicher über den internationalen Gewerkschaftsprotest im Zusammenhang mit Katar. Das steht der "sozialistischen Tageszeitung", die sich "linken Journalismus" auf die Fahne geheftet hat, sicherlich gut zu Gesichte.

Unter der Überschrift "Moderne Sklaverei" ist bei Neues Deutschland (online) zu lesen: "China, Polen, Ukraine, Russland, Katar - in nahezu allen Staaten, in denen in der jüngeren Vergangenheit Großereignisse des Sports stattfanden oder in den kommenden Jahren geplant sind, wurden und werden die Rechte der Arbeitskräfte bei der Errichtung der Sportstätten massiv mißachtet." Dann aber folgender Satz: "Eine Erfolgsgeschichte immerhin gibt es: Die Fußball-WM in Südafrika 2010 brachte deutliche Verbesserungen für die Beschäftigten des Bausektors." [3]

Von welcher "Erfolgsgeschichte" ist hier die Rede? Hauptprofiteur war neben ausländischen Unternehmen und der herrschenden Klasse in Südafrika vor allem die FIFA, die einen Rekordgewinn von rund zwei Milliarden Dollar einstrich - weit mehr als vier Jahre zuvor in Deutschland und natürlich steuerbefreit. Und das in einem Land, in dem etwa die Hälfte der Bevölkerung in bitterster Armut lebt.

Für die armen und benachteiligten Menschen in Südafrika, das durch die WM ein Finanzloch von rund zweieinhalb Milliarden Euro stopfen muß, hat sich so gut wie nichts verändert. Gegen die grassierende Arbeitslosigkeit, die bei offiziell 25 Prozent (inoffiziell 40) liegt, hat die WM nichts beitragen können. Im Gegenteil, die sozialen Gegensätze im ehemaligen Apartheidstaat sollen sich durch die Fußball-WM sogar noch verschärft haben. Das bestätigte der südafrikanische Aktivist Gaby Bikombo bei einem Treffen von Vertretern des Südafrika-Netzwerks Kosa mit AktivistInnen des Brasiliennetzwerkes KoBra in Berlin rund ein Jahr nach der WM-Sause im eigenen Land. Weil ähnliche katastrophale Entwicklungen für die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Brasilien zu erwarten sind, versuchen Menschenrechts-AktivistInnen sowie VertreterInnen aus Gewerkschaften, NGOs und Umweltverbänden Informationsnetzwerke zu knüpfen und Protestkampagnen auf den Weg zu bringen. Aber vor allem auch Lehren aus Südafrika zu ziehen. Arbeitsplätze, die kurzzeitig durch Stadionbauten und Infrastrukturprojekte entstanden, gingen allesamt wieder verloren, berichtete Bikombo in Berlin. Sechs der Stadienneubauten seien heute "Weiße Elefanten" - unnütze Luxusbauten, die vor allem hohe Betriebskosten erzeugen und zu Lasten anderer sozialer Projekte gehen. 20.000 Menschen hätten im Zuge von Zwangsumsiedlungen und lokalen Säuberungsaktionen ihr Zuhause verloren, Straßenhändler wurden zudem gewaltsam zugunsten der Fifa-Lizenzpartner vertrieben. [4] Hinzu kamen von der Fifa diktierte Knebelverträge, exklusive Vermarktungsrechte und Sondergesetze, massive Aufrüstungen des Polizei- und Sicherheitsapparates sowie während der WM-Zeit drakonisch urteilende Schnellgerichte und Protestverbote.

Nach allem besteht also kein Grund, die Titelkämpfe in Südafrika, die von einheimischen Gewerkschaftern keineswegs einhellig begrüßt worden waren, zur Erfolgsgeschichte hochzujubeln, mögen dies die FIFA und ihre Politik-, Wirtschafts- und Medienpartner aus naheliegenden Gründen auch anders sehen. Erst recht sollte nachdenklich stimmen, wenn Gewerkschaftskampagnen dazu herangezogen werden, dem erfolgreichen Raubzug der FIFA und ihrer kommerziellen Partner in Afrika im nachhinein ein freundliches Gesicht zu verleihen. So zieht ein Artikel in Neues Deutschland (online) vor dem Hintergrund der 2007 gegründeten Gewerkschaftskampagne "Fair Games - Fair Play", die in die Initiative "Decent Work for a Decent Life" des internationalen Gewerkschaftsdachverbands ITUC eingebettet war, eine ausgesprochen positive Bilanz für die Bauarbeiter während der WM 2010:

"Erstens gelang es den Gewerkschaften in den drei Jahren vor der WM, den Mindestlohn um 35 Prozent anzuheben. Zweitens konnten Verbesserungen im Bereich der Sicherheitsstandards auf den Baustellen erreicht werden. Drittens gelang es, die Bezahlung von Angestellten bei Subunternehmen zu verbessern. Viertens verpflichteten sich die Bauunternehmen, ihre Angestellten fortzubilden. Und fünftens schließlich erhielten alle Bauarbeiter Freikarten für die Fußballspiele. Ein weiterer Erfolg der Gewerkschaften war, dass ihre Mitgliedszahlen im Bausektor in den Jahren 2007 bis 2009 um 27 000 anwuchsen." [5]

Dieses für die Gewerkschaftsarbeit schmeichelhafte Ergebnis mutet doch einigermaßen befremdlich an, zumal der Autor des Artikels, Dr. Armin Osmanovic, Leiter des Büros der Rosa Luxemburg Stiftung in Johannesburg, dann auch noch mit der Feststellung endet: "Diese Kampagne hat zum ersten Mal deutlich gemacht, dass es mit einer koordinierten Zusammenarbeit von Gewerkschaften aus dem globalen Norden und Süden sowie mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen möglich ist, dass Arbeitskräfte von sportlichen Großveranstaltungen profitieren können." [5]

Im Gegensatz dazu zeichnen andere Quellen, Berichte und Studien, teilweise aus Gewerkschaftshand oder von gewerkschaftsnahen Organisationen, ein weitaus weniger versöhnliches Bild.

"Während die Baufirmen ihre Gewinne fünf Jahre lang um durchschnittlich 100% steigern konnten, brachten die Bauverträge den ArbeiterInnen fast keine Vorteile", berichtete Kirsten Bredenbeck vom Netzwerk der Brasiliensolidarität KoBra im Juli 2011 [6], die sich mit den aktuellen Entwicklungen in Brasilien und den Effekten der Fußball-WM in Südafrika beschäftigt hat. Das Netzwerk Koordination Südliches Afrika (Kosa), das in Kontakt mit Gewerkschaftsvertretern aus Südafrika steht, resümierte ein Jahr nach der WM: "Bauarbeiter erreichten nur durch Streiks eine leichte Erhöhung ihrer Löhne (von 250 Euro auf 270 Euro im Monat), während sich die Baufirmen eine goldene Nase verdienten." [7]

In einer von den Medien vielbeachteten Studie des südafrikanischen Gewerkschafters Eddie Cottle, Mitarbeiter des Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH (seit 2011 Solidar Suisse), hieß es zusammenfassend: "Die fünf grössten Bauunternehmen in Südafrika haben dank der WM ihren Gewinn von 790 Millionen Rand (2004, 110 Mio. Sfr.) auf 10.2 Milliarden Rand (2009, 1.4 Mia. Sfr.) vergrössert. Das entspricht einem Gewinnwachstum von 1300%. Die BauarbeiterInnen mussten mit 26 lokalen und einem nationalen Streik mit 70'000 Beteiligten dafür kämpfen, dass ihre Löhne wenigstens der Teuerung angeglichen wurden." [8]

Streiks (20 von insgesamt 26 Streiks waren ohne die Hilfe von Gewerkschaften zustande gekommen) und Gewerkschaftskampagnen im Vorfeld der WM 2010 mögen zwar dazu geführt haben, daß einem Teil der BauarbeiterInnen höhere Löhne, Sonderboni und Transportentschädigungen gezahlt wurden (inkl. verbesserte Arbeitsplatzbedingungen), doch diese bewegten sich immer noch auf Hungerlohnniveau, während gleichzeitig die Löhne in den Geschäftsführungen der Bauunternehmen um ein Mehrfaches stiegen. Als am 8. Juli 2009 im ersten landesweiten Streik 70.000 BauarbeiterInnen für acht Tage die Arbeit niederlegten, führte dies zu einer Erhöhung der Bezüge um 12 Prozent, wie Eddie Cottle berichtete. "Der Mindestlohn belief sich nun auf 2'933 R (401 $) gegenüber 2'618 R vor Streikbeginn." [9]

Wenn man diesen WM-Lohn, der keine Langzeiteffekte ergab, ins Verhältnis dazu setzt, was die internationale Gewerkschaftskampagne "Fair Games - Fair Play" laut Solidar Suisse als Löhne bezeichnet, "die zum Leben ausreichen", nämlich "mindestens 4.000 Rand monatlich" [10], dann stellt sich die Erfolgsbilanz der internationalen Gewerkschaft, wie sie die Zeitung Neues Deutschland in ihrem Artikel von Armin Osmanovic verbreitet, doch in einem etwas anderen Licht dar.

Die Kampagnen von arrivierten Großgewerkschaften oder gewerkschaftsnahen Umweltorganisationen, die sich konsensträchtiger Fairplay-Floskeln bedienen, mit denen das Fußball-Business schon seit vielen Jahren in erschreckender Weise viel effektiver zu jonglieren versteht, laufen Gefahr, zu einer willkommenen PR-Veranstaltung für die FIFA zu werden. Wollen denn am Ende gewerkschaftsfreundliche AktivistInnen mit FIFA-Funktionären Hand in Hand gehen und geringfügige Veränderungen als gemeinsame Erfolgsgeschichte feiern, ohne daß die Ursachen für Ausbeutung, Unterdrückung und Sklaverei im kapitalistischen Weltwirtschaftssystem auch nur beim Namen genannt, geschweige denn bekämpft werden?



Fußnoten:

[1] http://www.bild.de/sport/fussball/wm/arbeiter-werden-wie-sklaven-behandelt-29673610.bild.html. 27.03.2013

[2] http://www.focus.de/sport/fussball/fussball-event-brutal-fuer-die-wm-2022-sterben-vier-nepalesen-pro-woche_aid_949488.html. 27.03.2013

[3] http://www.neues-deutschland.de/artikel/818028.moderne-sklaverei.html. 08.04.2013

[4] "Die Fifa regiert, das Land verliert" von Philipp Lichterbeck. 04.10.2011
http://www.tagesspiegel.de/sport/fussball-wm-die-fifa-regiert-das-land-verliert/4685734.html

[5] "Ein Drittel mehr Mindestlohn" von Armin Osmanovic, Johannesburg. Kostenpflichtiger Artikel. 08.04.2013
https://www.neues-deutschland.de/artikel/817969.ein-drittel-mehr-mindestlohn.html?sstr=

[6] http://www.kooperation-brasilien.org/de/kick-for-one-world/hintergrundmaterial/dossiers/dossier-juli-2011-menschenrechtsverletzungen-durch-die-vorbereitung-sportlicher-grossereignisse-in-brasilien/at_download/file

[7] http://kosa.org/wm_2010_rsa/rueckblickwm.html

[8] http://www.solidar.ch/data/D23807E0/BilanzWM2010-Das%20wichtigste%20im%20Ueberblick.pdf

[9] "Vorläufige Evaluation der Auswirkungen der FIFA Weltmeisterschaft auf Südafrika" von Eddie Cottle, September 2010
http://www.sah.ch/data/D23807E0/Evaluation_Wordlcup2010_D.pdf

[10] http://www.solidar.ch/fair-games-fair-play.html. 14.4.2013

17. April 2013